Die Presse reagierte darauf mit einer erstaunlich kritischen Berichterstattung. Was tagtäglich gegen MigrantInnen, Homosexuelle, Punks und Linke läuft, war am 5. April einmal von einer breiteren Bevölkerung als Bedrohung empfunden worden. Es gingen denn auch bei den Redaktionen zahlreiche LeserInnenbriefe ein, welche den Neonaziauftritt und die Untätigkeit der Polizei verurteilten. Einzelne Medien stellten sogar einen Zusammenhang her mit dem 23. September 1995, als Polizei und Neonazis in enger Zusammenarbeit den Demonstrationszug gegen die Blocher-Kundgebung angegriffen hatten, erinnerten sich also, dass die Sympathien der Zürcher Polizei für FaschistInnen nicht neu sind.
Der Aufruf aus autonomen Kreisen zu einem Antifaschistischen Abendspaziergang durch das Niederdorf am 19. April wurde selbst von Medien mit grosser Auflage wie der NZZ und dem Tages-Anzeiger wiedergegeben. Die Wochenzeitung WoZ druckte ein Pressecommuniqué zum Abendspaziergang in vollem Wortlaut ab. Inhaltlich schafft das Communiqué die Verbindung zwischen Faschismus und politischen WegbereiterInnen im Parlament einerseits, zwischen Faschismus und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem andererseits und weist auf die Möglichkeit gezielter antifaschistischer Angriffe hin, um den Neonazis die Strasse streitig zu machen.
Der Wortlaut des Communiqués erstaunt etwas. Dass Polizisten als Bullen bezeichnet werden, ist wohl so in die Szenensprache eingeflossen, dass niemand mehr merkt, dass hier Menschen als Tiere bezeichnet werden, und der Gebrauch dieses Ausdrucks widerspiegelt vielleicht nicht viel mehr als eben diese Szenensprache. Wenn hingegen von braunen Ratten die Rede ist, die aus ihren Löchern kommen, und von Nazischweinen, die es zu bekämpfen gilt, ist das eine klare Anlehnung an Nazisprachgebrauch, welcher Menschen zu Tieren degradiert. Welche politische Absicht steht dahinter, wenn die AutorInnen dieses Communiqués sich einer faschistischen Ausdrucksweise bedienen? Wäre es nicht besser, sich klar von solchen entmenschlichenden Diskursen zu distanzieren und sich eher zu überlegen, wie eben Menschen dazu kommen, sich der nationalsozialistischen Ideologie anzuschliessen?
Am Abend des 19. April besammelten sich dann rund 400 Leute auf dem Bellevue-Platz. Dieser liegt am See, am einen Ende des Niederdorfs. Der Demozug formierte sich mit verstärkten Transparenten an der Spitze, hinten und auf beiden Seiten: ``Keinen Fussbreit den Faschisten'' (bzw. wie so oft zu lesen: ``Kein Fussbreit .''), ``Der Kampf der Menschen gegen die Macht ist der Kampf des Erinnerns gegen das Vergessen'' (Milan Kundera), ``Den faschistischen Alltag durchbrechen'' (trotz vehementer Kritik an diesem Motto bei früheren Anlässen). Über das Megaphon wurde eine Rede verlesen und dazu aufgefordert, sich nach der Demo in grösseren Gruppen zu entfernen, damit keine Einzelpersonen oder Kleingruppen den Neonazis in die Hände laufen.
Die Polizei hielt sich zurück und liess die Demo losziehen, zunächst dem Limmatquai entlang. Wie der Zug losging, stiessen immer noch Leute aus allen Richtungen dazu, so dass etwa 600 Personen nach etwa 50 Metern nach rechts ins Niederdorf einbogen. In der engen Gasse zog sich die Demo in die Länge und war schon recht eindrucksvoll. Auf dem Weg durch das Niederdorf gesellten sich noch mehr Leute dazu.
Die DemoteilnehmerInnen skandierten Sprüche wie ``Hoch die internationale Solidarität'', ``Hinter dem Faschismus steht das Kapital -- Bekämpfen wir es hier und international'', ``Solidarität heisst Widerstand -- Kampf dem Faschismus in jedem Land'' oder, das eigene vermummte, bedrohliche Auftreten ironisierend, ``Ihr werdet's nicht vermuten, wir sind die Guten (die Rechten sind die Schlechten)''. So sehr vom Megaphon aus Bemühungen da waren, andere Slogans zu bevorzugen, zwei politisch problematische Sprüche wurden immer wieder laut angestimmt und von einer Grosszahl der DemoteilnehmerInnen aufgenommen. ``Wir wollen keine Nazischweine'' ist sehr eng angelehnt an den antisemitischen Nazispruch ``Wir wollen keine Judenschweine'' und degradiert einmal mehr in naziähnlicher Weise Menschen zu Tieren. ``Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest'' operiert ebenfalls mit sprachlichen Bildern, die der Nazisprache entnommen sind. Medizinische Bilder wie Pest, Geschwür sind dort am besten aufgehoben, wo sie herkommen, in der Nazipropaganda, und brauchen nicht von links her übernommen zu werden.
Als der Demozug bei einem der bekannten Treffpunkte der Neonazis, der Pumpi-Bar ankam, löste sich eine Gruppe Vermummter aus der Demo, zertrümmerte die zum Schutz heruntergefahrenen Rollläden, dann die Fenster, hoben die Tür aus den Angeln und verwüstete die Bar, sowie die danebenstehende ``Alte Bränni''-Bar, ein weiterer Treffpunkt der FaschistInnen. Viele Leute im Demozug waren für kurze Zeit verunsichert. Viele der TeilnehmerInnen waren nicht auf eine gewaltvolle Aktion wie die Zerstörung der beiden Nazitreffpunkte vorbereitet. Die Aktion wurde auch im Nachhinein von verschiedener Seite, unter anderem von MigrantInnen, die zahlreich mitmarschierten, kritisiert als Missbrauch des Schutzes der Anonymität des Demozuges. Nicht deshalb, weil die KritikerInnen fanden, die Bar hätte nicht plattgelegt werden sollen, sondern weil die Aktion auch diejenigen TeilnehmerInnen gefährdete, welche von der geplanten Aktion nichts wussten und deshalb nicht einen bewussten Entscheid getroffen hatten, das Risiko einer Eskalation auf sich zu nehmen. Solche Aktionen würden besser zu einem anderen Zeitpunkt ausgeführt, waren Kommentare zu hören.
Trotzdem scheint die Einschätzung derjenigen, die den Angriff auf die beiden Bars geplant haben, dass nämlich die Polizei den imposanten Demozug im verwinkelten Niederdorf nicht angreifen würde, korrekt gewesen zu sein. Den meisten TeilnehmerInnen am Demozug und vielen PassantInnen, die im Niederdorf regelmässig mit der Präsenz von Neonazis konfrontiert sind, dürften die Gründe für den Angriff auf Nazitreffpunkte eingeleuchtet haben. Zudem ging die Gruppe, die den Angriff ausführte, sehr diszipliniert und zielgerichtet vor, und als die Aktion vorbei war, ging die Demo ohne weitere Sachbeschädigungen an den beiden Bars vorbei und zum Central-Platz hin.
Dort wendete der Zug und ging, diesmal dem Limmatquai entlang, wieder Richtung See. Da auf der anderen Seite der Limmat die Uraniawache ist, wo sich auch das Polizeigefängnis befindet, wurde dort kurz angehalten und darauf aufmerksam gemacht (``Wir sind nicht alle -- Es fehlen die Gefangenen''), dass am Abend zuvor zwei Leute verhaftet worden waren.
Auch auf dem Limmatquai stiessen noch immer wieder Leute dazu, und der Demonstrationszug muss zu diesem Zeitpunkt etwa 800 bis 1'000 Personen stark gewesen sein.
Zwischen Polizeiposten und Rathaus sah es kurz so aus, als ob es zu einer Konfrontation zwischen PolizistInnen und DemonstrantInnen kommen könnte, da PolizistInnen ihre Gummigeschossgewehre auf die Demonstrierenden richteten. Vom Megaphon aus wurden die PolizistInnen dazu aufgerufen, ihre Gewehre nicht auf die Demo zu richten, die DemonstrantInnen dazu, sich nicht provozieren zu lassen, und der Demonstrationszug setzte seinen Weg fort. Über die Münsterbrücke ging es weiter Richtung Bahnhofstrasse. Auf dem Weg wurde den jungen ZünftlerInnen, die aus einem Gebäude auf der rechten Seite aus dem Fenster lehnten, der Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapital skandierend erklärt. Und endlich war das Kapital (mit einem grossen K) in Sicht: der Paradeplatz mit seiner Ansammlung von Banken.
Auf dem Weg die Bahnhofstrasse hinunter kam es zu einigen Sachbeschädigungen bei Einrichtungen der Banken, welche von den meisten DemoteilnehmerInnen als unnötig betrachtet wurden angesichts dessen, dass sie die Demo gefährdeten. Diese Zwischenfälle waren jedoch vereinzelt, und die Demo setzte ihre Route fort bis zum Bahnhof. Lange war's her, seit ein so grosser Demozug ungestört die Bahnhofstrasse runter gehen konnte.
Am Bahnhof wurde die Demonstration aufgelöst. Am Megaphon wurde noch einmal dazu aufgefordert, nun auf dem schnellsten Weg nachhause bzw. von hier weg zu gehen, in grösseren Gruppen, da die Neonazis (es waren etwa 30 von ihnen in der Stadt, und sie hatten sich in Fünfergruppen formiert) nur darauf warteten, dass sich die Demo auflöst, um gegen Einzelne losgehen zu können.
Die Bilanz der Demo ist sehr gut. Es war wieder einmal möglich, an die 1'000 Leute auf die Strasse zu bringen gegen FaschistInnen. Hoffen wir, dass diese Kraft bestehen bleibt und mehr Kontinuität in die antifaschistische Arbeit kommt. Etwas dämpfend wirkt in diesem optimistischen Bild, dass bei der bewilligten SP-Kundgebung vom Spätnachmittag nur wenige Leute auftauchten. War die Kundgebung nicht breit genug angekündigt worden? Haben die Leute zwei Wochen nach den Zwischenfällen vom 5. April schon wieder vergessen, dass sie das Ganze auch etwas angeht? Es wird in der zukünftigen antifaschistischen Arbeit wichtig sein, auf verschiedenen Ebenen zu agieren und nicht nur auf den Kampf auf der Strasse zu setzen.
Die Reaktion der Medien war zu erwarten. Die JounalistInnen konnten wieder einmal ihrem Entsetzen über die Gewaltbereitschaft der ``Autonomen'' Luft machen. Dabei ging wieder einmal unter, dass die Gewalt zielgerichtet und punktuell war. Enttäuschend der Leitartikel Daniel Suters (sonst oft einer der faireren Berichterstatter) im Tages-Anzeiger, in dem er die Sachbeschädigungen an den Nazitreffpunkten gleichsetzt mit den Angriffen auf Leib und Leben von missliebigen PassantInnen durch die Skins zwei Wochen zuvor. Haarsträubend die Tatsache, dass der Tagi den Sprecher der Polizeibeamtenvereinigung in einem Kasten unkommentiert sagen lässt, die antifaschistische Demo wäre verwerflicher gewesen als die Körperverletzungen durch die Neonazis zwei Wochen vorher.
Es zeigt sich einmal mehr, wie bürgerliche Medien dazu beitragen, dass Naziskins weiterhin ihr Unwesen treiben können.
(Marc Riel)