junge Welt
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Ausland, 28.02.2000
Die Flagge folgt dem Dollar
Im Dienst der Reichen in Peru und Kolumbien
Ein US-Soldat* berichtet. Von Stan Goff (Teil II und Schluß)
* Der Autor dieses Berichtes lebt als pensionierter Offizier in Ralingh, North Carolina. Er diente über zwei Jahrzehnte lang in US-amerikanischen Streitkräften; einen Großteil der Zeit bei Spezialeinheiten, die Dritte-Welt-Armeen auszubilden hatten.
Als Mitglied der 7. Special Forces kam ich 1991 nach Peru. Die Gründe, warum wir dorthin gingen, waren vielfältig und überlagerten sich, wie so oft unsere Begründungen für Aktivitäten des Militärs. Wir sollten dem Land bei seiner inneren Entwicklung und Verteidigung helfen, sollten seine »Antidrogen«-Fähigkeiten verbessern, sollten uns selbst für die bessere Ausbildung anderer in unserer »Zielsprache« Spanisch qualifizieren. Das waren die offiziellen Gründe. Keine Instruktion erwähnte einen weiteren Teil der Mission: die inoffiziellen Feldzüge gegen die indigene Bevölkerung.
Vorwand Drogen
Im Ausbildungskurs, den wir für die Peruaner entwickelten, ging es um grundlegende Aspekte der Aufstandsbekämpfung. Über Drogen wurde mit den peruanischen Offizieren nie gesprochen. Während der ersten paar Wochen schlugen wir unsere Zelte auch am Rand eines indianischen Dorfes namens Santiago de Tuna auf, in der Sierra, vier Stunden von der Hauptstadt entfernt.
Tuna ist das spanische Wort für die Kaktusfeige. Indianer aus dem Ort brachten uns zwei Säcke voller Kaktusfrüchte, die köstlich schmeckten und alle bei Laune hielten. Wir wurden dicke Freunde mit den peruanischen Offizieren, teils leichtlebige Burschen, teils aggressive Machos. Sie versorgten uns allnächtlich reichlich mit Anticuchos (würzigem, über Holzkohle geröstetem Rinderherz) und Bier. Manchmal knallten sich die Kriegsveteranen die Birne zu und quatschten uns voll, wenn sie ihren Einsatz noch mal durchlebten. Ein Major konnte gar nicht mehr aufhören, davon zu erzählen, wie viele Leute er getötet hatte und wie doch die Sierra ein Land für richtige Männer sei.
Ein Indianer, zahnlos und liederlich, seine blutunterlaufenen Augen vom Rausch in Wasser schwimmend, erstaunte mich ganz besonders mit seiner Kenntnis der nordamerikanischen Indianergeschichte. Er wußte sogar die Jahreszahlen etlicher wichtiger Schlachten in unserem Vernichtungskrieg. Geronimo war ein großer Mann, sagte er. Ein großer Medizinmann. Ein großer Krieger. Einer, der das Land liebte. Als wir während des strapaziösen Gewaltmarsches aus Santiago de Tuna raus an einem Indianerfriedho vorbeikamen, bemerkte ein peruanischer Hauptmann mir gegenüber: »Aqui hay los indios amigos.« Hier sind die guten Indianer. Und er deutete auf das kleine Gräberfeld.
Verstärkte Militärhilfe
Als ich 1992 in Tolemaida kolumbianische Special Forces ausbildete, war mein Team vorgeblich zur Unterstützung der Drogenbekämpfung dort. Tatsächlich aber gaben wir dem Militär Unterricht in infanteristischer Aufstandsbekämpfung. Wir wußten sehr wohl, und dasselbe galt für die kolumbianischen Kommandeure, daß »Drogen« nur ein fadenscheiniger Vorwand waren, um die Schlagkraft von Streitkräften zu stärken, die durch jahrelangen Mißbrauch jegliches Vertrauen der Bevölkerung verloren hatten. Auch hatte die Armee im Kampf gegen die Guerilla demütigende Rückschläge hinnehmen müssen. Doch ich gewöhnte mich an die Lügen. Unser ganzes außenpolitisches Geschäft beruhte darauf.
Antidrogenzar Barry McCaffrey und Verteidigungsminister William Cohen plädieren für eine drastische Steigerung der Militärhilfe für Kolumbien. Schon heute ist das Land der Welt drittgrößter Empfänger von US- amerikanischer Militärhilfe; sie wurde von 85,7 Millionen Dollar 1997 auf 289 Millionen Dollar im Haushaltsjahr 1998 sprunghaft erhöht. Presseberichten zufolge halten sich rund 300 US-amerikanische Militärs und Agenten ständig in Kolumbien auf.
Jetzt fordert die Clinton-Administration eine Milliarde Dollar für die nächsten zwei Jahre. Der republikanisch beherrschte Kongreß will sogar noch mehr: 1,5 Milliarden, unter anderem für 41 Blackhawk-Helikopter und ein neues Geheimdienstzentrum. Das Außenministerium behauptet, die Ausweitung der Unterstützung sei nötig, um »einer Explosion von Koka-Plantagen« zu begegnen. Die geeignete Antwort darauf sei ein 950 Mann starkes »Antidrogen«-Bataillon. Doch die Forderung fällt seltsamerweise zusammen mit den jüngsten militärischen Erfolgen der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC-EP ), der linken Guerilla, die schon heute 40 Prozent des flachen Landes kontrolliert.
»Aufstandsbekämpfung«
In den Vereinigten Staaten läuft eine andere Art der Vorbereitung: Das amerikanische Volk soll mit dem Gedanken an eine neue Interventionsrunde vertraut gemacht werden. McCaffrey - nicht zufällig früher Oberkommandierender von Southcom, dem für die US-Streitkräfte in Lateinamerika zuständigen Kommando - »räumt ein«, daß die Grenzen zwischen Drogen- und Aufstandsbekämpfung in Kolumbien »zu verschwimmen beginnen«.
Der Grund? Die Guerillas seien in den Drogenhandel verstrickt - ein allgegenwärtiger Vorwurf, der von der Presse unkritisch wiederholt wird. Weder wird unterschieden zwischen der FARC und einer Handvoll unbedeutenderer Gruppen, noch ist ein Bemühen festzustellen, präzise Belege beizubringen. Als die Behauptung zum ersten Mal in Umlauf gebracht wurde, stellte Miles Frechette, der frühere US- Botschafter in Kolumbien, im Gegenteil fest, daß solche Belege fehlten. Doch dies wurde bald vergessen. Wir sollten vorbereitet werden.
In Kolumbien ist wohlbekannt, daß Angehörige der Streitkräfte und der Polizei, Regierungsvertreter und die großen Geschäftsleute der städtischen Zentren diejenigen sind, die am meisten vom Drogenhandel profitieren. Die FARC-EP besteuert Koka, das ist was ganz anderes als Drogenhandel. Die FARC-EP besteuert auch Treibstoff, Erdnüsse und Möbel. Koka ist die einzige Feldfrucht, mit deren Anbau sich die Campesinos noch über Wasser halten können. Der Bauer, der andere Pflanzen anbaut, kann mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von gerade mal 250 Dollar rechnen. Koka bringt 2 000 Dollar, damit läßt sich eine Familie ernähren.
Räuberbarone sind das nicht. Sie werden nicht reich. Ist die Koka verarbeitet, bringt das Kilo etwa 2 000 Dollar - in Kolumbien. Vorsichtsmaßnahmen, Bestechungsgelder und die ersten Profite erhöhen den Preis auf 5 500 Dollar pro Kilo, wenn das Koka den ersten Gringo-Händler erreicht. Der Gringo verkauft dieses Kilo, für den US-Einzelhandel aufbereitet, für etwa 20 000 Dollar. Auf der Straße in den Vereinigten Staaten werden daraus 60 000 Dollar. Da wird zwar schon von einigen am Ende der kolumbianischen Kette ein ordentlicher Schnitt gemacht, doch die eigentlichen Schieber sind Amerikaner.
Freilich können Drogen die kommunistische Weltverschwörung nur bis zu einem gewissen Grad ersetzen. Mit ihnen allein läßt sich der riesige Militäraufwand nicht rechtfertigen. Deshalb muß uns überdies glauben gemacht werden, wir verteidigten die Demokratie und ökonomische Reformen.
Die Begründungen wurden geschickter, seit ich 1983 in Guatemala war, und erst recht wesentlich geschickter seit Vietnam und dem groben Instrument des offenen Kriegs dort. Damals ging es nicht um Demokratie. Wir hatten die Kommunisten zu stoppen. Auch Drogen sind eine gute Begründung. Aber mit der FARC-EP können wir beides haben - unseren Krieg gegen die Drogen und unseren Krieg gegen die Kommunisten.
Doch hinter der demokratischen Fassade finden in Kolumbien die himmelschreiendsten und systematischsten Menschenrechtsverletzungen unserer Hemisphäre statt. Außerhalb der 40 Prozent des Landes, in denen die FARC-EPherrscht, toben sich rechte Paramilitärs, unterstützt und koordiniert von den offiziellen Sicherheitskräften, auf eine Weise aus, auf die ein Roberto D'Abuisson oder Lucas Garcia oder Rios Montt stolz sein könnten: Folter, öffentliche Hinrichtungen, Massaker, Entführung, Vergewaltigung und Mord, Zerstörung von Land und Vieh, Vertreibungen. Bevorzugte Opfer waren und sind Führer von Sozialverbänden, Gewerkschaftsführer, politische Gegner und deren Familien.
CIA und Opiumdealer
Im Juli letzten Jahres griff der Kommandeur der kolumbianischen Armee, Jorge Enrique Mora Angel, in ein laufendes Verfahren ein, um den mächtigsten Chef einer paramilitärischen Gruppe in Kolumbien, Carlos Castaño, vor gerichtlicher Verfolgung wegen einer Reihe von Massakern zu bewahren. Castaños Organisation ist in Sachen »Aufklärung« und »Operationen« direkt mit den Sicherheitskräften vernetzt. Jenes Netzwerk wurde 1991 organisiert und eingeübt, unter Anleitung des US-Verteidigungsministeriums und der CIA. Auch die Busenfreundschaft zwischen der kolumbianischen Armee und Castaño bringt für die Argumentation »Drogenbekämpfung« gewisse Probleme mit sich. Castaño ist ein bekannter Drogenmagnat. Nicht jemand, der Kokapflanzer besteuert
Hinzu kommt die irritierende Geschichte des Kampfs der US-Regierung mit den Drogendealern. Mit ihnen, nicht gegen sie! Tatsächlich scheint die CIA eine unwiderstehliche Affinität zu Drogenmagnaten zu haben. Die tibetanischen Contras, die in den 50er Jahren von der CIA ausgebildet wurden, wurden zu Herren der Heroinimperien im Goldenen Dreieck. In Vietnam und Kambodscha arbeitete die CIA mit Opiumdealern aufs engste zusammen. Der Contra-Krieg in Nikaragua wurde teilweise aus Drogenprofiten finanziert.
Auch die afghanisch-pakistanische Schiene der CIA, die im Krieg gegen die Sowjets eingesetzt wurde, war mit Drogendealern durchsetzt. Und vor kurzem erst waren da die Heroinhändler der Kosovo-Befreiungsarmee UCK.
Wäre es angesichts all dessen nicht sinnvoller, McCaffrey würde seine eine Milliarde Dollar auftreiben, um der CIA den Krieg zu erklären?
Ich war 1983 in Guatemala, 1985 in El Salvador, 1991 in Peru, 1992 in Kolumbien. Die Leute hören im allgemeinen nichts von pensionierten Soldaten der Special Forces. Aber es ist nötig, daß sie die Tatsachen von jemand erfahren, dem nicht vorgeworfen werden kann, er sei ein saft- und kraftloser Liberaler, der nie seinem Land »gedient« hat. Ein Liberaler würde wohl behaupten, daß das System nicht richtig funktioniert. Ich behaupte, es funktioniert genau so, wie es funktionieren soll.
Als Insider im aktiven Dienst in den Streitkräften habe ich den tiefen Widerspruch zwischen den offiziellen Begründungen unserer Politik und den tatsächlichen Praktiken kennengelernt: die Ermordung von Lehrern und Nonnen durch unsere Stellvertreter; Dezimierungen; systematische Vergewaltigung; die Kultivierung von Terror.
Ich habe daraus den Schluß gezogen, daß die Milliarden an Profiten und Zinsen, die sich in Kolumbien und anderen Ländern der Region machen lassen, weit mehr für das Verlangen der USA nach »Stabilität« verantwortlich sind als irgendwelche Demokratie- oder Kokaingeschichten. Nachdem ich über meine mehr als zwei Jahrzehnte Militärdienst nachgedacht habe, bin ich überzeugt, daß ich nur dem reichsten einen Prozent meines Landes gedient habe. In allen Ländern, in denen ich tätig war, war es die Armut der armen Leute, die den Reichtum der Reichen schuf und aufrechterhielt. Manchmal direkt, in Form von Arbeit; manchmal indirekt, wenn Leute ein Vermögen machten in dem Geschäft mit bewaffneter Sicherheit, das überall blüht, wo so viel Elend herrscht.
Krieg für Kredithaie
Oft kommen die Unternehmen, die Schutz brauchen, aus den USA. Chiquita ist eine aufgemotzte Version von United Fruit, dem Konzern, der die Vereinigten Staaten zum Putsch gegen Arbenz in Guatemala 1954 drängte. Pepsi spielte in Chile 1973 dieselbe Rolle für Pinochet.
Aber das Wichtigste heute sind die großen Finanzinstitutionen. Die Vereinigten Staaten sind die bestimmende Kraft in den führenden Kreditinstitutionen: der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds. Was die USA exportieren, mehr als alles andere, sind Kredite. Das große Geld wird mit den Zinsen aus diesen Krediten gemacht. Die ökonomischen Eliten der Dritten Welt, mit den Regierungen als ihrem Aushängeschild, leihen dieses Geld und bluten dann die Bevölkerung aus, um die Zinsen zu bezahlen. Das geschieht auf dem Weg höherer Besteuerung, durch das Zusammenstreichen von Sozialleistungen, den Ausverkauf öffentlicher Vermögenswerte, die »Zähmung« oder Zerschlagung der Gewerkschaften und so weiter.
Wenn die Regierungen nicht genug in dieser Hinsicht tun, übt Washington Druck auf sie aus. Dem amerikanischen Volk wird dann erzählt, daß diese Länder »Strukturanpassungen« und »ökonomische Reformen« bräuchten, während in Wirklichkeit die US-amerikanische Außenpolitik oft im Interesse von Kredithaien angelegt wird. Die großen Investoren und die großen Geldverleiher sind zugleich die großen Geldgeber für politische Kampagnen in diesem Land, für Republikaner wie Demokraten. Die Presse, die von einer Handvoll riesiger Konzerne kontrolliert wird, spielt melancholisch wieder und wieder dieselbe Leier: »Wirtschaftsreform und Demokratie«. Und wir, da wir ja nicht völlig von gestern sein wollen, ertappen uns dann selber dabei, daß wir sagen, ja ... Kolumbien oder Venezuela oder Rußland oder Haiti oder Südafrika oder wer auch immer, was sie brauchen, sind »Wirtschaftsreform und Demokratie«.
Dieses Argument, wenn heute auch anders phrasiert, ist keineswegs neu. 1935 klagte der pensionierte General Smedley Butler, zweifacher Träger der Medal of Honor, große New Yorker Investmentbanken an, die US-Marines als »Erpresser« und »Gangster« zu benutzen, um die Bauern Nikaraguas finanziell auszubeuten. Später stellte Butler fest:
»Das Problem ist, daß der amerikanische Dollar, wenn er im Lande nur sechs Prozent Zins bringt, unruhig wird und ins Ausland geht, um dort 100 Prozent zu machen. Die Flagge folgt dem Dollar und der Soldat der Flagge. Ich bin in den Krieg gezogen, um die lausigen Investitionen der Bankiers zu verteidigen. Ich würde das nicht wieder tun.
Wir sollten nur für die Verteidigung unsrer Heimat und die Bill of Rights kämpfen. Krieg für jeden anderen Grund ist bloßes Geschäft. In diesem Geschäftemacherkram gibt es keinen Trick, den das Militär nicht kennen würde. Es hat Leute, um Feinde auszumachen, Muskelmänner, um Feinde zu zerstören, Gehirne, um Kriege für den ultranationalistischen Kapitalismus der großen Bosse zu planen.
Ich habe 33 Jahre und vier Monate im aktiven Militärdienst bei den Marines verbracht. Ich half 1914 mit, Tampico, Mexiko, zu einem sicheren Platz für die amerikanischen Ölinteressen zu machen; Kuba und Haiti sicher zu machen für die Erträge der Jungs von der National City Bank; half 1909 bis 1912 mit, Nikaragua für das internationale Bankhaus von Baron Broches zu säubern; half, die Zuckerinteressen in der Dominikanischen Republik zu sichern; un half Standard Oil dabei, unbehelligt seine Interessen in China zu verfolgen. Krieg ist Geschäft.«
Wie General Butler kam ich zu meinen Schlüssen durch jahrelange persönliche Erfahrung und durch die allmähliche Verarbeitung der harten Fakten, die ich um mich herum wahrnahm - nicht nur in einem Land, sondern in vielen. Endlich diene ich tatsächlich meinem Land. Eben jetzt, mit diesem Bericht.
(Übersetzung und redaktionelle Überarbeitung: Hermann Koop)
RESISTENCIA
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