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Ausland, 26.02.2000

 

Als US-Militärausbilder in Lateinamerika

Es war »meine Pflicht, gegen die gottlose, kollektivistische Bedrohung des Kommunismus zu kämpfen

 

« Ein US-Soldat ist wach geworden. Von Stan Goff (Teil I)

*** Stan Goff, der Autor dieses Berichts, lebt als pensionierter Offizier in Raleigh, North Carolina. Er diente über zwei Jahrzehnte lang in den US-amerikanischen Streitkräften; einen Großteil der Zeit bei Spezialeinheiten, die Dritte- Welt-Armeen auszubilden hatten. Sein Bericht über diese Aufstandsbekämpfungsprojekte wurde uns von einem Freund aus dem Kolumbien-Komitee in Seattle übermittelt. Derzeit drängt Washington auf eine drastische Erhöhung der Militärhilfe für die Regierung Kolumbiens und ihren Krieg gegen linke Guerillas. ***

In Tolemaida ist's heiß. Das ganze Sumapaz-Tal ist heiß wie die Hölle. Steil, fast ausgedorrt, voller Dornen und Moskitos, ist es der ideale Platz für die Lancero-Schule, wo das kolumbianische Militär seine härtesten Ausbildungs- und Qualifizierungskurse durchführt. Etwa 70 Meilen südlich von Bogota gelegen, ist Tolemaida auch die Heimat der kolumbianischen Special Forces, eine Art Fort Bragg Kolumbiens.

Ich war gerade zehn Tage lang zum zweiten Mal verheiratet, als mich die 7. Special Forces am 22. Oktober 1992 hierher schickten. Bill Clinton stand im Präsidentschaftswahlkampf gegen George Bush, und ich erinnere mich an die Knülche von Delta, die neben uns einquartiert waren und wild herumbrüllten, als die Wahlresultate durchgegeben wurden. »Diese schwule Drückebergersau! So'n Scheiß!« Delta bildete in Tolemaida eine ausgewählte Gruppe kolumbianischer Soldaten für den »close-quarter«-Kampf aus, also für den Kampf in Gebäuden bei Geiselnahmen und ähnlichem. Wir hatten zwei Bataillone der kolumbianischen Special Forces mit nächtlichen Hubschraubereinsätzen und Aufstandsbekämpfungstaktiken vertraut zu machen.

Feldzug gegen Mayas

Natürlich diente dies dazu, der kolumbianischen Armee bei der Verteidigung der Demokratie gegen linke Rebellen zu helfen, die Feinde der Demokratie waren. Dabei spielte es keine Rolle, daß nur ein winziger Bruchteil der Bevölkerung überhaupt die Möglichkeit hatte, Wahlkandidaten aufzustellen und zu unterstützen, oder daß die Menschen mehr und mehr terrorisiert wurden.

Ich bin nicht zynisch. Ich bin nur inzwischen wach geworden. Ich habe dazu zwei Jahrzehnte gebraucht. Ich wuchs in einem Viertel auf, wo alle in derselben Fabrik arbeiteten, bei McDonnell-Douglas; dort wurden die F-4- Phantoms gebaut, die die Bodentruppen in Vietnam aus der Luft zu unterstützen hatten. Meine Eltern arbeiteten beide als Nieter in der Montag für den Flugzeugrumpf. Ich verstand gerade, daß es meine Pflicht war, gegen die gottlose, kollektivistische Bedrohung des Kommunismus zu kämpfen.

So trat ich, sieben Monate, nachdem ich der High School entronnen war, in die Armee ein. 1970 meldete ich mich als Freiwilliger zu den Luftlandetruppen und nach Vietnam. In den Jahren danach merkte ich, daß ich auch nicht den blassesten Schimmer vom Kommunismus hatte. Alles, was ich in Vietnam sah, war ein Rassenkrieg, den eine Invasionsarmee führte und dessen Hauptlast sehr arme Leute trugen.

Ich quittierte den Militärdienst, nachdem mir die ersten Skrupel gekommen waren, aber Armut beschwatzte mich 1977 zurückzukehren. Bald fand ich mich auf dem schlüpfrigen Abhang einer militärischen Karriere wieder. Da ich das Kasernendasein nicht mochte und gern reiste, landete ich fast unvermeidlich bei Sondereinsätzen, erst in den Reihen der Rangers, dann mit den Special Forces. 1980 ging ich nach Panama. Die Zäune dort trennten uns von den »Zonies« - den Slumbewohnern, die in der Kanalzone lebten. Danach kam ich nach El Salvador, Guatemala und in eine Menge anderer bitterarmer Länder.

Die Tatsache, daß wir als Nation anscheinend Partei für die Reichen gegen die Armen nehmen, begann mich zu beschäftigen; sie drang erst in meine Vorurteile ein, dann in meine Rationalisierungsversuche, schließlich in mein Wissen. Heute bin ich der »Vietcong«.

1983. Der ehemalige Special-Forces-Bursche, der da als politischer Beamter auftrat, machte nicht mal den Versuch, seinen wirklichen Job an der US-Botschaft in Guatemala zu verheimlichen. »Du bei der politischen Abteilung?« fragte ich. Ich wußte, was er tat. Ich versuchte, taktvoll zu sein. »Ich bin ein beschissener CIA-Agent«, antwortete er.

Der CIA-Mann hatte mich aus Freundschaft zu einem beiderseitigen Bekannten, mit dem er in Vietnam gedient hatte, unter seine Fittiche genommen. Er erzählte mir, wo die besten Steaks, die beste Musik, die besten Martinis zu kriegen waren. Er mochte Martinis.

Eines Nachmittags fielen wir in der El Jaguar Bar im Foyer des El Camino Hotels ein, das, eine Meile von der US- Botschaft entfernt, auch auf der Avenida de la Reforma liegt. Er kippte acht Martinis in der ersten Stunde.

Der CIA-Mann begann spontan, von seiner Teilnahme an einem erfolgreichen Hinterhalt zu erzählen - »im Norden droben«, zwei Wochen zuvor. »Norden«, das hieß in den Indianergebieten Quiche und Peten, wo Regierungstruppen einen Verbrannte-Erde-Feldzug gegen Mayas durchführten, die der Sympathie mit der linken Guerilla verdächtig waren. Er war in Hochstimmung.

»Mein geilster Auftrag seit Vietnam.« »Du bist verdammt laut«, mahnte ich ihn; das schien mir immerhin ein recht heikles Thema zu sein. »Scheiß auf sie!« grölte er, einen Blick ringsum werfend. »Diese Arschlöcher gehören uns!« Die andern Gäste starrten bemüht auf ihre Tische. Der CIA-Mann war offensichtlich sturzbesoffen.

Moralisch verkommen

Ich hätte es besser wissen müssen, doch erinnerte ich ihn an einen Maya-Lehrer, der vor kurzem von den Esquadrones de muertos umgebracht worden war. Es hatte in den Zeitungen gestanden. Der Lehrer hatte für die Internationale Entwicklungsagentur gearbeitet. Die Vereinigten Staaten, meinte ich, stünden schlecht da, wenn diese Revolverhelden Nummern wie diese abzögen. Die fortdauernde Unterstützung für die Regierung Guatemalas ließe den Eindruck entstehen, die US-Regierung sei mit Mordanschlägen einverstanden. »Er war Kommunist«, stellte der CIA-Mann fest und kippte seinen zwölften Martini runter. Seine Augen nahmen jenen sonderbar starren, etwas unsynchronisierten Blick an.

So war das also. Ich habe mich nie bei ihm dafür bedankt, daß er mir jene nächste Schicht Unschuld von den Augen nahm.

Ich mußte in jener Nacht die Wagenschlüssel des CIA- Manns an mich nehmen. Er wollte zu einem Hurenhaus in der Zone 1 fahren. Als wir die Bar verließen, konnte er seinen Wagen nicht auf dem Parkplatz finden, richtete deshalb die Pistole auf den Wärter und drohte, ihn auf der Stelle zu erschießen. Er beschuldigte ihn, Mitglied einer Bande von Autodieben zu sein. »Ich kenne diese Arschlöcher«, stierte er.

Der Wärter war den Tränen nahe, als ich meinem Kollegen die Pistole entwinden konnte. Schließlich fanden wir den Wagen auf dem Parkplatz einen Block weiter. Jetzt begann der CIA-Mann, von einer Fahrt zu seinem Lieblingsbordell zu sprechen.

»Gimmir die Schlüel!« brüllte er, als ich mich von ihm entfernte. »Kann ich nicht.« »Ich tret dir in'n Arsch«, sagte er. Ich griff in meine Tasche und holte drei Münzen raus. Als er auf mich losstürzte, ließ ich sie mit auffälligem Klimpern in einen Gully fallen. »Da hast du deine Schlüssel«, sagte ich. Er linste eine Zeitlang kurzsichtig in den Gully und nahm dann mich aufs Korn. Ich wich seiner taumelnden Attacke aus, als wäre er ein Kind. Er fiel fast, und ich überlegte, wie ich ihn wegschleppen könnte. Doch er wandte sich abrupt ab, als hätte er eben was vergessen, und trottete ruhig von dannen.

Ich gab seine Schlüssel anderntags bei der politischen Abteilung ab, zusammen mit einer Notiz, wo sein Wagen war. Fred Chapin war der US-Botschafter in Guatemala. Er war berühmt für seine Fähigkeit, nach dem Leeren einer ganzen Flasche Scotch noch ein luzides Interview in flüssigem Spanisch zu geben, bevor ihn seine Bodyguards zu seinem Zimmer in der Residenz hochschleppten und ins Bett kippten. In amerikanischen Diplomatenkreisen wurde Chapin ein bekanntes Zitat zugeschrieben: »Das einzige, was ich bedaure, ist, daß ich meinem Land mit nur einer Leber dienen kann.«

Botschaften sind Sammlungen solch eigentümlicher Charaktere. Mauricio, ein weiteres exotisches Individuum, war als guatemaltekischer Chefermittler beauftragt, mit der Sicherheitsabteilung der Botschaft zusammenzuarbeiten. Verkommen bis zum Gehtnichtmehr, wie er war, machten selbst die Schläger des Bodyguardtrupps einen Bogen um ihn. Seine Reputation als sadistisches früheres Mitglied einer Todesschwadron war unumstritten. Seine Biografie gab ihm eine Art Aura. Er verursachte mir Gänsehaut. »Wenn du wo was rausfinden willst, schick Mauricio hin«, war die Hausweisheit bei der Sicherheit.

Langhorn Motley, Reagans Sonderbotschafter für Mittelamerika, kam nach Guatemala, um rauszufinden, wofür die US-Hilfsgelder verwendet wurden - außer für den Völkermord an den Ureinwohnern und die Beseitigung bolschewistischer Lehrer natürlich. Ich war für einen Ausflug nach Nebaj, einem Indianerflecken nahe der mexikanischen Grenze, zu seiner Security abgestellt. Wir sollten dort ein mit den Geldern gebautes Krankenhaus inspizieren.

Nach Nebaj führten keine Straßen, so wurde uns ein Hubschrauber zugeteilt. Dort gelandet, eskortierte uns ein korpulenter, europäisch aussehender guatemaltekischer Oberstleutnant über unbefestigte Wege zu einem offenen Laster. Die Leute aus dem Dorf standen schweigend da, als wir an ihnen vorbeigingen. Zwei kleine Kinder, vielleicht drei Jahre alt, brachen in heftiges Schluchzen aus, als ich mit meinem CAR-15-Sturmgewehr näher kam. Ich versuchte, diese Reaktion und das, was ihr wohl vorausgegangen sein mußte, aus meinem Kopf zu verdrängen.

Der Laster brachte uns zu einem staubigen, steinernen Fundament. Nicht mehr. Keine Räume, keine Mauern, nichts. Das war das Krankenhaus. Motley meinte, zu mir gewandt: »Nichts als ein beschissenes Dollargrab.«

Der Ort roch nach Mord

Später empfing uns der Oberstleutnant in seinen Diensträumen und schleppte zwei »ehemalige Guerillas« an. Einer war ein abgemagerter alter Mann. Die andere war eine Schwangere, etwa 25 Jahre alt. Sie erzählten uns pflichtschuldigst von ihrer Bekehrung; weil sie nämlich mitgekriegt hätten, wie doppelzüngig die Kommunisten sind, und weil ihnen von den Soldaten eine so menschliche Behandlung zuteil geworden sei.

Das Ganze war eine flachköpfige Rezitation aus der Konserve, aber dem Oberstleutnant schien es zu gefallen; er saß da mit einem wohlwollenden halben Lächeln, ließ seinen Blick von den Vorführindianern zu uns und wieder zurück wandern, um ihre Aufführung und unsere Reaktion einzuschätzen. Der ganze Ort roch nach Mord für mich. Nach Mord.

1985. Die Reporter in El Salvador pflegten im Camino Real Hotel rumzuhängen, mit Transistorradios an den Ohren. Ich bequatschte dort eines Tages beim Lunch ein Mitglied des Pressekorps. Sie war um die 30 und arbeitete für die Chicago Tribune. Sie war noch schrecklich aufgeregt, weil sie in der Woche zuvor in einem Hubschrauber hatte mitfliegen dürfen, der Morazan ansteuerte, eine Hochburg der linken Guerilla. Sie kriegte einiges Geballere zu sehen und war der Botschaft ewig dankbar, daß sie das für sie arrangiert hatte.

 

Ob es mir was ausmachen würde, fragte sie, sie mal zu einem Kaffee oder Drink irgendwo in den Barrios auszuführen? Sie würde nie allein dorthin gehen wollen. Ich war desillusioniert. Mit ihrer anämischen Verschlafenheit zerstörte sie mein Bild von Reportern als exzentrischen, furchtlosen Draufgängern, die besessen sind von dem Wunsch, der Geschichte hinter der Geschichte auf die Spur zu kommen.

Bruce Hazelwood gehörte zur Mil-Gruppe der US- Botschaft, er war, wie ich, bei der Antiterroreinheit in Fort Bragg gewesen. Hazelwood beaufsichtigte die Ausbildung in den Estado Mayor Army Headquarters. In den fünf Jahren zuvor hatte er sich ein beneidenswertes Ansehen als erfolgreicher Verbindungsmann zum salvadorianischen Militär erworben. Sein größtes Problem sei es, die Offiziere dazu zu bringen, das Stehlen zu lassen, erzählte er mir mal nebenbei.

Gutaussehend, sommersprossig, charmant, hatte Hazelwood auch bei den jungen Frauen des Pressekorps einen Stein im Brett. Mit ihm und einer Begleitung von der Botschaft besuchte ich ein Waisenhaus in Sonsonate. Die Pressefrauen waren absolut vernarrt in ihn. Er dankte es ihnen mit jeder Menge verderblicher Anziehungskraft.

Ähnlich Billy Zumwalt, ebenfalls bei der Mil-Gruppe, ein Bursche mit Elvis-Look. Bei einer Party drängten sich die Reporterinnen um ihn und wollten von ihm wissen, ob es seiner Meinung nach Fortschritte in der Menschenrechtssituation gebe. Er fragte sie, was ihre Meinung dazu sei.

Nun, sagten sie, es gebe zwar noch gelegentlich standrechtliche Erschießungen von Gefangenen, so ginge jedenfalls das Gerücht, aber sonst hätten sie nichts gehört. Wir brauchen nicht damit zu rechnen, daß sie über Nacht vorbeikommen, oder? Würden Sie gern nachher in einen Nachtclub mit tanzen gehen? Sie wissen doch sicher, wo einer ist? Ich kenne sie alle, meinte er darauf. Zumwalt erzählte mir einmal an der Bar, daß er die besten rechten Todesschwadronen der Welt ausbilde.

Die Reporter vom Camino Real mieteten junge Salvadorianer aus reichen Familien als Informanten und Faktotums. Es mußten gebildete, englisch sprechende junge Leute sein, im Alter von 20 bis 25 Jahren, die das Pressevolk über Gerüchte und Vorfälle in der Hauptstadt auf dem laufenden halten konnten. Doch diese reichen Kids hatten vom Leben durchschnittlicher Salvadorianer ebenso wenig Ahnung wie die meisten Reporter.

Knochendürre Kinder

Auf der Straße sah ich eine alte Frau, die sich mit einem brandigen Bein den Gehsteig entlang schleppte, einen verrückten Mann, der zusammengeschrumpelt in einer Ecke hockte, knochendürre Kinder, die mit einer Pfeife und einem Stock musizierten, um ein paar Münzen zu ergattern. Einmal bestieg in der Innenstadt von San Salvador ein Blinder den Bus, um zu betteln, und Menschen, die sich das kaum leisten konnten, gaben ihm eine Münze. Es waren Leute mit Schwielen, ärmlich gekleidet, mit indianischen Gesichtszügen. Für die Eleganten, Manikürten, Rundäugigen, Wohlhabenden blieben die Armen und Bettler unsichtbar; ebenso unsichtbar wie die geschwärzten Carboneros, die Babies voller Würmer auf dem Markt, die Halbwüchsigen Schwangeren mit ihren zerlumpten Kleidern, hervorstehenden Rippen und roten Augen, die aus dem gefleckten Schatten irgendwelcher Straßenecken starrten.

Sie müssen unsichtbar sein, damit man sie ignorieren kann. Sie müssen »Untermenschen« sein, damit man sie töten kann. Ich fühlte mich an die Ziegen im medizinischen Labor der Special Forces erinnert. Als ich medizinisch ausgebildet wurde, benutzten wir sie als Versuchskaninchen. Die Ziegen wurden verwundet für das Traumatraining, erschossen für die chirurgische Ausbildung, und im Lauf der Zeit zu Hunderten für jede der 14-Wochen-Klassen euthanasiert. Fast alle Studenten begannen gleich nach der Ankunft, ihre Antipathie gegen die Ziegen kundzutun. »Eine Ziege ist eine dumpfe Kreatur, praktisch und reizlos«, meinten wir.

Einige wenige nahmen wahr, was das Programm tatsächlich bedeutete, ohne zu diesen bequemen Rationalisierungen zu greifen. Einige wenige entwickelten sogar Zuneigung zu den Tieren und fühlten sich von Tag zu Tag niedergeschlagener. Aber die meisten brauchten die Antiziegenideologie als Stütze ihrer Betätigung.

Morgen: Von Gräberfeldern in Peru zur »Drogenbekämpfung« in Kolumbien

 

(Übersetzung und redaktionelle Überarbeitung: Hermann Koop)

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