Saturday, 19.11.2016
17:00h -
Saturday, 31.12.2016
Buon Lavoro!
Prose of The Day – Poetic Resistance
Cora Piantoni, Another Information: Terzo Radio GAP, 2016. Video still.
[English see below]
Einzelausstellung von Cora Piantoni
kuratiert von Dimitrina Sevova
Samstag, 19. November - Freitag, 30. Dezember 2016
Eröffnung: Samstag, 19. November 2016, ab 17:00h.
Öffnungszeiten
Mittwoch, 15:00h – 18:00h
Donnerstag, 16:00h – 19:00h
Freitag, 15:00h – 18:00h
Kuratorischer Text
Cora Piantonis Einzelausstellung im Corner College stellt eine Auswahl des Werkes der Künstlerin vor, basierend auf ihrer langjährigen Recherche zu arbeitenden Menschen und ihren Gemeinschaften, sowie zum Wandel der Arbeit in der sozialen Fabrik und zur Geopolitik der Arbeit.
“Langsam arbeiten” ist ein Protestlied und eine eingängige operaistische Hymne der 1970er Jahre in Italien: “Arbeite langsam / Und mühelos / Arbeit kann dich verletzen / Und du kommst ins Spital / Wo kein Bett frei ist / Und du gar sterben kannst. / Arbeite langsam / Und mühelos / Gesundheit ist unschätzbar.” Im Gegensatz zu den Slogans des italienischen operaistischen Widerstands der 1970er wählt Cora Piantoni als Haupttitel der Ausstellung einen affirmativen Ausdruck der Auffassung von Arbeit und greift damit feinsinnig die für die neoliberale Wirtschaft des Spätkapitalismus charakteristische, systematische Präkarisierung auf, das Bedürfnis, dass alle einen Job haben, und eine positive Einstellung zur Arbeit, die den Kämpfen der Arbeitenden für ein besseres Leben Kraft verleihen kann. Der italienische Gruss “buon lavoro” ist positiv besetzt als Wunsch, der die eigene emotionale Anteilnahme an jemand anderer Arbeit ausdrückt. Die deutsche Sprache kennt keine Redewendung, die dem direkt entsprechen würde. Gelegentlich werden Ausdrücke wie diese verwendet: Viel Spass bei der Arbeit! – Ich wünsche dir Erfolg bei deiner Arbeit! – Hals- und Beinbruch!
Als Geschichtenerzählerin folgt die Künstlerin den kleinen Erzählungen und der undokumentierten mündlichen Überlieferung gewöhnlicher Arbeitender, vor dem Hintergrund historischer Ereignisse wie des Falls der Berliner Mauer, der die Breiten- und Längengrade von Ost-West und Nord-Süd in der Dynamik der Wirtschaft, der Arbeitsmärkte und der Neuausrichtung der Produktionsprozesse erschütterte, die sich in Veränderungen in der Auffassung von Arbeit und Alltag niederschlugen, insbesondere jener von Handwerker_innen und eher marginalisierter, verkannter oder aussergewöhnlicher Formen unsichtbarer Arbeit wie Putzdienste, eine Kletterbrigade, Platzanweiser_innen in einem DDR-Kino, Operateure in Studio-Kinos oder, in einer früher Arbeit, Konzept-Künstler_innen, die sich in der Tschechoslowakei dem sozalistisch-realistischen Kanon verweigerten und es vorzogen, ihren Lebensunterhalt als Heizer_innen zu bestreiten. Die Ausstellung baut auf der Konsequenz des Konzepts der Künstlerin einer Archeologie der Arbeit, der Materialität der Begegnung, und der Alltagskämpfe und Poetik des Widerstands von Arbeitenden. Der ausgestellte Werkkomplex beinhaltet anachronistische und rückwirkende Aspekte. Mit der Verwendung von Videobändern anstatt der neuesten HD-Formate geht Piantoni Videotechnologie an sich sowie als Arbeitsmethode an. Die Videoarbeiten bauen auf Interviews auf, realistischen Porträts, die den Arbeitenden Raum lassen, in denen die Künstlerin als Zeugin hinter dem mechanischen Auge erscheint, wobei sie konzeptionell von Spezialeffekten absieht, wie auch davon, bei den Dreharbeiten oder beim Schnitt eine vorgefasste künstlerische Sprache darüber zu legen. Das Bild selbst ist nüchtern, ohne zu formalisieren. Mit dieser Vorgehensweise stellt die Künstlerin eine unerwartete Anwesenheit heraus, und nicht eine Repräsentation der Subjekte – das Leben gewöhnlicher Arbeitenden als Kunstwerk in einer Mischung aus dokumentarischen Fragmenten, Archivmaterial und poetischen Momenten, angetrieben vom Rhythmus der direkten Rede der Subjekte.
In der Geschichte der bewegten Bilder und des Kinos gibt es zwei Hauptströmungen, die eine in Anlehnung an D. W. Griffith and Sergei Eisenstein, die andere die molekulare Revolution des Alltags von Dziga Vertovs Der Mann mit der Kamera, ein Sammler der Nichtlinearität der Anwesenheit. In Cora Piantonis Werk findet sich etwas von Vertovs molekularer Empfindsamkeit. Die Künstlerin fragt unweigerlich nach den Grenzen zwischen Kunst und Alltag, Arbeit und Herstellen. Die Arbeiten sind ästhetisch und politisch engagiert, das Vermögen der Betrachterin zu entwickeln, die Subjekte aus einer Vielzahl von Perspektiven heraus zu sehen. Diese Konsequenz zeigt sich auch in der neuesten Arbeit der Künstlerin, Eine andere Information. Die Interferenzen von Terzo Radio GAP, die als Premiere in dieser Ausstellung zu sehen ist. Diese neueste Arbeit enspringt einer Residenz 2015 in Genua, während der die Künstlerin einer lokalen Geschichte antifaschistischen Widerstands in den frühen 1970er Jahre begegnete, die ihr als Inspiration diente, weiter zu recherchieren und den beteiligten Personen nachzugehen. Sie hat etwas vom ungewöhnlichen Genre der Nebula, verkörpert im neuen italienischen Epos gesichts- und namenloser Kollektive von Aktivist_innen und Schreibenden als kollektive Persönlichkeit, jenem politischer Romane, die sich der Mittel der Kommunikationsguerilla bedienen, und kündigt neue Formen affirmativen Widerstands und direkter Aktion an, die in den Prozess der Kommunikation und der Massenmedien als ideologische und technologische Dispositive der Gesellschaft eingreifen und sich von anderen Mittel politischer Aktion wie auch vom Hacktivismus in Raum des Internets unterscheiden.
Text: Dimitrina Sevova in Zusammenarbeit mit Alan Roth
[Deutsch siehe oben]
A personal exhibition by Cora Piantoni
curated by Dimitrina Sevova
19 November - 31 December 2016
Opening: Saturday, 19 November, 17:00h
Opening Hours
Wednesday / Mittwoch, 15:00h – 18:00h
Thursday / Donnerstag, 16:00h – 19:00h
Friday / Freitag, 15:00h – 18:00h
Cora Piantoni’s personal exhibition at Corner College presents a selected body of works based on the artist’s continued research about working people and their communities, and the transformation of labor in the social factory and the geopolitics of work.
“Working slowly” is a protest song and popular workerist anthem in 1970s Italy: “Work slowly / And effortlessly / Work may hurt you / And send you to the hospital / Where there’s no bed left / And you may even die. / Work slowly / And effortlessly / Health is priceless.” In contrast to the slogans of the Italian workerist resistance in the 1970s, Cora Piantoni chooses as the main title of the exhibition an affirmative expression of the notion of work, sensitive to the systematic precarization characteristic of the neoliberal economy of late capitalism, the need for jobs for everyone, and a positive relation to work that can empower the struggles of the workers for a better life. The Italian greeting “buon lavoro” has a positive connotation and is used as a wish expressing one’s own emotional involvement in the work of someone. The English language has no idiom it could directly translate to. Occasionally, one might use phrases such as: I wish you every success in your work! – Have a good day at work! – Good luck with your work!
As a story teller, the artist follows the small narratives and undocumented oral history of ordinary working people, on the background of historical events like the Fall of the Berlin Wall, which shook the latitude and longitude of East-West and North-South in the economic dynamics, labor markets and the reorganization of production processes, reflected in changes in the notion of work and everyday life, with a special focus on manual workers and rather marginalized, unrecognized or unusual forms of invisible labor, like cleaning services, a climbing brigade, or ushers working in a GDR cinema, operators in studio cinemas, or, in an earlier work, conceptual artists who in Czechoslovakia did not follow the socialist-realist normative canon and preferred to make a living as stokers. The exhibition is set up on the consistency of the artist’s concept of an archeology of work, the materiality of the encounter, and the struggles of daily life and poetics of resistance of working people. The exhibited body of work contains anachronistic and retroactive aspects. Through the use of video tape rather than the newest HD formats, Piantoni addresses video technology as such, and as a method of work. The video works are based on interviews, realistic portraits that give space to the workers, in which the artist appears as a witness behind the mechanical eye, conceptually avoiding special effects or superimposing a preconceived artistic language either in the shooting process or in the montage. The image is sober, without formalization. With this approach, the artist foregrounds an unexpected presence rather than a representation of the subjects, the life of the ordinary workers as a work of art, mixing documentary fragments, archive material and poetic moments, driven by the rhythm of the direct speech of the subjects.
In the history of moving images and cinema, there are two main streams, one in the line of D. W. Griffith and Sergei Eisenstein, the other, the molecular revolution of everyday life of Dziga Vertov’s Man With the Movie Camera, who is a collector of the non-linearity of presence. In Cora Piantoni’s works, there is something of Vertov’s molecular sensibility. The artist inevitably asks about the borders between art and daily life, work and labor. The works are aesthetically and politically engaged to develop the ability of the viewer to see the subjects from a multiplicity of perspectives. This consistency manifests itself again in the artist’s newest work, Another Information: The Interferences of Terzo Radio GAP, which premieres in the exhibition. This latest work comes out of a residency in Genoa in 2015, where the artist encountered a local story from the Italian antifascist resistance of the early 1970s that became a motivation to further investigate and follow the characters involved. It has something of the unusual genre of Nebula, embodied in a new Italian epic of revolutionary faceless and anonymous collective of activists and writers, as a collective persona, of political novels as guerilla communication, and prefigures new forms of affirmative resistance and direct action that intervene in the process of communication and mass media as ideological and technological dispositives of the society that are distinct from other means of political action, as well as hacktivism in the space of the Internet.
Text: Dimitrina Sevova in collaboration with Alan Roth
Irene Müller über Cora Piantonis Ausstellung im Corner College, Kunstbulletin 12/2016, p. 77.
Wednesday, 07.12.2016
19:30h
Jennifer Bennett stellt ihr Buch SAVE vor, welches im September im Textem Verlag Hamburg erschienen ist. Dieses enthält wahre Begebenheiten und schildert Begegnungen und Gespräche mit existierenden Personen. Auf einer Reise werden unterschiedliche Protagonistinnen und Protagonisten gesucht und gefunden, um sie zu den Themen Selbstorganisation, Rebellion, Netzwerke, Territorium, Nation, Staatsangehörigkeit und mehr zu befragen. Es wird darin exemplarisch, welche Rolle Einzelne in der Gesellschaft und im eigenen Umfeld annehmen, und ist auch eine ganz persönliche Auseinandersetzung mit dem In-eine-Welt-geworfen-Sein, die von systemischen Aspekten bestimmt wird.
Aufgrund aktueller Ereignisse in den USA um die Dakota Access Pipelines wird die Buchvorstellung mit einigen Videobeispielen und einem gemeinsamen Brainstorming zur Frage der Solidarisierung und Formen von Engagement verbunden. Es zeigt sich, dass bei geplanten Grossprojekten 1000e Stimmen, die sich dagegen auflehnen, nicht berücksichtigt werden und häufig mit massiver Gewaltanwendung von Seiten des Staates zum Schweigen gebracht werden. Kurzfristige Profite stehen über der Erhaltung von Lebensgrundlagen, reichhaltige Umgebungen werden der Aufrechterhaltung des Kapitalismus geopfert. Die Frage, die sich stellt, ist das wirklich in unserem Sinn oder werden uns Bedürfnisse verkauft, welche uns die Opfer die wir bringen, vergessen lassen? Sind wir so resigniert, dass wir den Kopf noch tiefer in den Sand stecken oder möchten wir aktiv und miteinander überlegen, wie eine gangbare Überwindung des Gefühls der Hilflosigkeit aussehen würde? Wie müsste sich das Kräfteverhältnis verändern, damit die Stimme der Menschen genauso relevant wird, wie die Sprache des Geldes? Wie können diese Fragestellungen ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte gebracht werden und macht Kunstproduktion, welche im weitesten Sinn die Gegenwart archiviert Sinn, wenn parallel dazu alles getan wird, um eine mögliche Zukunft für alle zu verunmöglichen?
In diesem Brainstorming kann es nicht darum gehen, uns zu beklagen oder schnelle Lösungen zu finden, aber darum, dass wir uns diesen Fragestellungen mit ganzer Aufmerksamkeit zuwenden.
Weiterführende links zum Entstehungsprozess von SAVE und bisherigen Veranstaltungen:
http://jentleben.jbbooks.net/97-2/
http://www.oslo10.ch/episode5
http://www.2025ev.de/aktion_142.html