WoZ Nr. 28/92, 18.9 1992

Aktionen machen Mut

Alles dauert etwas langer

Die geistigen und körperlichen Fähigkeiten nähmen ab, schreibt Walter Stürm in seinem Brief vom 6. September, nach hundert Tagen Hungerstreik. Immerhin: Sie reichen noch aus, um festzustellen, dass der zu erwartende Prozess im Kanton Jura auf wackligen Russen steht.

Von Walter Stürm

Ich liege weiter hier, sehe mir dreimal täglich das Futter an, das sie mir auf den Tisch stellen, bewundere die schöne Komposition, warte darauf, dass sich etwas tut, und werde dabei immer dünner. Das Gewicht nimmt ab, auf jeden Fall meistens, denn letzte Woche habe ich 900 Gramm zugenommen, weil der Wasserabfluss, oder wie man dem sagt. offenbar nicht so recht geklappt hat, denn diese Zunahme sah man an den Beinen und nicht am Bauch, wie das sonst üblich ist. Auch die Fähigkeit, mit dem Kopf zu arbeiten, hat sich verringert, es ist nicht so, dass ich nichts mehr hinkriege, nur dauert eben einfach alles etwas länger.

Dass das instruktionsrichterliche Haus und Fortbewegungsmittel «umlackiert» wurde, konnte ich der hiesigen Presse entnehmen, und natürlich hat mich das aufgestellt, denn so direkt betroffen zu werden, wirkt doch etwas anders, als nur einfach eine schlechte Presse zu haben. Solche Verschönerungen sind auch hier am Zellentrakt und am Haus, in dem der Sekretär des Justiz- und Polizeidepartements, also der Genfer Weilenmann, wohnt, sowie in dessen Umgebung angebracht worden und sollen sich dem Vernehmen nach nun in der ganzen Stadt Genf ausbreiten. Als ich früher einmal durch St. Gallen fuhr, las ich dort auf einer Mauer «Freiheit für Walter Stürm», und wahrheitsliebend, wie ich nun halt mal bin, bin ich sofort zum nächsten Farbengeschäft gefahren, habe einen Spray gekauft und dann unter die Mauerinschrift gesprayt: «i bi jo dusse». Jetzt muss ich mir wohl überlegen, was das auf französisch heisst. All das sind für mich natürlich grosse Aufsteller, die mir viel Kraft geben.

Als ich von der in Sitten geplanten Demo hörte, habe ich mir überlegt, wie wohl die völlig demoungewohnten Walliser Bergpolizisten auf so demoerprobte angereiste Leute reagieren werden, und bei der Vorstellung bin ich fast geplatzt vor Lachen. Dem Vernehmen nach ist deren Reaktion dann ziemlich so gewesen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Für mich war diese Demo auch moralisch eine grosse Unterstützung, und ich möchte allen dafür danken.

In der letzten Zeit habe ich die Jura-Akten studiert. und darin habe ich absolut nichts gefunden, was mich von der Beweislage her auch nur irgendwie belasten könnte. Nach diesem Aktenstudium habe ich mir gedacht, dass es schon eines unter Verhältnisblödsinn leidenden Untersuchungsrichters bedarf, um mich auf dieser Basis anzuklagen. Er wird am Ende des Verfahrens mit abgesägten Hosen dastehen. Was dieser Instruktionsrichter abgeliefert hat, ist ein manipuliertes Dossier, in dem die mich entlastenden Aussagen weggelassen wurden, wo ein grössenwahnsinniger Polizist in einem schön bebilderten Bericht darlegt, dass eine Menge Leute mich förmlich identifiziert hätten, wo aber diese «Zeugen» dann bei der instruktionsrichterlichen Befragung von dieser Identifizierung merkwürdigerweise nichts wissen wollten. Alle Anschuldigungen basieren allein auf der Aussage eines angeblichen Komplizen, die dieser gemacht hat, als ich weit weg in Spanien war. Und vermutlich hat er diese Falschaussagen nur gemacht, weil ihn die Polizisten sehr massiv unter Druck setzten (er war isoliert, durfte nicht allein mit seinem Anwalt sprechen, kriegte keine Kleider, keine Wäsche zum Wechseln, keine Toilettenartikel, kein Radio, kein TV, wurde nicht zum Coiffeur zugelassen und wurde bis in die Nacht hinein verhört) und weil ihm die Polizisten vermutlich auch sagten, wenn er wie gewünscht aussage, dann könne er danach zur Verbüssung seiner Reststrafe nach Regensdorf zurück. Der angebliche Komplize hat sich vermutlich gesagt, die Sache werde für ihn ohnehin ein dickes Ende nehmen, also sei die Alternative die Kurve, und die werde er dann von Regensdorf aus schon schaffen. Auch in dieser Beziehung haben sie ihn verarscht, denn er sitzt noch immer unter erbärmlichen Bedingungen im Jura in Untersuchungshaft, und all seine Fluchtversuche sind leider in die Hosen gegangen. Ich schreibe bewusst leider, denn ich habe ihn als wirklich guten Typen, auf den man sich verlassen konnte, in Regensdorf kennen- und schätzen gelernt. Dass er mich fälschlicherweise belastet hat, kann ich mir nur durch einen ungeheuren Druck, der auf ihn ausgeübt wurde, erklären. Im Knast von Pruntrut wurden ihm lange Zeit selbst die minimalsten vom Bundesgericht vorgeschriebenen Rechte wie eine Stunde täglicher Spaziergang, TV usw. vorenthalten.

Unfassbar ist, dass dieser Instruktionsrichter Pierre Seidler von Pruntrut mich nie mit diesem angeblichen Komplizen konfrontierte - obwohl ich jede Beteiligung bestritt und alles allein auf dessen Aussage basiert - und die Untersuchung ohne eine solche Konfrontation abschloss. Dabei ist es völlig klar, dass die Aussagen dieses Gefangenen rechtlich nur einen Wert haben, wenn sie in meiner Gegenwart erfolgen, ich also dazu Stellung nehmen kann.

Die von der Polizei informierte Presse hat natürlich wie üblich, schon lange bevor dieser Mann irgendwelche mich belastende Aussagen machte, geschrieben, es sei der Komplize von Walter Stürm verhaftet worden. Aber das war ja auch schon im Wallis so und ist demnach nichts Neues. Man muss wohl damit leben, dass es bei der Polizei Hellseher wie der grosse Mondini gibt, einfach mit dem kleinen Unterschied, dass das, was der grosse Mondini sagte, am Ende dann auch stimmte.


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Walter Stürm / Pressebüro Savanne / savanne@savanne.ch
Letzte Änderung 2000-09-30