WoZ Nr. 28/92, 10.7 1992 (S. 31)

Walter Stürm: Brief aus Brig

Keine andere Wahl

Seit über einem Monat ist Walter Stürm im Hungerstreik. Er fordert den Abschluss der Untersuchung gegen ihn, die seit Jahren verschleppt wird. In einem Brief schreibt der ewige Untersuchungsgefangene, warum er sich umbringen wollte und wie sein Kampfgeist wieder erwacht ist.

Von Walter Stürm

Meine Haftbedingungen sind, von dem kurzen Aufenthalt in Lausanne abgesehen, seit dem 23. Januar 1990 immer dieselben. Ich war 23 Stunden pro Tag allein in der Zelle, spazierte eine Stunde allein im Spazierkäfig, hatte keinen Kontakt zu den ändern Knackis, durfte nicht telefonieren, keinen Besuch von Medienschaffenden empfangen, und meine Gesprächsmöglichkeiten beschränkten sich auf die Besuche. Diese Haftbedingungen wurden vom Direktor der kantonalen Strafanstalten in Sitten, der der Chef aller Walliser Knäste ist, in Zusammenarbeit mit dem Instruktionsrichter Jo Pitteloud festgelegt, wobei der erstere und sein Stellvertreter nichts anderes als die Erfüllungsgehilfen des letzteren sind.

Ich habe diesmal den Fehler gemacht, dass ich zu lange, ohne mich zu wehren, auf die Gerichtsverhandlung wartete, weil ich mir sagte, die Beweislage sei für mich gut, und da das Strafverfahren seit 1985 laufe, könne es bis zur Verhandlung nicht mehr lange dauern. Als mir dann klar wurde, dass ich mich wehren müsste, weil da ganz bewusst verschleppt wurde, war ich als Folge der langen Isolationshaft, die natürlich nicht spurlos an mir vorüberging, nicht mehr in der Lage, mich zu wehren.

Ich habe dann sehr lange Zeit sozusagen auf dem Drahtseil balanciert und mich von einem Tag zum nächsten weitergezogen, und psychisch hat's mich von einem Extrem ins andere geworfen. Irgendwann bin ich dann abgestürzt und habe 130 Rohypnol und zwei andere Schlaftabletten eingeworfen.

Wenn ich heute darüber nachdenke, dann ist mir klar, dass dies bei derartigen Haftbedingungen und einer so langen Dauer zwangsläufig irgendwann passieren musste, die Frage war lediglich, wann und wie. Ich bin mit einer Riesenwut im Bauch im Inselspital aufgewacht. Eine Wut hatte ich, weil es mir nicht gelungen war, und vor allem auch, weil mir sofort klar 'wurde, wie blöde ich gewesen war zu versuchen, mich selbst umzubringen. Denn wenn da jemand umzubringen war, dann war das doch nicht ich. Ich habe dann um eine Schreibmaschine gebeten und habe dem Instruktionsrichter Pitteloud, so gut ich das konnte, geschrieben, was ich von ihm denke, und habe ihn informiert, dass ich mich im Hungerstreik befinde und diesen nicht abbrechen werde, ehe ich vor Gericht stehe.

Seit dem 14. Juni kann ich hier den täglichen Spaziergang im Spazierkäfig zusammen mit einem Franzosen machen. Ich hatte noch Glück, denn immerhin hätte es sich bei diesem Spazierpartner ja auch um einen nur seiner Muttersprache mächtigen Chinesen handeln können.

Am 15. Juni wurde ich durch den Instruktionsrichter Pitteloud, der sich den Rücken durch einen Schreiberling gestärkt hatte, aufgesucht. Er hat sich über Lügen, die ich seiner Ansicht nach verbreite, ereifert und hat, als medizinischer Fachmann, der er offenbar auch noch ist, sofort lautstark festgestellt, dass das, was ich gemacht hätte, nur reines Theater gewesen sei und mir gar nichts hätte passieren können. Nun, die Ärzte haben das anders gesehen, aber als medizinischer Laie und auch weil ich, im Gegensatz zum Instruktionsrichter Pitteloud, keinen Zeugen mitbringen konnte, habe ich mich jeglichen Kommentares enthalten. Trotzdem verlief dieser Besuch äusserst turbulent, wobei ich zu dieser Turbulenz mit Worten wenig beitrug.

Am 24. Juni standen plötzlich viele Leute vor dem Knast, entfalteten ein Solidaritätstransparent, Hessen Knallraketen los und spielten über Lautsprecher Lieder meines Lieblingssängers Harry Belafonte ab. Für mich war diese Unterstützungsdemo ein Riesenaufsteller, etwas, was Kraft gibt. Nach einer Viertelstunde beendeten dann die Polizisten meinen Genuss dadurch, dass sie auf den Knopf drückten und die vordem Panzerglaszellenfenster angebrachten Stören runterliessen und so mir von den ändern Knackis die Sicht raubten. Das ist so das Niveau der Leute, die einem früher in Diskussionen mangels Argumenten entgegengerufen haben: «Geh doch nach Moskau. »Aber im Wallis ist halt noch vieles wie früher, zum Teil wie im Mittelalter.

Mir geht es gut, das Gewicht und die körperliche Kraft nehmen ab, aber die Moral ist, wie immer wenn ich streite, gut, und es ist völlig klar, dass der Hungerstreik mit allen Konsequenzen weitergehen wird, bis ich erreicht habe, was ich will, oder es mich eben nicht mehr gibt. Wenn ich nicht durch den Knast kaputtgehen will. habe ich gar keine andere Wahl.


Wir sind froh um Kommentare und Anregungen!
Zurück zu unserer Hauptseite.
Zurück zu Walter Stürm.

Walter Stürm / Pressebüro Savanne / savanne@savanne.ch
Letzte Änderung 2000-09-30