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Der «Ausbrecherkönig» sitzt still und alleine
Von Markus Rohner
Seit bald vier Monaten sitzt «Ausbrecherkönig» Walter Stürm im Kanton Thurgau in Untersuchungshaft. Doch der Mann, der einst eine halbe Nation in Aufregung versetzt hat, ist ein einsamer Häftling geworden. Der Sympathieträger von einst löst heute keine Emotionen mehr aus.
Frauenfeld. Die politische Schweiz war am 10. März gerade mit der Bundesratswahl beschäftigt, als die Thurgauer Kantonspolizei die Verhaftung von Walter Stürm bekanntgab. Wenige Kilometer von seinem Elternhaus entfernt soll er die Filiale Horn der Thurgauer Kantonalbank überfallen haben.
Als Walter Stürm im August 1942 als Sohn eines Holzhändlers in Rorschach auf die Welt kam, deutete nichts auf die späteren Brüche in seinem Leben hin. Von Kindsbeinen an war der gelernte Karosseriespengler fasziniert von Autos und Motoren. «Sicher ist, dass ich der Autos wegen anfing zu delinquieren», sagte Stürm einmal zu Journalisten. Zu Beginn seiner schiefen Laufbahn stand ein richtiger Lotus der Formel l in der Garage, 220'000 Franken wert und gestohlen. Das war vor über 30 Jahren. Von Einbrüchen und Diebstählen ist er seither nicht losgekommen.
Ein stressiges und aufwendiges Leben hat Walter Stürm geführt: Über 50 Wohnungen musste er einrichten und viele fluchtartig wieder verlassen. Wo er das gestohlene Geld aufbewahre, wollte im letzten Sommer das Magazin «Facts» wissen? «Dort, wo alle anderen auch: Auf der Bank. Nur lauten die Konten nicht auf meinen Namen.» So zahlreich die Diebstähle auch waren, Gewalt will Stürm auf seinen kriminellen Touren nie angewandt haben. «Gewalt», sagte er einmal, «ist mir zutiefst zuwider.» Wurde er geschnappt, wie zuletzt am 10. März auf der Poststelle in Herisau, liess sich Stürm von der Polizei widerstandslos verhaften. Das vermittelte in der Öffentlichkeit während Jahren das Bild des freundlichen Gentleman-Gangsters und harmlosen Kleinkriminellen, der es eigentlich gar nicht so böse meint.
Ein Leben voller Fluchten
«Ein hartnäckiger Delinquent, der vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt», warnte dagegen 1992 die Zürcher Justizdirektorin Hedi Lang. Die NZZ schrieb von einem gefährlichen Kriminellen, der während seiner Karriere nur deshalb unterschätzt worden sei, «weil er nicht so dumm ist, selber auf Menschen zu schiessen».
Stürms Leben ist geprägt von Verhaftungen und Fluchten. Einmal im Gefängnis, dauert es in der Regel nicht lange, bis er den Weg in die Freiheit zurückfindet. Unter dem Gelächter jener, die im Staat und seinen Organen alles Schlechte sehen, und den Ausreden derer, die als Ordnungshüter vom «Ausbrecherkönig» wieder einmal übertölpelt worden sind, avancierte Stürm bald zum bekanntesten Einbrecher der Schweiz. Doch die staatlichen Organe liessen sich von ihm immer weniger an der Nase herumführen. Mit Isolationshaft versuchten sie den renitenten Einbrecher zu beugen. «Die Isolationshaft ist eine Todesstrafe auf Raten», ist Stürm überzeugt. «Ohne meine Fluchten, auf denen ich einigermassen normal leben und mich erholen konnte, wäre ich längst kaputt.»
Stürms Isolationshaft hat Anfang der achtziger Jahre vorab in linken Kreisen eine Welle der Solidarität ausgelöst. Ärzte, Schriftsteller, Journalisten, Lehrer und Rechtsanwälte machten sich für Walter Stürm stark. Demonstrationen wurden organisiert und der Slogan «Freiheit für Stürm» war in dieser Zeit auf vielen Mauern zu lesen. Ein Komitee gegen Isolationshaft hielt 1980 eine Pressekonferenz ab und nannte die verantwortlichen Behörden kurzerhand «Meuchelmörder».
«Ich kann nicht lügen», sagt er
Ein Jahr später, an Ostern 1981, nahm der zum Mythos avancierte Ostschweizer wieder Abschied und flüchtete mit Hilfe der Zürcher Jugendbewegung in Regensdorf aus seiner Zelle. «Bin Eier suchen gegangen», teilte er den verdutzten Wächtern noch schriftlich mit. Die Persönlichkeiten, die sich Monate zuvor für einen «sofortigen Haftunterbruch» eingesetzt hatten, waren prompt dem Gelächter rechtschaffener Bürger ausgesetzt.
Seit dem 11. März wird Walter Stürm im Untersuchungsgefängnis von Frauenfeld festgehalten. Einer Beschwerde auf vorzeitige Haftentlassung hat das Bundesgericht nicht stattgegeben. In der U-Haft verweigert Stürm, wie er es früher gegenüber Behörden oft getan hat, bis heute jede Auskunft. «Ich kann nicht lügen, weil man mir das ansieht», hat der notorische Einbrecher einmal gesagt. In den Jahren der Gefangenschaft hat er sich zusammen mit seinen Anwälten vertiefte juristische Kenntnisse angeeignet. Der Kanton Jura musste 1991 eine neue Gefängnis-Verordnung erlassen, nachdem Stürm festgestellt hatte, dass sie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widersprach.
Ausbrüche und Hungerstreiks
Nun aber hat Walter Stürm, in den siebziger und achtziger Jahren Symbolfigur gegen Isolationshaft und für liberalen Straftvollzug, seinen Nimbus eingebüsst. Aus dem 57jährigen, der früh ausgestiegen ist, ungezählte Straftaten begangen hat, zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden ist, mit Hungerstreiks auf sich aufmerksam gemacht hat und acht Mal aus Gefängnissen ausgebrochen ist, ist ein gesundheitlich angeschlagener Mann geworden.
Auf die Frage, ob ihm das Leben leichtergefallen wäre, hätte er sich den gängigen Normen der Gesellschaft angepasst, gab Stürm vor sechs Jahren eine klare Antwort: «Nein, denn dann hätte ich nicht gelebt.» Gegen Ungerechtigkeiten müsse man sich wehren, und genausowenig wie eine Frau nur ein bisschen schwanger sein könne, könne es nur ein bisschen Recht geben.
Recht oder Unrecht? Am 20. Oktober 1998 wurde er aus dem Strafvollzug entlassen, nachdem er eine mehrjährige Zuchthausstrafe wegen Raubes, Diebstahl und anderer Delikte in der Tessiner Strafanstalt «La Stampa» verbüsst hatte. Die Freiheit währte nicht lange. Anders als früher mag sich heute niemand mehr für den «Gentleman-Gangster» stark machen. Vor den Toren des Frauenfelder Gefängnisses kommt es zu keinen Demonstrationen und der zuständige Verhörrichter wird nicht mit Petitionsbögen von Stürm-Anhängern eingedeckt. Die Kriminalromantik der achtziger Jahre scheint endgültig verflogen.