MENSCHENRECHTE IN CHIAPAS –
ZUM BESUCH DER INTERNATIONALEN KOMMISSION ZUR BEOBACHTUNG DER MENSCHENRECHTE
IN MEXIKO
Das Blutbad an 45 indianischen Männern, Frauen und Kindern, das
am 22. Dezember 1997 in Acteal, Chiapas, verübt wurde, brachte diesen
mexikanischen Bundesstaat erneut auf die Titelseiten der Weltpresse. Das
Massaker an Mitgliedern der Zivilbevölkerung erfolgte nur zwei Wochen
nach der Vorunterzeichnung eines Sonderabkommens zwischen Mexiko und der
Europäischen Union, das eine Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen
zwischen dem mexikanischen Staat und der Gemeinschaft der europäischen
Staaten vorsieht. Dieses Abkommen zur wirtschaftlichen und politischen
Zusammenarbeit, das im Laufe dieses Jahres von den nationalen Parlamenten
und dem Europaparlament ratifiziert werden muss, ist an die Erfüllung
einer sogenannten "Menschenrechtsklausel" gebunden. Diese Klausel bestimmt,
dass von der Unterzeichnung des Abkommens abzusehen ist bzw. die in dem
Abkommen vorgesehenen Handelserleichterungen und wirtschaftlichen Förderungsmassnahmen
einzustellen sind, falls es im Zuständigkeitsbereich einer der beiden
unterzeichnenden Seiten zu systematischen Verletzungen der Menschenrechte
kommt bzw. der begründete Verdacht von solchen Verletzungen vorliegt.
Die seit Sommer 1997 zunehmenden Nachrichten über Vertreibungen,
Verhaftungen und Ermordungen von Mitgliedern der mit den ZapatistInnen
sympathisierenden Zivilbevölkerung, die in den Ereignissen von Acteal
ihren vorläufigen Höhepunkt fanden, und die Tatsache der unmittelbar
bevorstehenden Unterzeichnung des erwähnten Sonderabkommens führte
Ende Dezember zur Bildung einer Menschenrechts-Beobachtungskommission der
"europäischen Zivilgesellschaft". Diese Initiative ging zwar ursprünglich
von Solidaritätsgruppen mit Chiapas aus, sprengte aber in kürzester
Zeit diesen Rahmen. So wurde der Aufruf zur Bildung der Kommission von
zahlreichen Organisationen, ParlamentarierInnen, Intellektuellen, SchriftstellerInnen
und KünstlerInnen aus ganz Europa unterzeichnet (u.a. von Dario Fo,
José Saramago und Manuel Vazquez Montalban). An der Kommission selbst
nahmen über 200 VertreterInnen von sozialen Organisationen, Menschenrechtsorganisationen,
Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Parteien, Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens und Einzelpersonen aus 11 Ländern teil.
Arbeitsweise der Beobachterkommission
Der gemeinsame Ansatzpunkt für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen
der Kommission war ihre Sorge um die Wahrung der Menschenrechte und die
Erwägung, dass es sich dabei um universale Werte handelt, die keinen
nationalen Beschränkungen unterliegen. Ganz im Sinne der Genfer Deklaration
der Menschenrechte, die von den meisten Regierungen der Welt, einschliesslich
der mexikanischen, unterzeichnet worden ist.
Die Kommission verfolgte in ihrer zweiwöchigen Reise durch Mexiko
das Ziel, ein Höchstmass an Informationen zusammenzutragen, Gespräche
mit allen am Konflikt beteiligten Seiten zu führen und das Konfliktgebiet
zu besuchen, um auf diese Weise einen möglichst umfassenden Bericht
über die Problematik des Konflikts in Mexiko und Chiapas zusammenzutragen.
Die Kommission ging bei ihren Untersuchungstätigkeiten von einer
breiten Auslegung des Begriffs der Menschenrechte aus. So bildete die Beobachtung
der Wahrung der sozialen Rechte (die Menschenrechte der zweiten Generation,
wie es in der Fachsprache heisst) einen festen Bestandteil der Tätigkeiten
der Kommission. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, wurden
verschiedene Arbeitsbereiche mit einem speziellen Augenmerk auf folgende
Aspekte bestimmt: Gesundheit, Erziehung, Militarisierung, Situation der
Frauen, Achtung der indianischen Sitten und Bräuche und Rechtslage.
Gespräche und BeobachterInnentätigkeiten der Kommission
Die Arbeit der Kommission in der Zeit zwischen dem 16. und 28. Februar
1998 lässt sich in drei Hauptbereiche untergliedern:
1. Gespräche mit VertreterInnen von Behörden, Parteien und
Instanzen.
In diesem Zusammenhang wurden unter anderem Gespräche mit dem
Innenminister, der Aussenministerin, dem Bundesstaatsanwalt, mit einer
Delegation der parlamentarischen Hilfsinstanz COCOPA und der kirchlichen
Vermittlungsinstanz CONAI, mit dem Interimsgouverneur von Chiapas, mit
den Landesvorsitzenden der im chiapanekischen Parlament vertretenen Parteien,
mit dem Präsidenten des Parlamentes von Chiapas, mit einem Verantwortlichen
der Migrationsbehörde und mit RepräsentantInnen der staatlichen
Menschenrechtsorganisationen geführt. Von Seiten der Verantwortlichen
der Polizei und der Armee wurden keine Gesprächstermine gewährt.
2. Besuche im Konfliktgebiet.
Hier wurden die Aussagen der Betroffenen (Flüchtlinge und zapatistische
Zivilbevölkerung) entgegengenommen und soweit als möglich Gespräche
mit VertreterInnen der "Gegenseite" (lokale Repräsentanten der Staatspartei,
Mitglieder der paramilitärischen Gruppen, Verantwortliche von Militär-
und Polizeiposten) geführt.
In diesem Zusammenhang wurden unter anderem die Region besucht, in
der sich die Gemeinschaft Acteal befindet; die sogenannte Zona Norte, in
der eine starke Präsenz von Paramilitärs zu verzeichnen ist;
die fünf "Aguascalientes" (Versammlungs- und Koordinationsorte im
zapatistischen Einflussgebiet mit Übernachtungsmöglichkeiten,
Bibliotheken und Krankenstationen) und verschiedene "autonome Gemeinden"
(nach Unterbrechung des Dialogs zwischen der EZLN und der Regierung hat
die zapatistische Zivilbevölkerung aufgrund der Nichterfüllung
der Abkommen von San Andrés über indigene Rechte und indigene
Kultur beschlossen, die Abkommen von San Andrés in die Tat umzusetzen
und sich in sogenannten autonomen Dörfern zu organisieren).
3. Gespräche und Zusammenkünfte mit verschiedenen zivilen
und sozialen Organisationen, die im Konfliktgebiet tätig sind.
Diese Gespräche und Zusammenkünfte wurden mit dem Ziel durchgeführt,
einen tieferen Einblick in die Problematik des Konflikts zu bekommen, und
bildeten einen wesentlichen Bestandteil des Versuchs, einen Austausch zwischen
der europäischen und mexikanischen Zivilgesellschaft zu verwirklichen.
Beziehung der BeobachterInnenkommission mit den mexikanischen Behörden
und Zwischenfälle während des Aufenthalts der Kommission
Die Mitglieder der Kommission reisten ausgestattet mit einem sogenannten
FM-3-Visum in Mexiko ein. Dieses Visum, das normalerweise für die
Dauer eines Jahres gewährt wird, wurde den meisten Mitgliedern der
Kommission nach Vorverhandlungen mit den entsprechenden mexikanischen Dienststellen
und nach Entrichtung einer Gebühr, die je nach Herkunftsland zwischen
120,- und 180,- DM/100.- und 150.-SFr schwankte, ausgestellt. Einige Botschaften
und Konsulate verweigerten die Ausstellung dieses Visums. Nach Gesprächen
mit dem mexikanischen Aussenministerium erhielten die von dieser Weigerung
betroffenen KommissionsteilnehmerInnen das Visum, jedoch gegen einen zusätzlichen
Aufpreis in Mexiko-Stadt.
Grundsätzlich lässt sich anmerken, dass der Kontakt mit den
mexikanischen Behörden in der Regel von einer ausgesprochenen Freundlichkeit
in der Form und einer ausserordentlichen Härte in der Sache gekennzeichnet
war. Im allgemeinen drängte sich der Verdacht auf, dass die mexikanischen
Behörden versuchten, den Besuch der Kommission für ihre eigenen
Interessen zu nutzen.
Dies bezieht sich nicht nur auf die Tatsache, dass die Gewährung
der Besuchserlaubnis gegenüber den europäischen Institutionen
als Zeichen für das unparteiische Verhalten der Regierung im chiapanekischen
Konflikt dargestellt wurde. Der Verdacht wird auch dadurch bestärkt,
dass die regierungstreuen Medien kurz vor Beginn des Besuchs der Kommission
eine bis dato in diesen Ausmassen unbekannte Kampagne gegen die Anwesenheit
von AusländerInnen in Chiapas starteten. Die Medienkampagne, die vom
staatlichen Fernsehsender TV Azteka angeführt wurde, versuchte auf
teilweise unglaublich demagogische Art zu "beweisen", dass die AusländerInnen
die unwissenden "Indios" für ihre antimexikanischen Zwecke manipulieren
würden und deshalb für die Fortdauer des Konflikts verantwortlich
wären. Parallel zu der Kampagne in Rundfunk, Fernsehen und Presse
verfügten die dem Innenministerium unterstehenden mexikanischen Migrationsbehörden
mehrere Ausweisungen gegen in Chiapas lebende AusländerInnen. Besonders
hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Verhaftung und sofortige
Ausweisung des französischen Priesters Michel Chanteau, der seit 30
Jahren im Land gelebt hatte, und des ehemaligen Vorsitzenden der nordamerikanischen
Gruppierung "Pastoren für den Frieden", der auf offener Strasse aufgegriffen
und ohne jegliche Anhörung in die USA ausgewiesen wurde.
Auch verschiedene TeilnehmerInnen der Kommission waren fremdenfeindlichen
Druckmassnahmen ausgesetzt. So wurden Mitglieder der Kommission, die mit
der Verabredung der Gesprächstermine beauftragt waren, einer ständigen
Beschattung ausgesetzt. Personen, die mit diesen Delegierten gesehen wurden,
wurden nach den Absichten und Aufenthaltsorten dieser Delegierten befragt.
Obwohl den Behörden die Reiserouten der BeobachterInnen bekannt waren,
wurden diese an den zahlreichen Strassensperren der Migrationsbehörde
teilweise stundenlangen Überprüfungen ausgesetzt.
Andererseits muss darauf hingewiesen werden, dass die Kommission verschiedene
von den paramilitärischen Gruppen kontrollierte Gebiete aufgrund der
lebensgefährlichen Lage nicht besuchen konnte und dass der Versuch,
die Gegend von Sabanilla im Norden von Chiapas zu bereisen, von einer Gruppe
von etwa 200 SympathisantInnen und Mitgliedern der Staatspartei PRI physisch
verhindert wurde. Bezeichnend für die gegenwärtige Lage in Chiapas
war dabei, dass die Strassensperre, welche die Durchfahrt der Kommission
blockierte, sich in unmittelbarer Nähe eines Postens der Landespolizei
befand, die dem Geschehen und den Drohgebärden der Blockierer ungerührt
bis amüsiert zuschauten.
Es darf hierbei auch nicht unerwähnt bleiben, dass der chiapanekische
Bauer José Tila Lopez Garcia, Flüchtling aus der Zona Norte,
am 22. Februar 1998 von Mitgliedern der paramilitärischen Gruppe Paz
y Justicia ermordet wurde, als er sich auf dem Rückweg von einem Besuch
bei der BeobachterInnenkommission befand, um dieser die Anklagen seiner
Gemeinschaft über Menschenrechtsverletzungen zu übergeben. Obwohl
die Überlebenden des Hinterhalts die Angreifer namentlich benennen
konnte, sind bis zum heutigen Zeitpunkt keine Massnahmen gegen die Aggressoren
ergriffen worden.
Zum vorliegenden Bericht
Im Verlauf ihres Aufenthalts in Mexiko hat die Kommission zahlreiche
Gespräche mit den verschiedensten Konfliktbeteiligten geführt,
über 50 indianische Gemeinschaften besucht und 93 schriftliche Anklagen
über Verletzungen der Menschenrechte entgegengenommen. Bei allen Besuchen
und Gesprächen wurde ein Protokoll aufgenommen. Am 18. März 1998
wurde der mehr als 150 eng beschriebene Seiten umfassende Bericht der Kommission,
der die genannten Protokolle und die Schlussfolgerungen und Empfehlungen
der Kommission enthält, in mehreren europäischen Ländern
vorgestellt.
Die vorliegende Zusammenfassung auf Deutsch stellt eine repräsentative
Auswahl der Texte des Berichts dar und gliedert sich wie folgt:
I. Besuche in indianischen Gemeinschaften
II. Interview mit der EZLN
III. Gespräche mit mexikanischen Instanzen und Organisationen
IV. Schlussfolgerungen und Empfehlungen der BeobachterInnenkommission
Der vollständige Bericht auf Spanisch kann über das Sekretariat
der Kommission gegen einen Unkostenbeitrag von 1.000,- Peseten bestellt
werden. Anfragen und Bestellungen sind bitte zu richten an: Secretaria
de la Comisión Civil de Observación por los Derechos Humanos,
C/Cera 1 bis, E-08001 Barcelona, Tel: 00 34 3 442 21 01 Fax: 00 34 3329
08 58, e-mail: ellokal@pangea.org zu richten.
Der Bericht auf Spanisch kann auf der folgenden Homepage abgerufen
werden: "http://www.pangea.org/ellokal/CCIODH Die vorliegende Zusammenfassung
auf Deutsch auf der Homepage: "http://www.savanne.ch/.
Oder bei Direkte Solidarität mit Chiapas
Postfach 8616
8036 Zürich
Tel./Fax.: 01/400 45 69
I.
BESUCHE DER INTERNATIONALEN BEOBACHTERiNNENKOMMISSION IN INDIANISCHEN
GEMEINSCHAFTEN UND FLÜCHTLINGSDÖRFERNI.1. BESUCH EINER DELEGATION
DER INTERNATIONALEN BEOBACHTERiNNENKOMMISSION IM GEBIET VON POLHO. 18.2.1998
Lage des GebietesIn der Nacht nach dem Blutbad von Acteal flohen ca.
3.500 oppositionelle Indigene der Region in Begleitung einer Hilfskarawane
nach Chenalhó. Mit diesem Massenexodus ist die Zahl der Flüchtlinge,
die sich, über verschiedene Lager verteilt, auf dem Gemeindegebiet
der autonomen Gemeinde Chenalhó aufhalten, auf über 10.000
Personen angestiegen. Das Gebiet liegt etwa eine Autostunde von San Cristobal
de las Casas entfernt. Polhó ist der Gemeindesitz der autonomen
Gemeinde Chenalhó, die aus 42 Gemeinschaften besteht und sich mit
den elf anderen autonomen Gemeinden aus dem Gebiet Los Altos koordiniert.
Um die Gespräche in den teilweise mehrere Wegstunden voneinander
entfernten Flüchtlingslagern durchführen zu können, teilte
sich die Kommission in mehrere Gruppen auf, welche die Lager 3, 4, 5, 6,
Cocal-2 und die Gemeinschaften Casa de la Luna und Poconichim besuchten.
Die Flüchtlinge aus diesen Lagern erklärten übereinstimmend,
dass sie es aufgrund der Angst vor Angriffen durch die Paramilitärs
nicht wagen würden, die Lager zu verlassen, weshalb sie für alles
Lebensnotwendige auf die Hilfe von aussen angewiesen seien. Die Flüchtlinge
leben unter freiem Himmel. Als einzigen Schutz vor der Kälte verfügen
sie über rudimentäre Hütten aus Plastikplanen und Pappkartons,
die mit Zweigen zusammengehalten werden. In jeder dieser "Unterkünfte"
schlafen zwischen sechs und 15 Menschen.
In den Lagern gibt es praktisch keine sanitären Einrichtungen.
Alle Flüchtlinge leiden an Unterernährung, die wiederum das Krankheitsbild
der Bevölkerung bestimmt: Krankheiten der Atemwege, Magen-Darm-Krankheiten
und Hautparasiten sind in diesem Zusammenhang die verbreitetsten Leiden.
Mehrere Kinder sind bereits an Lungenentzündung gestorben.
In den Flüchtlingsgemeinschaften gibt es keine Schulen. Viele
Flüchtlinge sprechen kein Spanisch.
Aussagen der Betroffenen
Der Vertreter des autonomen Gemeinderates erklärte unter anderem:
"Es ist zu vielen Toten, verbrannten Häusern und Tausenden von Flüchtlingen
gekommen, seitdem die Indigenen der Region beschlossen haben, sich in Autonomen
Gemeinden zu organisieren, um die aktive Beteiligung der BürgerInnen
zu fördern und für ihre gerechte Forderungen zu kämpfen".
Er erklärte ausserdem: "Die Autonomie heisst keine Abtrennung vom
Staat, sondern soll die Teilnahme der indianischen BürgerInnen fördern.
Die Verfassung sagt, dass alle ein Recht auf die Nutzung von Land und Wäldern
haben... Die Autonomie soll nicht die Nation zerstören, sondern alle
Indigenen und nicht-Indigenen zusammenbringen, damit es endlich Gleichheit
gibt."
Die Erklärungen der Flüchtlinge für die Gründe
der Flucht aus ihren Heimatgemeinden stimmen weitgehend überein. In
ihren Gemeinde sei es ständig zu Tiefflügen von Militärflugzeugen
gekommen, häufig seien Soldaten und Mitglieder der Landespolizei unerlaubt
in ihre Gemeinschaften eingedrungen und hätten diejenigen bedroht,
die sie nach dem Grund für ihre Anwesenheit gefragt hatten. Auch die
Klagen über den Raubbau der Wälder und die Einrichtung von Militärcamps
auf den Gemeindegebieten sind überall zu hören.
Die Flüchtlinge zeigen den Diebstahl bzw. die Zerstörung
von Hausrat, Maschinen, Tieren, Ernten und Werkzeugen durch die Paramilitärs
an und beschuldigen diese, die Bevölkerung mit Waffengewalt aus den
Gemeinschaften zu vertrieben und danach ihre Häuser zerstört
und angezündet zu haben. Es soll dabei zu mehren Toten und Verletzten
gekommen sein. Die Flüchtlinge bezeichnen die Paramilitärs namentlich
und klagen die priistischen Gemeindeverantwortlichen des Kaufs von Waffen
an, die in "weissen Krankenwagen gebracht" und danach unter diesen Verantwortlichen
verteilt worden seien.
Andere Flüchtlinge berichten, dass die paramilitärischen
Banden in einigen Gemeinschaften Gebühren zwischen 10.000 und 15.000
Pesos von den BewohnerInnen verlangt hätten und dass diese bei Nichtentrichtung
der Gebühr "gefoltert und ermordet wurden". Auch einige Priisten hätten
nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, weshalb
sie ihre Gemeinschaften gemeinsam mit den Indigenen der zapatistischen
Unterstützungsbasis verlassen mussten.
Die Flüchtlinge in Poconichim berichteten, dass sie in ihren Heimatgemeinden
von priistischen Paramilitärs der Gruppe "Mascara Roja" angegriffen
worden seien, denselben "die das Blutbad in Acteal begangen haben". Diese
Angriffe, bei denen es jedesmal zu einem Toten gekommen war, sind am 24.
Mai und 15. November 1997 erfolgt. Die Flüchtlinge sagen zudem aus,
dass sich die Paramilitärs nachts ihren Lagern nähern, ohne dabei
von den Militärs gehindert zu werden, obwohl sich 200 Meter entfernt
ein Militärcamp befindet und die Soldaten Strassensperren errichtet
haben und Rundgänge durch die Gegend unternehmen.
Den Flüchtlingen zufolge bestehen die Paramilitärs aus 50
Personen, die aus den Gemeinschaften Los Chorros, Colonia Puebla und Yashmel
stammen und über Schnellfeuergewehre verfügen, mit denen sie
die Wohnstätten der Flüchtlinge beschossen, als diese versuchten,
dorthin zurückzukehren. Der ZeugInnenaussage einer Frau zufolge kamen
eines Nachts Männer in der Uniform der Landespolizei in ihre Hütte,
zerrten ihren Mann heraus, zogen ihn nackt aus, töteten ihn mit mehreren
Schüssen und schnitten ihm in Anwesenheit seiner Familie die Zunge
ab. Sie sei darauf mit ihren sechs Kindern in die Berge geflüchtet
und wisse nun nicht mehr, wie sie sie ernähren soll. Sie fügt
hinzu, dass diese Männer zudem fünf Sympathisanten der Zapatisten
verschleppt, in der Schule eingesperrt und von jedem von ihnen 6.000 Pesos
verlangt hätten. Abschliessend erklärte sie: "Während der
Durchsuchung wurden auch zwei Frauen von diesen Männern der Landespolizei
vergewaltigt."
Forderungen der BewohnerInnen und Flüchtlinge in Polhó
Von der Regierung verlangen sie "Gerechtigkeit, die Verhaftung der
Aggressoren, der Mörder und derjenigen, die sie befehlen. Rückzug
der Armee, damit die Flüchtlinge wieder in ihre Gemeinde zurückkehren
können."
Sie fordern von der Regierung eine Entschädigung für die
Angehörigen der Opfer von Acteal.
Sie bitten um "direkte Hilfeleistungen der Zivilgesellschaft: Nahrungsmittel,
Baumaterial, Kleidung, Arbeitswerkzeug und Wasserrohre."
Sie bitten um "die Anwesenheit von internationalen BeobachterInnen,
damit die Abkommen von San Andrés erfüllt und die Menschenrechte
im Gebiet respektiert werden."
I.1.1. ZUSAMMENKUNFT MIT DEM GEMEINDERAT DER AUTONOMEN GEMEINDE POLHO,
18. FEBRUAR 1998
Anlässlich des Besuches der BeobachterInnenkommission las der
autonome Bürgermeister von Chenalhó folgenden Text vor:
1. Die Bundessoldaten beschützen die Paramilitärs aus den
Gemeinschaften und zwingen alle priistischen Paramilitärs dazu, Alkohol
zu trinken und Marihuana anzupflanzen. In einem der Lager, dem Lager 2,
werden Frauen zur Prostitution gezwungen und im Lager Xo`yep wurden die
Flüchtlinge mit Hubschraubern vertrieben und Frauen mit Messerstichen
verletzt. Im Lager 8 Poconichim haben sie schon einen Bierausschank eingerichtet
und am 16. Februar kam ein ganzer Lieferwagen mit Bier an.
2. Die Bundessoldaten haben alle Lager eingekreist. Die Bundes- und
Landesregierung haben ihnen Waffen und grosse Patronen gegebenen und sie
wissen genau, wie viele Paramilitärs es in jeder Gemeinschaft gibt
und wer die geistigen Urheber sind: Julio César Ruiz Ferro (ehemaliger
Präsident von Chiapas) und sein Sekretär Uriel Jaquin. Wir fordern,
dass diese Mörder sofort bestraft werden.
3. Heute sind keine Flugzeuge zu sehen, denn sie wissen, dass Sie gekommen
sind. Die Regierung achtet genau darauf, dass die Welt nicht merkt, was
hier geschieht.
4. Die Paramilitärs bereiten einen neuen Angriff auf die Flüchtlinge
vor. Die Flüchtlinge wollen in ihre Gemeinschaften zurückkehren,
das geht aber nicht, denn die Aggressoren laufen immer noch frei herum.
Die Polizei hat bisher nichts gegen sie unternommen. Deshalb werden die
Flüchtlinge noch weiter hierbleiben müssen.
5. Die Polizei sagt, dass sie erst eingreifen wird, wenn es persönliche
ZeugInnenaussagen gibt. Aber die ZeugInnen sind die 45 Toten. Wir erklären
den Companeros/as jetzt, dass sie die Lager nicht mehr verlassen sollen,
um Aussagen zu machen, weil sie kein Geld haben und ihre ZeugInnenaussagen
sowieso nicht beachtet werden.
6. Die Menschenrechtskommission der Regierung hat uns gesagt, dass
sie die Polizei nicht zwingen kann, gegen die Paramilitärs vorzugehen.
Aber das ist eine Lüge. Sie arbeitet mit der Regierung zusammen.
7. Die schlechte Regierung versperrt den nationalen und internationalen
AusländerInnen (sic!) den Weg zu uns, denn sie sagt, dass sie die
zapatistischen Indigenen beraten. Aber die schlechte Regierung täuscht
sich, denn wir haben die AusländerInnen als BeobachterInnen in unsere
autonome Gemeinde eingeladen, damit sie alle Drohungen und alle Vorgänge
bezeugen können.
8. Die Mörder sollen zuerst bestraft werden und dann sollen die
Abkommen von San Andrés Sacamch'en de los Pobres erfüllt werden,
welche die Regierung unterzeichnet hat, und sie sollen sofort die Soldaten
aus allen Gemeinschaften und Gemeinden im ganzen Staat abziehen. Dann wird
es eine Lösung geben.
MIT FREUNDLICHEN GRÜSSEN
Domingo Pérez Paciencia
Präsident des autonomen Gemeinderates von Polhó, Chiapas,
Mexiko
I.1.2. BESUCH IN DER GEMEINSCHAFT POCONICHIM, AUTONOME GEMEINDE POLHO.
GESPRÄCH MIT EINEM LOKALEN VERTRETER
Nach dem Empfang der Kommission in Polhó begab sich eine Delegation
zu Fuss in den Weiler Poconichim.
In der Gemeinschaft leben etwa 600 TzotzilInnen, die aus Yashmel vertrieben
wurden. Nach dem Massaker von Acteal haben sie ein Lager auf dem Gelände
der Gemeinschaft Poconichim aufgeschlagen. 50 Meter von ihren notdürftigen
Behausungen entfernt befindet sich ein Camp der Landespolizei und der Armee
mit etwa 200 Soldaten. Die Flüchtlinge leben in 16 Hütten, die
jeweils von drei bis vier Familien bewohnt werden.
Aussagen der Betroffenen
Sie klagen die paramilitärische Gruppe "Mascara Roja" an, ihre
Rückkehr nach Yashmel zu verhindern und ihr gesamtes Eigentum gestohlen
zu haben. Sie berichten, dass der letzte Einfall der Paramilitärs
am 15. November 1997 stattgefunden habe, wobei diese ihr letzten Besitztümer
und ihre Kaffeernte gestohlen hätten. Sie erklären, dass sie
seit diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Arbeit auf ihre Kaffeefelder gehen
konnten und dass ein PRI-Mitglied sie mit dem Tod bedroht habe, falls sie
in ihre Häuser zurückkehren sollten.
Ihren Aussagen zufolge umfassen die Paramilitärs etwa 50 mit AK-47-Schnellfeuergewehren
bewaffneten Personen aus drei Siedlungen, von denen aus sie Streifzüge
gegen die Vertriebenen unternehmen.
Den Flüchtlingen zufolge bieten die Bundessoldaten und die Polizei
ihnen Medikamente und Nahrungsmittel an, wenn sie als Gegenleistung dafür
zapatistische MilizionärInnen und Aufständische denunzieren.
Die Frage würde immer wieder lauten: "Wo ist Marcos?" Worauf sie immer
erklären würden, dass sie nur Mitglieder der zapatistischen Unterstützungsbasis
seien.
Unter anderem erklären die ZeugInnen, dass Polizisten einem Flüchtling
50 Pesos gestohlen haben, als dieser am Posten der Landespolizei vorbeikam,
dass die Polizisten ihn zwangen, seine Schuhe auszuziehen, dass sie ihn
schlugen und ihn unter der Drohung, auf ihn zu schiessen, zwangen, barfüssig
wegzulaufen. Die ZeugInnen erklären, dass 50 Pesos sehr viel Geld
für sie darstellen.
Die ZeugInnen berichten der Kommission, dass ihnen sogar das Recht
verweigert würde, ihre Toten zu begraben, denn die Wachposten der
PRI drohten damit, auf sie zu schiessen. Sie wüssten nun nicht mehr,
wo sie ihre Toten begraben sollten.
I.1.3. BESUCH BEI DER GEMEINSCHAFT "LAS ABEJAS" IN ACTEAL, 18. FEBRUAR
1998
Von Polhó aus begab sich einer der Autobusse der Kommission
nach Acteal, der Vertriebenen-Gemeinschaft, in der am 22. Dezember 1997
45 Flüchtlinge dem Massaker zum Opfer fielen. Auf der Fahrt in den
Ort wurde die Kommission eineinhalb Stunden lang von der Fremdenpolizei
festgehalten. Auf dem Weg in die Gemeinschaft kam die Delegation an zwei
Militärcamps vorbei, die mit zahlreichen Transportfahrzeugen, Tanks
und leichter Artillerie ausgerüstet waren.
Acteal liegt an der Landstrasse nach Polhó. Die meisten der
400 EinwohnerInnen sind Vertriebene aus anderen Dörfern der Region,
die vor den Paramilitärs in diese Ortschaft geflohen sind. Die Kommission
wurde von der Gemeinschaft unter einem improvisierten Plastikdach empfangen,
unweit der Kapelle, in der sich die Gemeindemitglieder kurz vor dem Blutbad
versammelt hatten.
Die Kommission beobachtete folgendes:
1. Als Wohnstätte und Schutz vor Regen und Kälte gibt es
lediglich die Kapelle, das Zeltdach und zwei Holzhütten, von denen
eine als Gemeinschaftsküche dient.
2. Der ausserordentlich knapp bemessene Raum, in dem sich die Flüchtlinge
bewegen und den sie, ihnen zufolge, aufgrund der Militärsperren nicht
verlassen können. Sie leben quasi in einem Gefängnis unter freiem
Himmel.
3. Der starke Zusammenhalt dieser Gruppe. Es ist offensichtlich, dass
die Gemeinschaft immer noch unter der Wirkung des Massakers vom 22. Dezember
lebt. Dieses einschneidende Erlebnis ist ständig präsent. Inmitten
des Dorfes haben sie einen Friedhof für die Opfer errichtet: Gräber,
45 brennende Kerzen, das Bild der Jungfrau von Guadalupe, Blumen, etc.
4. Nacheinander sprachen der Präsident von "Las Abejas", der verantwortliche
Katechist dieser christlichen Gemeinschaft und die Angehörigen der
Ermordeten. Ihre AugenzeugInnenberichte werden weiter unten wiedergegeben.
5. Der Kommission wurden die Einschusslöcher in den Holzwänden
der Kapelle sowie die Schussverletzungen an Beinen und Oberkörper
von drei Knaben und einem Mädchen gezeigt.
Aussagen der Betroffenen
Der Repräsentant der "Abejas" berichtete, dass die Organisation
"Las Abejas" (Die Bienen) im Jahre 1992 in Acteal gegründet wurde,
weil die Gemeindeverwaltung falsche Mordanschuldigungen gegen fünf
Mitglieder der Gemeinschaft erhoben habe, die darauf zu je zwanzig Jahren
Haft verurteilt wurden. Ähnliche Anschuldigungen würden gegen
all die Leute ausgesprochen, welche nicht der Regierungspartei PRI angehören.
"Las Abejas" sei auch aus dem Grund gegründet worden, um zu verhindern,
dass die Leute zu einer PRI-Mitgliedschaft gezwungen werden können.
Die Behörden würden nämlich die Leute dazu zwingen, der
PRI beizutreten. Das Massaker vom 22. Dezember sei deshalb geschehen, weil
sie nicht der PRI angehören.
Er erklärte weiter, das wichtigste Grundprinzip der Organisation
"Las Abejas" sei die bedingungslose Ablehnung der Waffengewalt. Sie würden
nicht nur den Frieden suchen, sondern sie seien auch radikale PazifistInnen.
Deshalb seien sie auch angegriffen wurden, denn die Paramilitärs hätten
gewusst, dass sie keine Gegenwehr zu befürchten hatten. Sie stimmten
mit den Forderungen der Zapatistas gegen die Unterdrückung, die Armut,
für das Recht, auf seinem eigenen Land zu leben, für die Würde
etc. überein, aber sie seien nicht mit dem Gebrauch der Waffen einverstanden.
Seit über drei Jahren würden die mexikanische Bundesarmee
und die Landespolizei "Seguridad Publica" in ihre Dörfer eindringen,
ihr Land rauben sowie Häuser und Ernten verbrennen, wobei sie das
Ziel verfolge, das soziale Gefüge der Gemeinschaften zu zerstören.
Eine solch schlimme Repression hätten sie vorher noch nie erleiden
müssen.
Das wichtigste sei für sie zur Zeit der Rückzug der Bundesarmee.
Denn sie sei es, welche die Leute ermorde, die Häuser verbrenne und
die Prostitution fördere. Deshalb würden sie auch die "Hilfe"
des Militärs zurückweisen. Seit dem Massaker habe die Bundesarmee
begonnen, Sozialdienst zu leisten in Form von Ausgaben von Lebensmittelpaketen,
zahnärztlichen Behandlungen, Haareschneiden etc. Er betonte, dass
sie all dies nicht wollen. Auch wenn sie Hunger litten, würden sie
nicht Essen aus denselben Händen annehmen, die ihre Väter oder
ihre Kinder getötet haben. Die Armee solle abziehen. Die Gemeinschaft
ist der Ansicht, dass der sogenannte Sozialdienst eine neue Taktik ist,
um sie zu betrügen. Sie seien aber nicht bereit, diese Hilfe anzunehmen.
Danach las der Repräsentant die Gründungsurkunde der Organisation
vor sowie das Kommuniqué mit den Forderungen, welche die Gemeinschaft
nach dem Massaker aufgestellt hat.
Wie der Sprecher erklärte, handelt es sich um eine katholische
Glaubensgemeinschaft, deren Streben nach Frieden, das Ergebnis ihres Glaubens
an Gott sei. Wörtlich sagte er:
"Unsere Gewaltlosigkeit ist eine Forderung des Evangeliums. Wir hatten
beispielsweise gute Gründe, einen Angriff der Paramilitärs zu
befürchten, weil diese am Vorabend eine Nachbargemeinschaft anzugreifen
versuchten. Deshalb rief uns unser Laienpriester in der Nacht vor dem Massaker
zu einer Versammlung in die Kapelle zusammen, um dort zu Gott beten, damit
wir nicht angegriffen werden. Denn das Gebet ist unsere wichtigste Waffe.
Kurz bevor die Paramilitärs kamen, sagte unser Glaubenssprecher: "Brüder,
beten wir zu Gott, damit sie uns nicht töten und es Frieden in den
Gemeinschaften und in ganz Chiapas gibt und wir weiter zusammen leben und
arbeiten können. Aber wenn sie uns töten sollten, denkt daran,
dass das Wichtigste unsere Bereitschaft ist, unser Leben zu opfern - möge
Gott dies nicht wollen."
Danach schilderte der Vertreter der Gemeinschaft den Ablauf des Massakers:
"Kurz nach diesen Worten sind die Paramilitärs über diese Talmulde
gekommen und haben die ersten Schüsse abgegeben. Die Menschen sind
dann in wilder Panik hin- und hergerannt. Von halb elf Uhr morgens bis
um fünf Uhr abends dauerte das Massaker. Und die Bundesarmee, die
hier in der Nähe war und die Schüsse hörte, kam erst, als
alles zu Ende war. In einer kleinen Höhle, in der die Menschen Zuflucht
gesucht hatten, hatten sie schon die Leichen aufgetürmt. Da kam erst
die Bundesarmee und sagte, dass sie käme, um uns vor den Paramilitärs
zu schützen."
Nach diesen Ausführungen berichteten weitere fünfzehn Personen
(sowohl Angehörige der Verwundeten und Ermordeten wie auch Mitglieder
der Gemeinschaft, die ebenfalls am Beten waren, als die Paramilitärs
auftauchten). Alle Berichte stimmten bezüglich des Ablaufs des Massaker
überein: Wie sie zuerst die Gebete beteten, die ihr Sprecher vorsagte,
wie dann die Häuser angezündet wurden, wie sie sich verstecken
konnten, wie schliesslich das Militär eintraf, nachdem alles vorbei
war ...
Einigkeit herrschte auch über die Gründe für das Massaker:
Weil sie nicht der PRI angehörten und weil es für die Paramilitärs
einfach gewesen sei, da diese wussten, dass sie keine Waffen hätten.
Übereinstimmend wurden auch die gegenwärtigen Lebensumstände
gewertet:
- Sie leben in einem Zustand militärischer Belagerung: Überwachung,
Strassensperren, im Schnitt 80 Patrouillen täglich, Tiefflüge
über dem Dorf, Belästigungen ...
- Sie könnten weder ihre Kaffeernte einbringen noch aussäen,
weil ihnen das Verlassen des Geländes untersagt sei.
- Sie leben von der internationalen Hilfe und Caritas, die ihnen Reis
und Bohnen geben. Dies könne jedoch auf die Dauer nicht so weitergehen.
Ausserdem behindere die Bundesarmee die Ankunft von Hilfsgütern (A.d.Ü:
So wurde z. Bsp. das Internationale Rote Kreuz IKRK im Februar 98 gezwungen,
seine Arbeit für 20.000 Menschen in Chiapas einzustellen).
- Es gebe weitere Flüchtlingscamps, die ebenfalls von der Armee
belagert würden. Die RegierungsanhängerInnen hätten hingegen
Bewegungsfreiheit und würden Hilfsgüter und Waffen von der Armee
bekommen.
- Die den Flüchtlingen namentlich bekannten Mörder seien
weiterhin auf freiem Fuss. Zu Beginn wurden sie verhaftet, aber darauf
wieder freigelassen, und bewegten sich nun wieder frei in der Gegend.
- Aufgrunddessen herrsche die allgemeine Ansicht, dass es keine Gerechtigkeit
gibt.
- Das allseitige Gefühl des Terrors, der Angst, der Panik, der
Verlassenheit und gleichzeitig der Dank an die Menschenrechts-Kommission,
die es ermöglicht, "der Welt die Wahrheit über unsere Lage erklären
zu können".
- Aus all diesen Gründen wird auch der sogenannte "Sozialdienst"
der Armee abgelehnt.
Feststellungen
1. Obwohl es natürlich nicht die Aufgabe der Kommission in Acteal
war, Untersuchungen über das Massaker anzustellen (dafür gibt
es schon andere Kommissionen und zahlreiche Unterlagen), ist trotzdem Eines
sicher: Die absolute Übereinstimmung der AugenzeugInnen bei der Beschreibung
der Umstände des Angriffs. Dies ist ohne Zweifel von grossem Gewicht.
2. Die aktuelle Situation ist die einer militärischen Belagerung,
eines Gefängnisses unter freiem Himmel. Es gab zwar während des
Besuchs keine Patrouillen, keine Strassensperren, keine Überflüge
oder andere Behinderungen durch die Bundesarmee bzw. durch Paramilitärs,
aber die übereinstimmenden Zeugnisse lassen kaum Raum für einen
Zweifel: Sie konnten weder ernten noch säen, sie leiden Hunger.
3. Die sanitären, hygienischen, schulischen Bedingungen, die ungenügende
Ernährung, die Enge des verfügbaren Raums, die Kälte und
das Leben unter freiem Himmel, das der Gemeinschaft selbst noch nach dem
Massaker aufgezwungen wird, sind absolut menschenunwürdig und von
einer unglaublichen Grausamkeit und strukturellen Gewalt, welche die Leute
an den Rand der Hoffnungslosigkeit treibt. In diesem Zusammenhang erscheint
es logisch, dass die Ablehnung der Hilfe, welche die Bundesarmee anbietet,
die letzte Möglichkeit für den kollektiven Willen darstellt,
die eigene Würde im Angesicht der Mörder nicht zu verlieren.
I.2. BESUCH IM AGUASCALIENTES FRANCISCO GOMEZ (LA GARRUCHA)
Eine Delegation der Kommission hielt sich vom 19. bis 21. Februar in
der Ortschaft La Garrucha, dem Gemeindesitz der Autonomen Gemeinde Francisco
Gomez, auf. Die Ortschaft liegt im offiziellen Gemeindegebiet von Ocosingo.
I.2.1. GESPRÄCHE MIT DEM AUTONOMEN GEMEINDERAT VON FRANCISCO GOMEZ
Die GesprächspartnerInnen erläuterten den BesucherInnen die
Bedeutung, die das Konzept der indigenen Autonomie für sie hat. In
diesem Zusammenhang erklärten sie, dass die Selbstregierung der autonomen
Gemeinden keinen Abtrennung vom mexikanischen Staat bedeute und dass sie
sich als ChiapanekInnen und MexikanerInnen begreifen würden.
Den Äusserungen der GesprächspartnerInnen zufolge basieren
die autonomen Gemeinderegierungen auf den Sitten und Bräuchen der
jeweiligen indianischen Gemeinschaften. Die Gemeindeverantwortlichen würden
in einer Vollversammlung, an der Männer, Frauen und Kinder teilnehmen,
demokratisch gewählt werden. Die aus diesen Wahlen hervorgegangenen
Autoritäten seien für die gemeinschaftliche Verwaltung der natürlichen
Ressourcen der Gemeinschaften verantwortlich, die sich in einer autonomen
Gemeinde zusammengeschlossen haben. Sie würden sich vor allem um die
gerechte Verteilung der Lebensmittel (vor allem Mais und schwarze Bohnen)
und des Landes kümmern. Insgesamt seien 49 Gemeinschaften in dieser
autonomen Gemeinde zusammengeschlossen.
Jede einzelne Gemeinschaft entscheide frei darüber, wie das Land
verteilt und bestellt werden soll, wobei stets das Konzept des Gemeinschaftseigentums
bewahrt bleibe, so wie es bei ihnen Sitte sei.
Die BewohnerInnen klagen darüber, dass sie weder über Erdöl
noch Strom verfügen, obwohl zum Beispiel der Strom in ihrem Land erzeugt
werden würde. Dies sei darauf zurückzuführen, dass der Abbau
der Ressourcen in den Händen von Leuten mit hoher Kaufkraft läge.
Die Regierung baue das Erdöl und das Holz ab, wobei sie den Wald und
den Lebensraum der ursprünglichen EinwohnerInnen zerstören würde,
deshalb kämpften sie dafür, ihr Ökosystem als ein Erbe für
die Zukunft zu bewahren und fordern das Recht auf die Selbstverwaltung
dieser natürlichen Ressourcen.
Bezüglich der Bildungssituation klagen die GesprächspartnerInnen
darüber, dass es in den meisten indigenen Gemeinschaften seit 1993
keine LehrerInnen mehr gebe - wie auch in dieser Gemeinschaft, in der es
zwar eine Schule, aber, wie die BewohnerInnen erklärten, seit 1994
keineN LehrerIn mehr gibt. Die von der Regierung eingesetzten LehrerInnen
würden nicht die Bräuche achten und seien nicht mit einer Erziehung
in der indianischen Muttersprache einverstanden. Deshalb fordert die Gemeinschaft
die Ausbildung von Gemeindemitgliedern zu LehrerInnen.
Die Folgen der Militarisierung stellten einen weiteren Gesprächspunkt
dar. Das Lager der mexikanischen Bundesarmee befindet sich einen Kilometer
von der Gemeinschaft und drei bis vier Kilometer von den Feldern entfernt.
Dieser Umstand habe zu Unruhe unter den BewohnerInnen geführt, zumal
Männer, Frauen und Kinder bei ihren täglichen Arbeiten von den
Soldaten verfolgt und belästigt würden. Die GesprächspartnerInnen
klagten auch über die Zerstörung ihres Ökosystems durch
die Soldaten: Sie fällen Holz, um Schützengräben zu bauen,
zerstören Felder und heben an zahlreichen Orten das Gelände aus."
Gleichzeitig komme es täglich zu Patrouillenfahrten zu Land (Lastwagen
und Panzerfahrzeuge) und Luft (Hubschrauber und Flugzeuge). Auf Grund der
Anwesenheit der Kommission habe die Regierung jedoch in diesen Tagen den
Rückzug der Militärs befohlen.
Nachdem die Kommission die Ortschaft verlassen hatte, erfuhr sie davon,
dass die Patrouillen wieder aufgenommen und die Armee erneut in Felder
der Gemeinschaft eingedrungen waren.
Die Gemeinschaft verlangte den Rückzug der Armee und zeigte die
Zunahme der Soldaten in den Gemeinschaften an, wobei erklärt wurde:
"Die Regierung lügt, wenn sie sagt, dass sie den Frieden will und
nicht die Gewalt." Die Tatsachen würden beweisen, dass die Regierung
auf Zeitgewinn setze, um sie wie am 9. Februar 1995 zu hintergehen.
Die Strategie der Regierung bestände darin, priistische Gemeinschaften
wie beispielsweise San Quintin mit allem Lebenswichtigen zu unterstützen:
Wohnraum, ärztliche Versorgung, Erziehung... Durch diese Form der
Mittelzuweisung würde versucht werden, die anderen Gemeinschaften
auf die Seite der Regierung zu ziehen. "Wir aus Francisco Gómez
verweigern die humanitäre Hilfe der Regierung und der Armee, denn
wir kämpfen nicht für einen persönlichen Nutzen, sondern
für einen gemeinschaftlichen." Gleichzeitig wird berichtet, dass die
mexikanische Regierung den Transport von internationaler Hilfe zugunsten
der zapatistischen Unterstützungsbasis behindere, was bei den priistischen
Gemeinschaften nicht der Fall sei.
Anschliessend wird über die Präsenz von paramilitärischen
Gruppen wie "Paz y Justicia", "Chinchulines" und "M.I.R.A." informiert.
Die letztere sei in der Gegend von Ocosingo präsent und bereite sich
auf Operationen vor. Sie besitze Waffen und Geld und werde von der mexikanischen
Armee ausgebildet, die wiederum eine Sonderausbildung durch Armeen anderer
Länder erhalte.
Zum Abschluss des Gespräches drücken die GesprächspartnerInnen
ihr Interesse daran aus, dass die Kommission offen und objektiv über
ihre Forderungen und Klagen berichtet.
I.2.1.1. GESPRÄCH MIT DEM KOORDINATOR DER "GESUNDHEITSPROMOTORiNNEN"
DER GEMEINDE FRANCISCO GOMEZ
Am ersten Tag des Besuches sprach eine Delegation der Kommission mit
dem Koordinator der "GesundheitspromotorInnen" über die Gesundheitslage
und die medizinische Versorgung in der Gemeinde. Die "Arztpraxis" von Francisco
Gomez besteht aus drei Räumen. Der erste dient als Apotheke, der zweite
ist mit einem Bett ohne Matratze ausgestattet und dient als Sprechzimmer
und der dritte fungiert als Wartesaal. Die Praxis wurde 1996 eingerichtet
und betreut die BewohnerInnen von 60 Gemeinschaften. Das Gesundheitsteam
besteht aus dem "Gesundheitspomotor" und fünf weiteren BewohnerInnen
der Gemeinschaft.
Der Promotor informiert darüber, dass die prekäre Gesundheitslage
der Bevölkerung "das Ergebnis der klimatischen Bedingungen und der
durch den Konflikt hervorgerufen Lebensbedingungen ist, unter denen die
Mitglieder der Gemeinschaft zur Zeit leiden". Die häufigsten Krankheiten
seien: Durchfall, Parasitosis, Askariasis, Magen-Darm-Entzündungen,
Entzündungen der Atemwege, Tuberkulose, Infektionen der Harnwege,
Migräne (vor allem bei Frauen), Asthma (Kinder).
Die Unterernährung sei besonders bei Kindern ausserordentlich
hoch. Dies sei sowohl auf den Nahrungsmangel als auch auf den geringen
Nährwert der Nahrung zurückzuführen. Die gegenwärtige
Konfliktsituation verschärfe die Lebensmittelknappheit.
Die medizinische Betreuungs- und Behandlunsgkapazität werde sowohl
durch den Mangel an Fachpersonal als auch an Mitteln beschränkt, weshalb
die Patienten oft an andere Stellen, wie an das mexikanische Rote Kreuz,
weitergeleitet werden müssen. Dieser Organismus würde jedoch
als Behandlungsvoraussetzung eine detaillierte ärztliche Diagnose
vom Patienten verlangen, die dieser in der Regel nicht vorweisen könne,
worauf sich dann diese Organisation jegliche Verantwortung gegenüber
dem Patienten ablehne.
Da die Gemeinschaft nicht über einen eigenen Krankenwagen verfügt,
ist der Transport von Kranken, die nicht im Gesundheitszentrum der Gemeinschaft
behandelt werden können, ausserordentlich teuer und manchmal nicht
durchzuführen. Der Gesprächspartner weist in diesem Zusammenhang
erneut auf die extreme Mittelknappheit und auf den Mangel an wichtigen
Medikamenten hin und bittet die unabhängigen nationalen und internationalen
Organisationen um humanitäre Hilfe, und um Spenden von Antibiotika,
Antitussiva, Antiparasitenmitteln, Entzündungshemmern, schmerzstillenden
Mitteln und Vitaminen.
In der Praxis war eine Arzneispende des mexikanischen Roten Kreuzes
zu sehen, die Medikamente enthielt, deren Verfallsdatum abgelaufen war.
Verschiedenen Bewohner und Bewohnerinnen der Gemeinschaft bieten eine
medizinische Betreuung unter Nutzung ihrer Kenntnisse über natürliche
Heilverfahren an, die in einem von der Gemeinschaft verfassten Handbuch
zusammengestellt worden sind. Dieses medizinische Wissen kann jedoch aus
Geldmangel nicht unter den Gemeinschaften verbreitet werden und läuft
dem Koordinator zufolge deshalb Gefahr, in Vergessenheit zu geraten.
Einige Frauen haben mit der Einrichtung eines Zuchtgartens mit medizinischen
Heilkräutern begonnen, den sie aber bedingt durch die Militärpräsenz
nicht pflegen können.
Auch seien beim Gesundheitsministerium in Tuxtla Gutiérrez Anträge
zur Schaffung von Fortbildungsworkshops eingereicht worden. Diesen Anträgen
sei jedoch nicht stattgegeben worden, da das Ministerium von den TeilnehmerInnen
eine Grundschulausbildung verlange.
I.2.1.2. GESPRÄCH MIT FRAUEN DER ZAPATISTISCHEN UNTERSTÜTZUNGSBASIS
Das Gespräch fand am 21. Februar 1998 statt und drehte sich vor
allem um die Auswirkungen der Militärpräsenz auf das Alltagsleben
der Frauen sowie um ihre Tätigkeiten und ihre Teilnahme am Gemeinschaftsleben.
Die interviewten Frauen klagen über die Existenz von Strassenblockaden,
an denen sie nach ihren Tätigkeiten und dem Inhalt ihrer Taschen gefragt
würden. Bedingt durch ihre fehlenden Spanischkenntnisse würden
sie sich dadurch eingeschüchtert fühlen. Sie äussern auch
ihre Ängste vor den ständigen Tiefflügen der Militärhubschrauber
und -flugzeuge und vor den Militärpatrouillen in den Bergen. Ausserdem
würden die Militärs ohne Erlaubnis in ihre Gemeinschaften eindringen.
Die Soldaten hätten sich während des Aufenthalts der Kommission
zurückgezogen. Es stimme nicht, dass die Soldaten ihnen humanitäre
Hilfe zukommen lassen würden.
Infolge der Militärpräsenz trauen sie sich nicht mehr, allein
aufs Feld zu gehen, Feuerholz zu sammeln bzw. die Gemeinschaften zu verlassen,
da sie Angst haben, belästigt und angegriffen zu werden. Sie erläutern,
dass diese Unsicherheit und Angst sich besonders stark bei den Kindern
äussere.
Sie klagen über die durch die Soldaten verursachte Prostitution
in der Gegend. Die Prostituierten und Soldaten würden sich in den
Bächen und Quellen baden, aus denen die BewohnerInnen das Trinkwasser
schöpfen. Die Prostituierten kämen zwar hauptsächlich aus
Ocosingo und Altamirano, aber es gebe auch schon die ersten Fälle
von Prostitution unter Frauen aus den umliegenden Gemeinschaften.
Aktivitäten der Frauengruppe
Die Frauen erklären, dass sie sich zu wöchentlichen Versammlungen
treffen, in denen sie über mögliche Reaktionen auf die Militarisierung,
über die Überwindung ihrer Angst und die Möglichkeiten sprechen,
ihre Kinder zu schützen. Sie haben vor, eine Frauenkooperative zum
Weiterverkauf von Erzeugnissen einzurichten. Auch habe sich eine Gruppe
von Näherinnen gebildet, die Kleider herstellen.
Schulbildung
Seit 94 gebe es keine DorfschullehrerInnen mehr, vorher seien sie ein-
bis zweimal alle zwei Wochen gekommen. Die Frauen äusserten ihren
Unwillen über diese Unregelmässigkeit und die Bildungsinhalte
und -formen. Sie erklären, dass sie darüber diskutieren, wie
das Schulproblem zu lösen wäre. Viele Frauen äussern den
Willen, Lesen und Schreiben zu lernen.
Teilnahme der Frauen am Leben der Gemeinschaft und an den Dorfentscheidungen
Die Frauen äussern ihren Willen zur Teilnahme an den Gemeinschaftsentscheidungen
und erklären, dass sie ihre Forderungen einbringen können. Sie
haben sich als Frauen organisiert, um über ihre Situation zu sprechen.
Unter den Dorfautoritäten gebe es bisher aber noch keine Frauen.
Bitten an die Kommission
Sie werten die Anwesenheit von Fremden als positiv, da es dadurch keine
Militärpatrouillen gebe. Sie bitten die Kommission darum, über
ihre Situation zu berichten und auch darüber, wie sich die Regierung
in allen anderen indianischen Gemeinschaften verhält.
Von der Regierung verlangen sie eine gute Gesundheitsversorgung und
Schulbildung für die ganze Nation und nicht nur für einige wenige;
den Rückzug der Soldaten in die Kasernen; die Erfüllung der Abkommen
von San Andrés, speziell was die Teilnahme der Frauen angeht.
I.2.2. BESUCH IN DER GEMEINSCHAFT LA GALEANA
Das Gespräch fand am 20. Februar 1998 zwischen einer Delegation
der Kommission und den örtlichen Verantwortlichen in der zur Autonomen
Gemeinde Francisco Gomez gehörenden Gemeinschaft statt. Die Kommission
wurde bei ihrer Ankunft von der ganzen Gemeinschaft empfangen und hielt
sich zwei Stunden im Ort auf.
Situation der Gemeinschaft
Die Themen, die den EinwohnerInnen die grössten Sorgen bereiteten,
hatten mit der Zunahme der Soldaten, den Tiefflügen der Militärflugzeuge
und der ständigen Drohung eines Einmarschs der Bundesarmee zu tun,
sowie damit, dass diese Umstände bei ihnen eine grosse Unsicherheit
und eine Störung des Alltagslebens zur Folge haben.
Die Vertreter erklärten, dass ihr Dorf schon im Februar 1995 im
Verlauf eines Einfalls der Bundesarmee bombardiert wurde.
Sie äusserten ihre Forderungen im Gesundheits- und Bildungsbereich.
Den Beobachtungen der Kommission zufolge gibt es weder eine Schule noch
medizinische Einrichtungen.
Sie drückten ihr Misstrauen und ihre Ablehnung jeglicher Hilfeleistung
von Seiten der Regierung aus, denn diese Hilfen "haben keinen anderen Zweck,
als die Bevölkerung zu spalten und gegeneinander aufzuwiegeln und
tragen nichts zur Lösung des Konflikts bei."
Sie wiesen auf ihre Armut und ihre elenden Lebensbedingungen hin. In
diesem Zusammenhang erklärten sie, dass die Weigerung der Regierung,
die Abkommen von San Andrés zu erfüllen, einer Weigerung der
Regierung zu einer friedlichen Lösung des Konflikts gleichkomme.
Die Gemeindesprecher äusserten zudem ihre Besorgnis über
die Zunahme der paramilitärischen Gruppen in der Gegend und im ganzen
Bundesstaat.
Abschliessend betonen sie erneut die Notwendigkeit, dass die internationale
Gemeinschaft die Wahrheit über die Lage in Chiapas erfährt, und
drücken ihren Wunsch aus, in Frieden leben zu können.
Angezeigte Vorfälle
Die BewohnerInnen erklären, dass am 9. Januar 1998, gegen 10 Uhr
30, etwa 100 Bundessoldaten versucht hätten, in die Ortschaft La Galeana
einzudringen. Die Soldaten seien den Berg hochgestiegen und hätten
etwa 500 Meter von der Gemeinschaft entfernt angefangen, das Zuckerrohr
von den Feldern abzuschneiden. Daraufhin seien Frauen und Kinder der Gemeinschaft
ihnen entgegengegangen. Viel Frauen hätten ihre Kinder auf dem Rücken
getragen. Als sich die Soldaten weiter dem Dorf näherten, hätten
Frauen und Kinder sie eingekreist und aufgefordert, das Gemeindegebiet
zu verlassen. Die Soldaten seien danach etwas zurückgewichen, hätten
die BewohnerInnen aber gleichzeitig mit ihren Waffen bedroht und sie beschuldigt,
Mitglieder der EZLN zu sein. Die Antwort der BewohnerInnen darauf habe
gelautet: "Lasst uns in Ruhe, wir sind nur arme Bauern".
Im Verlauf des heftigen Wortwechsels habe ein Soldat einen Schuss abgegeben,
der aber niemand verletzt habe. Die Frauen hätten von den Soldaten
eine Entschädigung für das abgeschnittene Zuckerrohr verlangt.
Auch wurde gesehen, dass die Soldaten eine Granate im Zuckerrohrfeld versteckten,
die aber bis heute noch nicht gefunden worden sei.
Die BewohnerInnen erklärten, dass die Soldaten Marihuanasamen
mit sich führten. Es wird vermutet, dass sie ausgestreut werden sollten,
um die DorfbewohnerInnen später des Drogenanbaus zu beschuldigen.
Unter den fortwährenden Rufen, dass sie wieder gehen sollten,
hätten sich die Soldaten bis zur Landstrasse nach Ocosingo zurückgezogen.
Dort formierten sie sich dann zu einem kompakten Block und versperrten
die Strasse. Als die DorfbewohnerInnen sahen, dass die Soldaten nicht abzogen,
folgten sie ihnen unter lautem Rufen. Gegen 16 Uhr seien dann zwei Militärlastwagen
gekommen und hätten die Soldaten in ihr Lager in der Nähe der
Ortschaft La Garrucha zurückgebracht.
Die Gemeinschaftsverteter erklären abschliessend, dass dies der
dritte Versuch eines Einmarsches in das Dorf gewesen sei und bitten die
Zivilgesellschaft um Hilfe.
I.2.3. BESUCH IN DER GEMEINSCHAFT SAN MIGUEL CHIPTIC
Die Gemeinschaft San Miguel Chiptic wurde am 20. Februar von fünf
VertreterInnen der Kommission besucht. Es wurden Gespräche mit dem
Vertreter der Gemeinschaft und dem Gesundheitsbeauftragen geführt.
In San Miguel Chiptic leben ca. 500 Personen. In der Gemeinschaft gibt
es eine Schule mit einem Lehrer der Regierung und einen Gesundheitsbeauftragten,
welcher im Spital San Carlos in Altamirano ausgebildet wurde. Er schilderte
der Kommission Gesundheits- und Ernährungsprobleme.
Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit und der Kälte während
der Regenzeit würden in dieser Jahreszeit die Zahl der Krankheiten
zunehmen, dies gelte vor allem für die Grippe. Infolge fehlender Hygiene
und Unterernährung, an der über 80% der Kinder leiden, seien
diese sehr viel anfälliger für Krankheiten. Um diesen Problemen
entgegenzuwirken, würden die Kinder regelmässig gewogen, und
man biete Workshops zur Hygiene an. Die schlechte Bauweise der Häuser,
in denen die BewohnerInnen Luftzug und der Kälte ausgesetzt seien,
erhöhe das Krankheitsrisiko zusätzlich.
Aussagen der Betroffenen
Die BewohnerInnen der Gemeinschaft beschrieben der Kommission gegenüber
folgende Vorfälle:
Am 1. Januar 1998 sei das Militär mit drei Lastwagen in San Miguel
Chiptic eingedrungen. Alle BewohnerInnen hätten Angst gehabt, da die
Soldaten bewaffnet waren. Nach Aussage des Verantwortlichen der Gemeinschaft
betraten die Soldaten zwei Häuser, einerseits das des Gemeinschaft-Kommissariates
und anderseits das Haus des Geldverwalters der Gemeinschaft, wo 20.000
pesos /ca. 3400 Fr./ 4000 DM (von der Kooperative) und 19.000 pesos (der
Gemeinschaft) geraubt wurden.
Danach hätten sich die Soldaten vor der Kirche gesammelt. Die
Frauen hätten sich schnell organisiert, um die Soldaten am Eindringen
in andere Häuser zu hindern.
Die Betroffenen erklärten, dass mit dem Militär ein Regierungsvertreter
aus Altamirano (der wiedererkannt wurde, da einige BewohnerInnen in seinem
Büro gewesen waren) sowie vier Vermummte in die Gemeinschaft kamen.
Die Frauen hätten versucht, ihnen die Kapuzen abzunehmen, sie seien
aber vom Militär daran gehindert worden.
Die mit Stöcken bewaffneten Frauen vertrieben die Soldaten und
folgten ihnen bis Nueva Esperanza, wo sie auf viele andere Militärs
trafen. In Nueva Esperanza wollten die Soldaten die Frauen in der Kirche
einsperren, die zuvor mit Benzin bespritzt worden sei. Die Frauen hätten
sich dagegen gewehrt und wären wenig später in ihre Gemeinschaft
zurückgekehrt. Später hätten sich die Frauen nochmals nach
Nueva Esperanza begeben, um das Militär endgültig zu vertreiben.
Nach dreitägiger Besetzung habe das Militär dann Nueva Esperanza
um drei Uhr morgens verlassen.
Der Verantwortliche der Gemeinschaft wies darauf hin, dass die Frauen
nicht nur vor den Militärs Angst gehabt hätten, sondern auch
vor der Landespolizei, da sie Haftbefehle gegen verschiedene Männer
der Gemeinschaft hatten.
Bitten an die Kommission
Der Vertreter von San Miguel Chiptic bat die Kommission um die Anwesenheit
von internationalen BeobachterInnen in der Gemeinschaft, um sie vor weiteren
Übergriffen des Militärs zu schützen.
I.3. BESUCHE IN DER ZONA NORTE
Gegenwärtig ist die Zona Norte die konfliktreichste und am meisten
von Gewalt heimgesuchte Region von Chiapas. Viele Gemeinschaften sind in
zwei gegnerische Lager gespalten: einerseits Mitglieder der zapatistischen
Unterstützungsbasis und der Oppositionspartei PRD und andererseits
Mitglieder der Staatspartei PRI. Wie die Kommission feststellen konnte,
ist der Zugang zu diesen Gemeinden schwierig und riskant.
Es ist hervorzuheben, dass das allgemeine Klima in den Dörfern
durch Panik, Terror und Abschottung geprägt ist.
Der grösste Teil der Gespräche wurden mit SymapthisantInnen
der EZLN abgehalten. Trotz verschiedener Versuche waren die Angehörigen
von "Paz y Justicia" in den allermeisten Fällen nicht zu einem Gespräch
bereit. Die wenigen mit ihnen geführten Interviews waren sehr kurz
und fanden in einem angespannten Klima statt.
Es folgt eine repräsentative Auswahl der zahlreichen Gespräche.
I.3.1. GEMEINDE MISOPA-CHINAL
In Misopa-Chinal sprach die Kommission mit ca. 20 VertreterInnen aus
verschiedenen Flüchtlingslagern und Gemeinden. Die VertreterInnen
mussten für die Gespräche mit der Kommission teilweise bis zu
zehnstündige Fussmärsche absolvieren, weil sie die zahlreichen
Strassensperren der Bundesarmee, Landespolizei und der Paramilitärs
weitläufig umgehen mussten.
Bei der Rückkehr von diesen Interviews ist einer der Repräsentanten,
José Tila, in einen Hinterhalt geraten und wurde dabei ermordet.
Sein Vater konnte fliehen und überbrachte der Kommission die erschreckende
Nachricht. Er konnte die Mörder identifizieren und sagte aus, dass
es sich bei allen um Mitglieder von "Paz y Justicia" gehandelt habe. Er
nannte der Kommission die Namen der Verantwortlichen und die Herkunftsorte
derselben.
I.3.1.1. INTERVIEW MIT DEM GEMEINDEPRÄSIDENTEN VON MISOPA-CHINAL
UND MIT DEN VERTRETERiNNEN DES BEZIRKS TILA
Der Präsident klagt über die Präsenz der Landespolizei,
die zusammen mit Mitgliedern von Paz y Justicia operieren würde. Er
erklärt, dass sie viele Fotos machen und allerlei Fragen stellen würden.
Er lebe in konstanter Angst, weil er der Repräsentant eines Dorfes
sei, das mit der EZLN sympathisiere. Dies sei Grund genug, ihn unter fadenscheinigen
Vorwänden anzuklagen und ihn deswegen hinter Gitter zu bringen.
Er erwähnt auch, dass in seiner Gemeinde 25 Mitglieder von "Paz
y Justicia" leben. Gemäss seinen Aussagen gehören weniger als
10 Prozent der Bevölkerung dieser Organisation an. Alle anderen würden
die EZLN unterstützen. Er hält des weiteren fest, dass kein Mitglied
von "Paz y Justicia" aus seiner Gemeinde vertrieben wurde. Sie würden
ihr Land bestellen und bekämen zudem Geld von der Regierung. Die BewohnerInnen
der EZLN respektieren diese Tatsache, da sie keinen Konflikt unter Indigenen
wollen. Er bedauerte jedoch, dass bei umgekehrten Verhältnissen (mehr
Leute von "Paz y Justicia" und weniger von der EZLN) die letzteren dauernd
angegriffen und/oder aus ihrem Dorf vertrieben würden und dabei all
ihren Besitz verlören.
Als weiteres Problem spricht er das Fehlen von ÄrztInnen an, die
durch die Bedrohungen von "Paz y Justicia" Angst haben, die zapatistischen
Gemeinden zu besuchen. Die zapatistischen BewohnerInnen erhalten dadurch
keine medizinische Betreuung, weshalb viele Leute an heilbaren Krankheiten
sterben.
Er erklärt, dass es ihnen wegen der zahlreichen Militärposten
nicht möglich sei, sich frei in der Gegend zu bewegen. Seinen Aussagen
zufolge beteiligen sich Mitglieder von "Paz y Justicia" an diesen Posten
und beschuldigen ihre OpponentInnen als mutmassliche Schuldige von Rauben
und Entführungen. Gemäss dem Bürgermeister liegen gegen
etwa 1.500 Personen der Zona Norte Haftbefehle vor. Die meisten seien des
Waffen- und Drogenschmuggels angeklagt. Mit diesen Anklagen rechtfertige
das Militär dann seine Kontrollposten.
I.3.1.2. INTERVIEW MIT EINEM EX-GEFANGENEN, DURCHGEFÜHRT IN MISOPA-CHINAL
Der ehemalige Gefangene erzählt, dass eines Tages 15 bewaffnete
Männer mit 3 Helikoptern gekommen und in sein Haus eingedrungen seien,
ihn nach Tuxtla mitgenommen und von da aus ins Gefängnis Cerro Hueco
gebracht hätten.
Zusammen mit ihm seien weitere 8 Personen verhaftet worden, ohne dass
sie zu irgendeinem Zeitpunkt über die Anklage gegen sie und ihre Rechte
informiert worden wären. Letztendlich seien sie nach Zahlung einer
Kaution von je 3.655 Pesos (ca. 730 DM/ 610 SFr) freigelassen worden. Sie
waren der Entführung eines Mitglieds von "Paz y Justicia" angeklagt
gewesen.
Er legt dar, dass es in seinem Dorf gegen 23 Personen Haftbefehle gebe,
die aufgrund Anklagen von Mitgliedern von "Paz y Justicia" ausgestellt
worden seien, was reiche, um eine Verhaftung der Person herbeizuführen.
Von "Paz y Justicia" gäbe es trotz der zahlreichen Anzeigen gegen
sie kein einziges verhaftetes Mitglied. Die einzigen Gefangenen einer paramilitärischen
Gruppe seien jene, die nach dem Massaker von Acteal verhaftet wurden. Der
Grund dafür sei der hohe Bekanntheitsgrad des Vorfalls.
Er erklärt weiter, dass es innerhalb von "Paz y Justicia" viele
DeserteurInnen gebe, die mit der Gewalt nicht mehr einverstanden seien.
Sie würden deshalb von ihrer eigenen Organisation bedroht, was bis
zum Mord führen könne.
Diese Morde würden jedoch den SympathisantInnen der EZLN angehängt.
I.3.1.3. AUSZÜGE AUS VERSCHIEDENEN INTERVIEWS MIT VERTRIEBENEN
Die Gespräche fanden am 21. Februar in Misopa-Chinal, Bezirk Tila,
statt
1. Der Vertriebene Domingo Ramirez López erklärt, dass
er, seine Frau Magdalena López Martínez und ihre fünf
Kinder, sein Schwager, seine Schwägerin Guadalupe Lopez Martínez
und ihre beiden Söhne, in die Berge flüchten mussten, nachdem
sie von verschiedenen Mitgliedern der Gruppe "Paz y Justicia" aus El Crucero
und Nuevo Limar angriffen worden waren. Seinen Aussagen zufolge wurden
die Angreifer von Mateo Ramirez Lopez angeführt. Bei den anderen Aggressoren
habe es sich um folgende Personen gehandelt: Julio Lopez Vazquez, Mateo
Ramirez Lopez und Antonio Ramirez Lopez. Diese drei Männer hätten
Magdalena und Gudalupe in der Gegenwart ihrer Kinder vergewaltigt.
Angesicht dieser gewalttätigen Angriffe seien die beiden Familien
nach Misopa-Chinal geflüchtet. Ihre ganzen Besitztümer liessen
sie zurück sowie auch ihre Maisfelder, Kaffeepflanzungen und Tiere.
Die für die Angriffe verantwortlichen Personen hätten grosskalibrige
Schusswaffen getragen, die sie vom Bürgermeister von El Crucero erhalten
hätten. Dieselben Personen hätten auch den Bauern Mateo Arcos
Guzmann mit Machetenhieben getötet.
Seit der Vergewaltigung leidet Guadalupe Lopez an Kopfschmerzen, Erbrechen,
Blutungen und Depressionen. Magdalena Lopez hat seither schwere Menstruationsstörungen
und Blutungen, die Grund für eine starke Anämie sind, welche
sie extrem schwächt.
Sie berichten, dass sie keine medizinische Hilfe bekommen hätten
und es ihnen unmöglich sei, diese selbst zu organisieren, da das gesamte
Dorf einem Belagerungszustand ausgesetzt sei, weshalb sie den Ort nicht
verlassen könnten.
Sie leben gegenwärtig in einer kleinen Hütte aus Holzpflöcken
und Palmdach und werden von Angehörigen des Dorfes mit dem Allernotwendigsten
unterstützt.
Der aktuelle Zustand der Familie ist derart prekär, dass sie in
Erwägung ziehen, in ihre angestammte Gemeinde zurückzukehren,
um vielleicht einen Teil ihres Besitzes wiederzuerlangen, auch wenn das
ihnen das Leben kosten könnte.
2. Die Gesprächspartner sind Vertriebene aus Cruz Palenque
"Wir organisieren uns nicht, damit Indigene andere Indigene töten.
Wir organisieren uns, um zu arbeiten", erklärte ihr Sprecher der Delegation
der Kommission. Er fährt fort: "Wir flüchteten am 1. August 1997,
als bewaffnete Mitglieder von "Paz y Justicia" unsere Häuser umstellten,
zuerst in die Luft und danach auf unsere Häuser schossen. Auf der
Flucht wurde Nicolas Maya Gutiérrez erschossen. Der dreizehnjährige
Miguel Gutiérrez Peñate wurde entführt und erschossen.
Die Landespolizei fand seine Leiche, und er wurde beerdigt."
Ihre gesamten Besitztümer, einschliesslich ihr Vieh, sei in Cruz
Palenque zurückgeblieben. Sie fordern, dass die Verantwortlichen diese
Tiere zurückerstatten.
Die Regierung habe bisher keine Lösung angeboten.
An ihrem jetzigen Zufluchtsort Misopa fehle es an Nahrung, eine einstweilige
Unterstützung in Form von Mais sei aufgebraucht. Land, um Mais anzupflanzen,
gebe es nicht und auch keine Möglichkeit, Geld zu beschaffen.
I.3.1.4. AUSZÜGE AUS VERSCHIEDENEN INTERVIEWS MIT FRAUEN
Die Gespräche fanden am 21. Februar in Misopa-Chinal statt
Die Aussagenden stammen aus Cruz Palenque. Zu den bereits dokumentierten
Vorfällen fügten sie folgendes hinzu:
-Die Geflüchteten suchten Schutz in drei verschiedenen Dörfern,
womit ihre Gemeinschaft zerrissen wurde.
- Die Frage, ob Gewalt gegen die Frauen ausgeübt wurde oder ob
es zu Vergewaltigungen von Seiten der Paramilitärs gekommen sei, wurde
bejaht. Gleichzeitig stellten die Zeuginnen fest, dass einige Frauen nicht
reden wollten, aus Angst davor, dass die Paramilitärs ihre Todesdrohungen
wahr machen würden.
-Auf die Frage hin, ob es zu Gewaltausübung von Seiten des Militärs
oder der Landespolizei gekommen sei, antworteten die Frauen, dass sich
Soldaten und Polizisten einen Tag vor dem Überfall auf Cruz Palenque
mit Mitgliedern von "Paz y Justicia" versammelt hätten, um auszumachen,
wie am nächsten Tag gehandelt werden solle.
Gespräch mit einer zweiten geflüchteten Frau:
Die Frau berichtet, dass nach ihrer Flucht die Küchenutensilien
und weiteren Besitztümer zerstört und ihre Häuser abgebrannt
worden seien. Sie erzählt von der täglichen Angst, wie sie sich
in Gruppen organisieren müssen, um Wäsche zu waschen oder Brennholz
zu suchen. Sie bestätigt, dass sie momentan nicht allein das Lager
verlassen können und dass nicht mal mehr die Männer allein aufs
Feld gehen aus Angst davor, von den Paramilitärs angegriffen zu werden.
Sie erwähnt weiter, dass ihr Kleinkind krank sei, dass jedoch
das Geld fehle, um einen Arzt aufzusuchen. Das wenige Geld müsse für
Mais, Kaffee und Bohnen aufbewahrt werden, weil die Kinder den Hunger nicht
aushielten.
Zur spezifischen gesundheitlichen Lage der Frauen befragt, antwortet
sie, dass sie hier keine Hebamme hätten, da diese zur anderen Gruppe
(der PRI) gehöre und deshalb in ihrem Dorf zurückgeblieben sei.
Es fehle auch an Medikamenten und an Gesundheitszentren.
(Ein Mitglied ihres Dorfes sagt den Beobachterinnen, dass die interviewte
Frau von Paramiltärs vergewaltigt worden war. Als sie im Interview
darauf angesprochen wurde, senkte sie den Blick und wechselte rasch das
Thema.)
Sie erläutert, dass das tägliche Leben erschwert sei, da
sie keine eigenen Küchenutensilien mehr besässen und alles ausleihen
müssten.
I.3.1.5. AUSZÜGE AUS DEM INTERVIEW MIT DER LANDESPOLIZEI
(SEGURIDAD PUBLICA)
Das Camp der Landespolizei befindet sich in Cerro-Misopa, Bezirk Tila
Cerro Misopa ist eine Gemeinde, in der sowohl Angehörige von Paz
y Justicia als auch der Unterstützungsbasis der EZLN leben. Am Eingang
des Dorfes befindet sich das Camp der Landespolizei auf einem kleinen Hügel,
was den Polizisten einen Rundblick über die nähere Umgebung erlaubt.
Beim Interview wurden der Kommission keine Video- und Fotoaufnahmen
erlaubt, alle teilnehmenden Personen der Kommission mussten jedoch ihre
Namen angeben und wurden von der Polizei gefilmt und fotografiert.
Der Interviewte war der Zweite Offizier und hatte gerade erst seinen
Posten bezogen. Er stellte fest, das in der Gegend kein Konflikt herrsche
und alles ruhig und der Ort selbst sehr schön sei. Er überreichte
der Kommission das Dokument "Ni Derechos ni Humanos" ("Weder Rechte noch
Menschen", es handelt sich dabei um eine Broschüre von Paz y Justicia,
A.d.Ü.). Er habe das Dokument von einem Mann bekommen, den er in einer
anderen Gemeinde besucht habe. Es helfe, die Situation in dieser Zone besser
zu verstehen.
Auf die Frage, wer die Gruppe Paz y Justicia sei, antwortete er, es
sei eine zivile Organisation und er kenne sie nicht.
Er erwähnte weiter, dass sie hier seien, weil die Leute des Dorfes
sie darum gebeten hätten. Ihre Aufgabe sei es, die Ordnung aufrechtzuerhalten
und Sicherheit zu bieten.
Im allgemeinen fühlten sie sich akzeptiert von den DorfbewohnerInnen,
ausser von ungefähr einem Viertel der Bevölkerung, welche sie
nicht gerne hier sähen.
I.3.1.6. AUSZUG AUS EINEM INTERVIEW MIT MITGLIEDERN VON PAZ Y JUSTICIA
Das Gespräch fand am 25. Februar im Bezirk Tila statt
Die Interviewten bezeugen, dass sie keine Waffen besässen, dass
sie friedliche Menschen seien. Sie klagen die katholischen Pfarrer und
AusländerInnen als Verantwortliche am Konflikt an. Konkret weisen
sie auf Don Samuel Ruiz hin, der mit seinem Bischofsgehalt die ZapatistInnen
unterstütze.
Sie erwähnen weiter, dass ihr Ziel die Anwendung des Gesetzes
sei und dass sie nicht für den Tod von José Tila verantwortlich
seien.
I.3.1.7. AUSZUG AUS EINEM INTERVIEW MIT ANGEHÖRIGEN DER UNTERSTÜTZUNGSBASIS
DER EZLN, 25.2.98.
Sie fordern die Ausweisung der Gruppe Paz y Justicia aus der Gemeinschaft,
da sie einem Teil der Bevölkerung verbieten, zur Arbeit zu gehen oder
Verwandte in anderen Dörfern zu besuchen. Die PRI-treuen EinwohnerInnen
hätten hingegen Bewegungsfreiheit.
In ihrer Gemeinde käme es häufig zu Auseinandersetzungen
unter den Mitgliedern von Paz y Justicia, was manchmal sogar mit Toten
ende, die im nachhinein den Gruppen angehängt würden, die nicht
mit ihnen sympathisieren.
Ein weiterer Repräsentant dieser Gemeinde hält fest, dass
die Landespolizei des Bezirks die Namen der Mörder von José
Tila wüssten, sich jedoch weigern würden, die Verantwortlichen
festzunehmen, weil, so habe die Landespolizei öffentlich gesagt, der
Haftbefehl noch nicht eingetroffen sei.
Am Tag nach dem Mord an José Tila habe eine Demonstration stattgefunden,
an der 800 Personen aus 24 Gemeinden dieses Gemeindegebiets die Landespolizei
auf friedliche Art und Weise ausgewiesen hätten. Weiter erwähnt
er, dass die Unterstützungsbasis der EZLN es satt habe, dass ihre
Forderungen von der Regierung nicht erhört werden und dass sie zur
Gegenwehr bereit seien, da sie nicht mehr tolerieren könnten, sich
einfach abschlachten zu lassen.
I.3.2. AUSZÜGE AUS DEN INTERVIEWS MIT DELEGIERTEN AUS DEM GEMEINDEGEBIET
SABANILLA, ZONA NORTE
Wegen des gewalttätigen Klimas in dieser Region war es nicht möglich,
die Gespräche mit diesen Delegierten in ihren jeweiligen Dörfern
zu führen, weshalb die Interviews in San Cristóbal stattfanden.
Eine Delegation der Kommission, die sich auf dem Weg ins Flüchtlingslager
von Asunción Huitipan befand, sah sich durch eine Strassenblockade
von PRI-SympathisantInnen zur Umkehr gezwungen, ohne die geplante Arbeit
beendet zu haben. Diese Vorkommnisse wurden bereits erläutert.
I.3.2.1.GEMEINDE EL PARAISO
Vorkommnisse
Die BewohnerInnen dieser Gemeinde sagen aus, dass sie am 18. Januar
1997 durch gewalttätige Handlungen der Mitglieder von Paz y Justicia
aus ihrem Dorf vertrieben wurden und es ihnen bis heute unmöglich
gewesen sei, dahin zurückzukehren.
In der Nacht des 18. Januars 97 hätten schwerbewaffnete Mitglieder
von Paz y Justicia die Häuser der Unterstützungsbasis der EZLN
angegriffen, was der Auslöser für die massiven Flucht der BewohnerInnen
gewesen sei. Die GesprächspartnerInnen machen Angaben zu Namen, Stellung
dieser Personen innerhalb der Organisation Paz y Justicia, Waffentyp und
Herkunft derselben.
Sie erzählen, dass der Gemeindepräsident, Jaime Pérez
Méndez, PRI, von den priistischen BewohnerInnen des Dorfes um eine
Bewilligung zur Intervention der Landespolizei, angefragt wurde.
Am folgenden Tag, als der grösste Teil der zapatistischen Bevölkerung
bereits geflohen war, sei es zu einem zweiten Überfall, diesmal jedoch
von Seiten der Landespolizei, Seguridad Publica, gekommen. Der angegebene
Grund dafür sei die Leiche einer unbekannten Frau gewesen; jedoch
befand sich diese am darauffolgenden Tag noch am selben Ort. Am 21. Januar
seien erneut um die 600 Polizisten ins Dorf eingedrungen, unterstützt
von zwei Helikoptern, die Granaten und Tränengasbomben abgeworfen
hätten.
Dieser Angriff galt den Flüchtlingen, die Asunción Huitipan,
ihren jetzigen Zufluchtsort, noch nicht erreicht hatten, und sich in den
umliegenden Berge versteckt hielten. Dabei starb ein 17-jähriger Junge.
Laut ihren ZeugInnenaussagen hielt die Verfolgung an und wurde durch
den Einsatz von abgerichteten Hunden verschärft.
Nach diesen Vorfällen haben die ca. 600 Flüchtlinge Angst,
nach El Paraiso zurückzukehren, zumal die Landespolizei seit jenen
Januartagen ein Lager im Dorf eingerichtet hat.
Aktuelle Lage der Vertriebenen
Sie erzählen, dass sie auch im Exil Drohungen von Paz y Justicia
erhalten hätten. Auch bezeugen sie, dass all ihr Hab und Gut, vom
Haus bis zu den Tieren, geraubt oder zerstört wurde und dass vieles
von den PRIisten des Dorfes oder von Paz y Justicia, die nach ihrer Flucht
in der Gemeinde geblieben sind, verkauft worden sei.
Ebenso raubten diese Kaffee- und Maisernte und behielten den Gewinn
für sich. Dieselben, so klagen die Interviewten an, verbieten ihnen
auch die Rückkehr nach El Paraiso und sie fürchten, dass sie
sich ihr Land ebenso aneignen.
Momentan würden die Flüchtlinge mit Priisten zusammenleben,
ohne dass es zu Problemen käme. Die ZeugInnen weisen jedoch darauf
hin, dass die Situation sehr schwierig sei, da sie kein Land zum Bestellen
hätten und ihnen deshalb das Grundlegendste zum Überleben fehle.
Sie bezeichnen ihre Ernährungslage als das Hauptproblem, streichen
aber heraus, dass es ebenso an Kleidung mangle und dass die Kinder am stärksten
unter der jetztigen Situation zu leiden hätten.
Ebenso fehle es an Medikamenten, und die medizinische Betreuung sei
prekär. Ihre Bewegungsfreiheit sei eingeschränkt, weil ihnen
verboten wurde, sich vom Dorf zu entfernen. Laut den ZeugInnenaussagen
kontrolliert Paz y Justicia die Strassen. So bleiben ihnen als Alternative
nur Schleichwege, die nicht selten einen Umweg von 6 Stunden und mehr bedeuten.
Durch diese Strassensperren würde ihnen auch verunmöglicht, die
Schwerkranken oder Frauen mit Geburtskomplikationen ins Krankenhaus zu
bringen, was zum Beispiel im Fall des Vaters des Anzeigenden zum Tode geführt
habe.
Ausserdem fehle es an Schulen und Unterkünften. In ihren gegenwärtigen
Behausungen seien sie allen Launen des Wetters ausgesetzt, was das Ausbrechen
von Krankheiten weiter begünstige.
Anklagen gegen Paz y Justicia.
Gemäss den Angaben der Gesprächspartner hat Paz y Justicia
im Jahr 1996 angefangen, sich zu organisieren. Das Ziel dieser Organisation
sei es, sie zu vernichten. Paz y Justicia hingegen klagt die SympathisantInnen
der EZLN als ProvokateurInnen an, was diese mit dem Argument zurückweisen,
dass ihr politischer Kampf ein pazifistischer sei, da die Gewalt nur Tod
und Hunger mit sich bringe. Ihr Ziel sei es, ihr Lebensbedingungen zu verbessern.
Sie beklagen, dass ihnen verboten wurde, ihre Religion (die katholische)
auszuüben und ihre politischen Überzeugungen zu vertreten, obwohl
dies in der Verfassung Artikel garantiert würde.
Ein Zeuge erklärt, dass sie zur Mitgliedschaft in der PRI gezwungen
werden sollen und sich der protestantischen Sekte anschliessen sollen,
der die Organisation "Paz y Justicia" angehöre. Die katholische Kirche
und ihre Kultobjekte seien von dieser Organisation angezündet worden.
Auf die Frage nach den Beziehungen mit den Mitgliedern von Paz y Justicia
erklären sie, dass sie nicht nur jahrelang als Nachbarn zusammengelebt
hätten, sondern dass es sich in vielen Fällen um Verwandte handle.
Die ZeugInnen erläutern, dass die Mitglieder von Paz y Justicia
auch Bauern sind. Die BeobachterInnen fragten darauf, wie es denn möglich
sei, dass diese Waffen besitzen würden, wo ihre Einkünfte doch
sicher sehr gering seien. Sie antworteten, dass der Bürgermeister
Gebrauch vom Gemeindebudget mache, um "Paz y Justica" Waffen zur Verfügung
zu stellen. Auch sei das Geld aus dem Verkauf des Besitzes der Vertriebenen
zum Waffenverkauf benutzt worden.
Die ZeugInnen erwähnen auch ein Gespräch mit einem PRI-Sympathisanten,
der ihnen erzählte habe, dass der Justizbevollmächtigte befohlen
habe, ihre Häuser zu zerstören.
Einer der BerichterstatterInnen ist als Führer der EZLN-SympathisantInnen
angeklagt, was als Straftat ausgelegt wird. Er erklärt, dass er diese
Anschuldigung für unrechtmässig hält.
Im Rathaus der Gemeinde seien sie darüber informiert worden, dass
die unerlässlichen Bedingungen für ihre Rückkehr nach El
Paraiso einerseits die Intervention der Landespolizei und andererseits
die Festnahme von 6 der Vertriebenen seien.
Auch in ihrer Zufluchtsgemeinde würden sie von der Landespolizei
verfolgt.
I.4. BESUCH IN DER GEMEINDE SAN QUINTIN
Vorbemerkung
San Quintin verdient eine besondere Berücksichtigung. In der Gemeinde,
die sich am Ende einer der Wege befindet, die in den Lakandonischen Urwald
führen, stellt die PRI die Mehrheit. Im Unterschied zu anderen priistischen
Gemeinschaften ist San Quintin jedoch ausserordentlich gut ausgestattet.
Dies ist dem Umstand zuzuschreiben, dass der Ort sich in der Nähe
des Aguascalientes La Realidad befindet.
Seit 1994 gibt es in San Quintin ein Militärlager. Vor kurzem
ist ein breite, panzertaugliche Brücke fertiggestellt worden, die
den Ort für den rollenden Verkehr erschliesst und auf diese Weise
den militärischen Sperrgürtel um den Urwald schliesst.
Auf der Fahrt nach San Quintin kam die Kommission an vier Militärlagern
vorbei. Vor einem dieser Lager wurden die Mitglieder der Kommission einer
Kontrolle der Migrationsbehörde unterzogen. Die Anfragen der Kommission
nach Gesprächen mit den Verantwortlichen der jeweiligen Militärlager
wurden abschlägig beschieden. Bei allen Annäherungen an die Militärcamps
wurden die Mitglieder der Kommission von den Wachposten gefilmt.
I.4.1. GESPRÄCH MIT CARLOS GOMEZ VELAZQUEZ, DEM GEMEINDEBEAUFTRAGTEN
VON SAN QUINTIN, 20. FEBRUAR 1998
Der Gemeindebeauftragte erklärte, dass seine Gemeinschaft Unterstützung
von der Regierung erhalte, dass ihre Forderungen weitgehend erfüllt
würden und sie finanzielle Unterstützung für infrastrukturelle
Massnahmen, Gemeindedienste, wie z.B. die Erziehung bekämen. In der
Gemeinde würde Grund- und Hauptschulunterricht erteilt. Die 300 Kinder
im schulpflichtigen Alter würden von 15 LehrerInnen unterrichtet.
Auch die medizinische Versorgung sei gewährleistet. In schweren Fällen
würden die Kranken mit Militärhubschraubern in das nächste
Krankenhaus geflogen. Monatlich würden Impfungen durchgeführt
und die im Ort verabreichten Medikamente seien unentgeltlich.
Auf die Frage nach den Besitzverhältnissen des Geländes,
auf dem sich das Militärlager befindet, erklärt er, dass es Eigentum
der Gemeinde gewesen sei. Er wisse aber nicht, ob dafür Miete bezahlt
würde oder es eine Entschädigung für die Besetzung des Landes
gegeben habe. Es sei ihm auch unbekannt, ob die Armee vorher um die Nutzung
des Landes angefragt habe.
Dass die BürgerInnen von der Kaserne aus mit Videokameras gefilmt
werden, ist dem Bürgermeister zufolge eine übliche Praxis.
Hinsichtlich der öffentlichen Bauarbeiten in der Gemeinschaft
fiel vor allem der Ausbau der Zufahrtswege, die Kanalisationsarbeiten,
die grosse Sendestation und die Arbeiten zur Elektrifizierung der Gemeinschaft
auf.
Der Bürgermeister von San Quintin erkennt die Existenz von Gemeinschaften
und Gemeinden an, die keine Unterstützung von der Regierung erhalten.
Gleichzeitig äussert er seine Unkenntnis über Konflikte in benachbarten
Gemeinschaften, da seine Gemeinde keinerlei Beziehungen mit ihnen unterhalten
würde.
Abschliessend weist er auf vier weitere Bauvorhaben der Regierung in
der Gemeinschaft hin.
Bezüglich der Anwesenheit von AusländerInnen erklärt
er, dass die Gemeindeordnung die Teilnahme von AusländerInnen am Gemeinschaftsleben
verbiete. Gleichzeitig dankt er der Kommission für ihren Besuch.
II.
ANTWORTEN DER GENERALKOMMANDANTUR DER EZLN AUF EINEN FRAGEBOGEN DER
CCIODH
Bedingt durch die angespannte Lage in Chiapas war ein Gespräch
mit der Kommandantur der EZLN nicht möglich. In der Folge handelt
es sich um die Transkription eines Videos, das die EZLN der Kommission
in Beantwortung der schriftlich an sie gestellten Fragen zukommen liess.
SUBCOMANDANTE MARCOS ANTWORTET AUF DIE FRAGEN DER NATIONALEN UND INTERNATIONALEN
ZIVILGESSELLSCHAFT:
- Wir wollen dem Sistema Zapatista de Televisión Intergaláctica
für die Gelegenheit danken, uns an Sie zu wenden und einige Fragen
der nationalen und internationalen Öffentlichkeit sowie der Internationalen
Zivilen Kommission für Menschenrechte zu beantworten.
- Wie schätzt die EZLN den Konflikt nach dem Massaker in Acteal
ein?
- Die Regierung entwarf vor dem Massaker von Acteal eine Strategie,
um den Konflikt in Chiapas auf ein Problem zwischen Gemeinden und Ethnien
zu verlagern. Dies war der Sinn der Bewaffnung der paramilitärischen
Gruppen. Der Krieg sollte zu einer Auseinandersetzung zwischen bewaffneten
Indigenas werden: jenen der EZLN und den Paramilitärs von PRI und
Regierung.
Die Ereignisse von Acteal werden sofort als ein Staatsverbrechen erkannt.
Die Regierungsstrategie kommt dabei zum Vorschein, es wird klar, dass an
den Händen der Regierung Blut klebt. Die Nachricht über Acteal
wurde indes "leider via Internet und Fernsehen publik, noch bevor die Regierung
ihre eigene Version verbreiten konnte", wie es aus dem Aussenministerium
hiess. Die Regierungsstrategie nahm ihren Lauf, um in der Öffentlichkeit
und im Inneren der Macht die Legitimität und Zustimmung zur Vernichtung
der EZLN zu bekommen.
Wenn die Regierung von der Vernichtung der EZLN redet, meint sie im
besten Fall die Auslöschung der Führungsspitze der EZLN, damit
die Verhandlungen mit einem enthaupteten Körper geführt werden
können. Wir glauben, dass diese Strategie der Schläge gegen das
Umfeld der EZLN, um die Zapatisten und deren Führung zu isolieren,
nach dem Massaker von Acteal deutlicher zutage getreten ist. Wenn dann
zugeschlagen werden wird, sollen weder Unterstützung noch unbequeme
Zeugen vorhanden sein.
Nacht Acteal hat sich nichts Grundsätzliches an der Regierungsstrategie
geändert. Gleichzeitig war zu beobachten, dass das Blut unserer Brüder
von Acteal zugleich das nationale und internationale Bewusstsein aufgerüttelt
hat. Und es hat auf zwei grundlegende Sachverhalte hingewiesen: Zum einen
ist die Strategie des Zeitaufschubs zur Lösung des Problems gescheitert
und zum anderen ist durch Acteal klargeworden, dass die Regierungsstrategie
auf den Ethnizid, die Vernichtung der Indigenen des Landes abzielt.
Für uns ist Acteal die Antwort der Regierung auf die indigene
Frage. Aber dieser Schlag, diese Ohrfeige gegen die nationale und internationale
Öffentlichkeit führte auch zu einer grossen Mobilisierung, zu
neuem Druck, der den chiapanekischen Konflikt, die indigene Frage und die
Kluft zwischen einem neoliberalen Wirtschafts- und Sozialmodell und den
Gründervölkern dieser Nation - den indigenen Völkern - erneut
in die öffentliche Debatte brachte.
Es hat sich gezeigt, dass wir vom EZLN recht hatten, als wir sagten,
dass es der Regierung am Willen fehlt, dass sie auf Zeit spielt und einen
Vorwand sucht, um den Konflikt militärisch zu lösen. Acteal sorgte
für die Zuordnung aller Akteure auf die eine oder andere Seite, der
CONAI, des Kongresses der Union, der politischen Parteien. Und Acteal zeigte
allen, inklusive der EZLN und der Bundesregierung, die Existenz eines wichtigen
Akteurs auf, welcher nach Acteal eine zentrale Rolle übernahm, der
nationalen und internationalen Zivilgesellschaft.
Die Möglichkeit, dass sich Acteal nicht wiederholt, die Hoffnung,
dass die indigenen Völker wiedererlangen können, was ihnen rechtmässig
zusteht, dass der Frieden eine Zukunft der indigenen Völker Mexikos
sein wird, und dies in einer besseren Welt, haben nun dank des zivilen
Drucks eine höhere Wahrscheinlichkeit erlangt.
Dies zeigt uns die Bedeutung des Gesprächspartners, an den wir
uns hiermit über das "Intergalaktische Zapatistische Fernsehsystem"
wenden: die Bedeutung der Zivilgesellschaft, über ihre Komitees, ihre
sozialen und politischen Organisationen, die Nicht-Regierungs-Organisationen
und auch in Gestalt des unorganisierten, aber zur Teilnahme bereiten Bürgers,
der solche Dinge nicht ungerührt über sich ergehen lassen kann..
- Vertraut die EZLN darauf, dass im Fall Acteal und der anderen politischen
Morde in Chiapas Gerechtigkeit widerfährt?
- Wir glauben nicht daran, weil diejenigen, die über Verantwortung
und Schuld bezüglich des Massakers von Acteal entscheiden, in anderen
Fällen Indígenas umgebracht haben.
In diesem Zusammenhang sind die Äusserungen der PGR skandalös,
die das Massaker von Acteal zunächst als eine bewaffnete Auseinandersetzung
darstellte, obwohl die Opfer nicht bewaffnet waren, dann als Konflikt zwischen
Gemeinden und dann als Konflikt zwischen Familien...
Auf die eine oder andere Art zeigte sich, was wir bereits in den ersten
Tagen gesagt hatten, dass es eine direkte Verantwortung der staatlichen
Sicherheitskräfte gab, nicht nur durch die Deckung, sondern auch durch
die Verübung des Deliktes selbst und durch die Mittäterschaft
aus dem Innenministerium und der Präsidentschaft der Republik. Kommandanten
der Sicherheitskräfte sind in die Bewaffnung, die Ausbildung und den
Schutz der paramilitärischen Gruppen involviert. Deshalb werden zwei,
drei Sündenböcke präsentiert und dann erklärt: "das
Problem ist gelöst". Die Wahrheit über Acteal werden wir nicht
erfahren, solange jene Leute, die den Befehl gaben, in der Regierung sitzen.
Wir werden noch hundert Jahre warten müssen, um zu wissen, was geschah.
Die vermeintlichen Kämpfe zwischen Gemeinden sind in Wirklichkeit
auf von der Regierung bewaffnete Paramilitärs zurückzuführen,
welche gegen die Basis oder Sympathisanten der Zapatisten agieren, ohne
dabei Militäruniformen zu tragen. So gesehen existiert keine Auseinandersetzung
zwischen zwei Armeen im Sinne der Genfer Konventionen. Dies erlaubt der
Regierung, sich den Schein eines Vermittlers zu geben, statt als Konfliktpartei
aufzutreten. Die Argumentation, es handele sich um einen interethnischen
Konflikt, folgt dem alten Klassendenken der Regierungselite, für das
die Indígenas Barbaren und Perverse sind, welche sich gegenseitig
Schaden zufügen möchten. Diejenigen, welche die indigenen Gemeinden
kennen, wissen hingegen, dass die grundsätzlichen Probleme der Indígenas
nicht von Differenzen mit anderen indigenen Gruppen herrühren, sondern
im Zusammenhang mit der Modernisierung, der Globalisierung und der grossen
sozialen Ungerechtigkeit stehen.
Im Falle des Konfliktes in Chiapas werden religiöse Probleme angeführt,
um die Kirche als Förderin des zapatistischen Aufstandes darzustellen.
Dieses vier Jahre alte Argument wird alljährlich mit unterschiedlicher
Intensität wiederholt, obwohl es durch die Tatsachen längst entkräftet
worden ist.
- Soll mit den Aktivitäten der Weissen Garden oder Paramilitärs
die Ausweitung des Zapatismus gebremst werden?
- Ja, eine der Facetten dieses Krieges der Regierung gegen die indigenen
Völker, neben der Einkreisung durch die Bundesarmee und Verfolgung
durch die Polizei, ist die Schaffung und Bewaffnung von durch die Landes-
und Bundesregierung sowie durch die Grossgrundbesitzer unterstützten
Gruppen innerhalb der Gemeinden, um gegen die Oppositionellen vorzugehen.
Nicht nur der Zapatismus, sondern auch andere oppositionelle politische
Gruppen sind davon betroffen.
- Hat die EZLN auf die gegen ihre Basis gerichteten Aggressionen von
Seiten der Paramilitärs, der Sicherheitskräfte und der Bundesarmee
militärisch reagiert?
- Nein, das haben wir nicht getan. Auf Grundlage einer Übereinkunft
zwischen den Gemeinden haben wir uns für den zivilen Widerstand und
die öffentliche Anklage entschieden. Wir wollen bezüglich der
Paramilitärs nicht in die Falle eines Krieges zwischen Bauern, zwischen
Indígenas, laufen. Was die Sicherheitskräfte und die Bundesarmee
betrifft, bewegen wir uns noch immer im Rahmen des Mandats der Zivilgesellschaft,
den Verhandlungsweg zur Lösung des Konfliktes zu gehen. Wir haben
versucht, Provokationen zu vermeiden, andere Wege zu finden, um die Schuldigen
zu bestrafen.
- Worin besteht der "Sozialdienst" der Bundesarmee in Chiapas?
- Diese Art Sozialdienst wird in jedem Handbuch der Aufstandsbekämpfung
der nordamerikanischen Armee zur Bekämpfung einer bewaffnete Opposition
beschrieben. Die Zivilbevölkerung soll über soziale und wirtschaftliche
Hilfe, über medizinische Betreuung gekauft werden und gleichzeitig
sollen damit Informationen erschlichen bzw. Leute in die Gemeinden eingeschleust
werden, um an Informationen über die Stellungen der oppositionellen
Gruppierungen, deren Befehlsstrukturen und Bewaffnung heranzukommen. Parallel
hierzu werden die paramilitärischen Gruppen ausgerüstet, mit
Medizin versorgt und ausgebildet, um gegen die Gemeinden vorzugehen.
Bei den sogenannten sozialen Diensten der Bundesarmee in Chiapas handelt
es sich um eine militärische Arbeit in einer unbewaffneten Phase.
- Wie sieht die Menschenrechtssituation in Chiapas aus?
- Die Menschenrechte werden seit jeher andauernd verletzt, Tendenz
steigend. Dabei handelt es sich nicht nur um Verhaftungen, Schläge
und Folter, sondern auch um Morde und das Verschwindenlassen von Menschen.
Wir werden gefragt, ob wir die Menschenrechte in unseren Einflussgebieten
respektieren. Ich glaube, dies beantwortet am besten ein für die politische
und organisatorische Leitung der EZLN verantwortlicher Compañero,
Kommandant Tacho.
Tacho: Im Einflussgebiet der EZLN werden die Menschenrechte unserer
Meinung nach respektiert, doch wir sind Partei in diesem Konflikt, weshalb
es viel besser wäre, wenn internationale Organisationen sich ein Bild
vor Ort machen würden, um festzustellen, ob die Menschenrechte in
den zapatistischen und den nicht-zapatistischen Gemeinden eingehalten werden.
- Gibt es in den mexikanischen Gefängnissen politische Gefangene?
- Marcos: Sehr viele Zapatisten sitzen im Gefängnis, nicht nur
in Chiapas, sondern auch in anderen Teilen der Republik. Ebenso gibt es
politische Gefangene aus anderen politischer und sozialen Organisationen,
weil es ein Delikt ist, OppositionelleR, RebellIn zu sein und die Menschenrechte
zu verteidigen. Die Liste ist sehr lang...
Ich habe eine Frage zu Acteal übersprungen: die Aktionen der paramilitärischen
Banden haben das Phänomen der Vertriebenen hervorgerufen, die eigentlich
korrekter Flüchtlinge genannt werden müssten, weil sie Vertriebene
im Rahmen eines kriegerischen Konfliktes sind. Die Compañeros meinen,
die Lösung des Problems bestände in der Änderung der Lebensbedingungen
dieser Vertriebenen, die sich in einer wirklich dramatischen Situation
befinden, am Rande des Todes. Die Probleme betreffend Gesundheit, Nahrung
und Wohnraum müssen gelöst werden, um ihr Überleben sichern
zu können.
Ein weiterer Punkt ist, dass die politischen, sozialen und wirtschaftlichen
Bedingungen für ihre Rückkehr geschaffen werden müssten.
Dazu gehören die Entwaffnung der paramilitärischen Gruppen, die
Garantie auf Leben und Güter und natürlich ein verbindliches
Abkommen, welches eine Wiederholung dieses Phänomens verhindert, im
weiteren eine Entschädigung der Opfer der Paramilitärs, damit
die Betroffenen neu beginnen können, denn sie haben alles verloren:
ihr Haus, ihr Land, ihre Kleider, ihre Arbeitsutensilien. Sie sind mit
dem geflohen, was sie am Leib trugen, und besitzen nichts mehr. Wir sind
der Meinung, dass da die Unterstützung durch die Zivilgesellschaft
sehr wichtig ist, denn die Regierung interessiert sich nicht dafür.
- Was verstehen die ZapatistInnen unter indigener Autonomie?
- Das zapatistische Autonomiekonzept ist das der indigenen Völker,
welches in den Abkommen von San Andrés seinen Ausdruck fand. Das
Autonomiekonzept der Zapatisten ist das der Abkommen von San Andrés,
die Regierung und Zapatisten am 16. Februar 1996 unterzeichnet haben und
die im grossen Ganzen anerkennen, dass die Indígenas Teil der mexikanischen
Nation, aber verschieden sind, mit ihrer Verschiedenheit anerkannt und
eingegliedert und nicht gleichgemacht werden müssen, wie einige gerne
möchten. In diesem Fall bedeutet Gleichmacherei Vernichtung. Die Abkommen
von San Andrés geben die Autonomie wieder, die wir wollen. Wir wollen
weder Unabhängigkeit noch einen anderen Staat innerhalb des mexikanischen
Staates, wir wollen eine Autonomie in dessen Rahmen.
- Ist die Schaffung autonomer Gemeinden die Form, mittels der die ZapatistInnen
auf die fehlende Anerkennung der Abkommen von San Andrés auf gesetzlicher
Ebene reagieren?
- Die Schaffung autonomer Gemeinden ist die Form, in der die indigenen
Gemeinschaften die Abkommen von San Andrés erfüllen und umsetzen.
Diese erkennen die Fähigkeit der indigenen Völker an, sich selbst
nach ihren Bräuchen und Sitten zu regieren, nach eigener Art. Das
ist es, was zur Zeit geschieht und den autonomen Gemeinden Sinn verleiht.
Auch wenn die Regierung die Abkommen nicht erfüllt, betrachten sie
sie für beschlossen und setzen sie um.
- Wer regiert in Chiapas?
- In Chiapas regiert auf Seiten der Regierung die Bundesarmee. Scheinbar
existiert eine Koexistenz zwischen Zivilregierung und Militärregierung,
aber in Wirklichkeit stellt die Zivilregierung nur eine Maske, das freundliche
Gesicht einer Militärregierung dar. Das gesamte soziale und politische
Leben ist militarisiert und die wesentlichen und strategischen Entscheidungen
im Bundestaat Chiapas werden vom General der siebten Militärregion
mit Sitz in Tuxtla, und nicht im Regierungspalast derselben Stadt gefällt.
Die Militärs entscheiden über die sozialen Investitionen, die
militärischen Bewegungen, die Struktur der Polizei, die Verteilung
der Paramilitärs.
- Erfüllt die COCOPA ihre Aufgaben als Hilfsinstanz im Dialogprozess?
- Es ist noch zu früh, um dies zu beantworten. Die COCOPA ist
wie eine Wetterfahne inmitten des politischen Gewitters, des Drucks von
Seiten der Regierung und der Parteiführer, die vor einem Wahlkampf
stehen. Die Regierung versucht mit Nachdruck, die COCOPA auf ihre Seite
zu ziehen, um eine legislative Garantie für den Krieg zu haben. In
diesem Sinne gelingt es der COCOPA nicht, im Rahmen der neuen Situation
im chiapanekischen Konflikt ihren Platz wiederzugewinnen. Doch das wichtigste
in diesem Zusammenhang wird die Antwort auf die Äusserungen der Regierung
hinsichtlich der Gesetzesinitiative sein. Die Reform und der Inhalt der
Antwort der COCOPA auf diese Bemerkungen der Regierung werden einer der
wichtigsten Punkte zur Beantwortung dieser Frage sein.
- Welches ist die Bedeutung von CONAI als Vermittlungsinstanz?
- In der Regierung und gewissen Kreisen der Macht gibt es verschiedene
Gruppierungen, die darauf drängen, dass der Dialog direkt, ohne Vermittlung,
erfolgen soll. In diesem Sinne sind sowohl CONAI als auch COCOPA ein Hindernis
für die Lösung des Konfliktes.
Nach Ansicht der EZLN braucht es zur Lösung dieses Konfliktes
eine Vermittlung, die eine Art Brücke zur Zivilgesellschaft darstellt,
denn sie war es, die sich zwischen die Konfliktparteien gestellt hat.
Als der zapatistische Aufstand und die Kämpfe zwischen Bundesarmee
und zapatistischem Heer begannen, stellte sich eine nationale und internationale
Bewegung zwischen die Kämpfer und sagte: es muss ein Dialog geführt
werden. In diesem Kontext tauchte die Vermittlung auf, welche dem Konflikt
in Chiapas seit 1994 seine spezielle Charakteristik verleiht. Es sind Zeugen
nötig, Augen, Ohren und Hände der Zivilgesellschaft am Verhandlungstisch,
damit das, was geschieht wirklich ernsthaft und tiefgreifend ist und zu
einem Friedensabkommen führt. Wenn die Regierung den direkten Dialog
wünscht und einseitig die Vermittlung und Unterstützung übernehmen
will, so nicht um das Ganze zu beschleunigen, sondern weil sie darauf setzt,
dass ein direkter Dialog die EZLN in der Logik der staatlichen Politik
der geheimen Abmachungen, finanziellen Zuweisungen und Begünstigungen
für die Führer absorbieren könnte. In diesem Sinne ist die
CONAI, und damit meine ich nicht ein Individuum, sondern die Mitglieder
der Kommission, in dem Ausmass wichtig, in dem sie Empfinden und Interessen
der Zivilgesellschaft im Konflikt wiedergibt. Auch der COCOPA wird durch
die Regierungsstrategie ein Schlag versetzt. Im Fall der CONAI sind die
Schläge eher plump und protzig. Wenn die CONAI etwas verkündet,
was der Strategie der Isolierung der EZLN dient, wird sofort positiv über
die Vermittlung gesprochen, werden die Vermittler verteidigt. Doch wenn
die CONAI erklärt, dass die Bedingungen für die Wiederaufnahme
eines Dialogs nicht gegeben seien und sich gegen die Militarisierung und
paramilitärischen Gruppen ausspricht, so wird sie sofort als Konfliktpartei
und nicht als Vermittler bezeichnet.
Bezüglich CONAI und COCOPA ist es wichtig, dass die Vermittlungs-
und Hilfsinstanzen erhalten und gestärkt werden. Wir haben kein Interesse
an der Schwächung, weder der einen noch der anderen. Im Gegensatz
dazu ist es für die Regierungsstrategie notwendig, das diese Instanzen
verschwinden oder zumindest ihre Bedeutung einbüssen, damit Mexikos
Regierung freie Hand hat, um in dem Masse, in dem die Vernunft keine Möglichkeit
für sie darstellt, das Einzige durchzusetzen, was ihr bleibt: den
Gebrauch der Gewalt.
- Was denkt die EZLN über die Arbeit der Zivilen Kommission zur
Beobachtung der Menschenrechte? Was meint sie zur Kampagne gegen AusländerInnen
in den Konfliktgebieten?
- Soweit uns bekannt ist, hat die Kommission zu keinem Zeitpunkt die
neutrale und objektive Haltung aufgegeben, die eine Kommission dieser Art
wahren muss. Es wurden mit praktisch allen AkteurInnen Gespräche geführt,
ausser mit uns, doch wir benutzen dieses Medium, um uns an sie zu wenden.
Die Kommissionsmitglieder haben nicht nur Respekt, sondern auch Mut bewiesen.
Sie sind zu einem Zeitpunkt gekommen, in dem eine gewaltige Kampagne gegen
AusländerInnen geführt wird. Trotz dieser Einschüchterungs-
und Verfolgungskampagne haben sie ihr Programm durchgezogen. Wir haben
die Hoffnung, dass alles, was sie in den Tagen ihres Aufenthaltes in Chiapas
gesehen und gehört haben, an die Organisationen ihrer Länder
weitervermittelt werden wird; all die Interviews mit FunktionärInnen,
VermittlerInnen, UnterstützerInnen und direkten AkteurInnen des Konfliktes,
womit ich die indigenen Völker meine.
Die Kommission ist gewissermassen zu den Augen eines Teils der internationalen
Öffentlichkeit geworden. Sie hat keine Versuche unternommen, sich
in die internen Angelegenheiten Mexikos einzumischen. Auch ist es ihr gelungen,
eine Bilanz darüber aufzustellen, was in diesem Gebiet seit dem Massaker
von Acteal geschehen ist, welche Probleme gelöst wurden, welche sich
verschlimmert haben. Es ist wichtig, in Mexiko und auf der ganzen Welt
davon Kenntnis zu haben.
Bezüglich der Präsenz von Ausländern in den Konfliktgebieten
existiert eine Strategie, ein Plan, welcher sich in striktem Sinne darauf
reduzieren lässt, dass die Regierung die Zapatisten vernichten will.
Die Regierung möchte die Ausländer in dreifacher Hinsicht gebrauchen.
Erstens, um eine Legitimität zu bekommen, welche sie im Land nicht
besitzt. Mexiko ist ein sehr nationalistisches Land und auf seinen Nationalismus
sehr stolz. Doch nun, wo die hauptsächliche Menschenrechtsverletzerin
die mexikanische Regierung ist, gibt sich diese als Verteidigerin der nationalen
Werte aus und richtet sich gegen die Ausländer. Sie versucht auf anderen
Wegen die Unterstützung und Legitimität zu gewinnen, die sie
verloren hat. Ein weiterer Teil des Plans besteht in der Beseitigung unbequemer
internationaler Zeugen, welche berichten könnten, was vor sich geht,
womit ich nicht nur ein Unheil wie Acteal meine, sondern das, was jetzt
geschieht, der Krieg, der im Gange ist. Die Zivile Internationale Kommission
wird sich ja selbst ein Bild des Abnützungskrieges, des alltäglichen
Grauens, dem die indigenen Gemeinden ausgesetzt sind, gemacht haben. Die
Regierung möchte gerne einen kleinen, lautlosen Krieg führen,
der nicht viel Anlass zu Skandalen gibt, damit er zu Ende gebracht werden
kann.
Ein weiterer Gebrauch, den die Regierung von den Ausländern, durch
die Kampagne gegen jene, die vorgeblich ihren Aufenthaltsstatus verletzen,
machen möchte, besteht darin, über einen Angriff gegen die Ausländer
die Gemeinschaften anzugreifen. Einer der folgenden Schritte im Rahmen
dieser Regierungsstrategie wäre dann ein Angriff auf die Aguascalientes
und die indigenen Gemeinden, wo Friedenscamps bestehen, unter dem Vorwand,
Ausländer zu überprüfen, die sich nicht an die Migrationsgesetze
gehalten haben. Unter diesem Vorwand werden sie gegen die Gemeinden vorgehen,
Verhaftungen vornehmen und die Aguascalientes einnehmen.
- Wenn weder die Regierung bereit ist, die Abkommen von San Andrés
einzuhalten, noch die EZLN, an den Verhandlungstisch zurückzukehren,
bis die fünf Bedingungen nicht erfüllt sind, welche Alternativen
der Konfliktlösung bleiben dann? Was ist zu tun?
- Von Bedeutung ist, was unter den fünf Bedingungen subsumiert
ist, was in diesem Dialogprozess auf dem Spiel steht: ob der Dialog der
Weg der Konfliktlösung ist oder nicht. Wenn die Regierung sagt: "Wir
erfüllen die Abkommen von San Andrés nicht", dann sagt sie
damit, dass sie das Problem nicht auf dem Weg des Dialogs lösen wird.
Damit untergräbt sie alle in den Dialog gesteckten Hoffnungen der
Zivilgesellschaft und der EZLN, verliert an Glaubwürdigkeit sowie
Vertrauen. Und ohne Vertrauen kann es keinen Dialog geben.
Bei den fünf Bedingungen handelt es sich keineswegs um militärische
Bedingungen der Kapitulation. Sie beziehen sich auf den Willen zum Dialog,
Frieden und der definitiven Abkehr von einer kriegerischen Lösung
des Konfliktes. Wir glauben, dass die Alternative darin besteht, dem Dialog
Glaubwürdigkeit zu verleihen, doch dies ist nur möglich, wenn
die Regierung ihr Wort hält und die Abkommen von San Andrés
erfüllt. Und dies kann nur mit Hilfe einer breiten Bewegung der Zivilgesellschaft
geschehen.
- Wie steht es um die Gültigkeit der fünf Bedingungen, welche
die EZLN für eine Rückkehr zum Dialog gestellt hat?
- Die erste Bedingung ist die Einhaltung der Abkommen über die
Rechte und Kultur der Indígenas und entsprechend die Bildung der
Überwachungs- und Überprüfungskommission, welche die Erfüllung
dieser Abkommen überwacht. Diese Forderung besteht weiterhin. Die
Regierung hat bei verschiedenen Gelegenheiten, mit unterschiedlichen Argumenten
und Vorwänden, die Initiative der COCOPA abgelehnt und alles unternommen,
um die Kommission zu sabotieren. Es gibt keine Hoffnung, keine Indizien
dafür, dass die Regierung diese Forderung erfüllen wird, in der
die anderen vier zusammengefasst sind. Und in dieser Weigerung wird das
zusammengefasst, was ich schon gesagt habe: es steht der Weg des Dialogs
oder der Weg des Krieges zur Konfliktlösung auf dem Spiel.
Die zweite Bedingung bezieht sich auf die Verhandlungsrunde über
Demokratie und Gerechtigkeit. An diesem Punkt kam es zu keinem Ergebnis,
weil die Regierung die Absicht verfolgte, den Dialog platzen zu lassen.
Ein ernstgemeinter Vorschlag wäre nötig, doch solange die bereits
unterzeichneten Abkommen nicht eingehalten werden, besteht keine Hoffnung
auf weitere Übereinkünfte in diesem Dialog.
Die dritte Bedingung hat die Einstellung der Verfolgung und Übergriffe
durch Militär und Paramilitärs in den chiapanekischen Gemeinden
zum Inhalt. Diese Entwicklung hat sich aber verschlimmert. Wenn jemand
dachte, Acteal sei der Gipfel der Militarisierung und Paramilitarisierung
und des Angriffs auf indigene Gemeinden gewesen, so wissen wir jetzt, zwei
Monate später, dass dem nicht so ist, dass das Grauen noch schlimmere
Ausmasse annehmen kann, wie im Alltag in den indigenen Gemeinden des Nordens
von Chiapas, den Altos, im Regenwald, an der Küste, in allen indigenen
Gemeinden des mexikanischen Südostens zu beobachten ist. Es sind keine
Anzeichen einer möglichen Kontrolle oder einer Umkehr in Sicht. Nebst
den Paramilitärs haben die Militärs ihre Stellungen verstärkt,
die Zahl der Soldaten erhöht und ihre Technologie ständig verfeinert.
Die Stationierung der Bundesarmee steht nicht für einen Dialog, sondern
für einen militärischen Schlag. Die gegen die Gemeinden und zapatistische
Basis gerichteten Verfolgungen und Angriffe nehmen immer unverschämtere
Formen an. Sie nahmen am 1. Januar 1998 ihren Anfang und wiederholen sich
alltäglich, eins ums andere Mal, unter dem Vorwand der Anwendung des
Gesetzes über Feuerwaffen, der Suche nach Marihuana, des sozialen
Dienstes; manchmal gehen die Soldaten auch ohne Vorwand gegen die indigenen
Gemeinden vor. Ihnen folgt ihre Verstärkung: Prostitution, Drogen,
Alkoholismus und damit natürlich der soziale Zerfall der Gemeinschaften.
Die vierte Bedingung ist die Freilassung der zapatistischen Gefangenen
im ganzen Land. Nicht nur in den Gefängnissen Chiapas' gibt es zapatistische
Gefangene, sondern auch in anderen Teilen der Republik. Wenn von einem
Dialog die Rede sein soll, können wir nicht wie Delinquenten behandelt
werden. Da muss man konsequent sein.
Die fünfte Bedingung nimmt Bezug auf die Notwendigkeit der Ausstattung
eines durch die Regierung zu ernennenden oder bereits bestehenden Bevollmächtigten
mit Entscheidungskompetenz, um bindende Beschlüsse fassen zu können.
Seit Formulierung dieser Forderung sind schon zwei Bevollmächtigte,
die Herren Bernal und Pedro Joaquín Coldwell, von ihrem Amt zurückgetreten.
Nun übt Emilio Rabasa Gamboa diese Funktion aus. Er hat bereits bewiesen,
dass er weder über die notwendige Unabhängigkeit, noch über
Zuverlässigkeit oder Respekt verfügt. Von allen Bevollmächtigten
ist Rabasa der einzige, der sich bei einer der Parteien nicht förmlich
vorgestellt hat, das heisst bei uns. Rabasa hat sich nie auf die EZLN bezogen,
hat diese Konfliktpartei nie ernst genommen. Diese fünfte Bedingung
ist also auch nicht erfüllt worden.
- Wenn die Regierung das von COCOPA ausgearbeitete Gesetz über
die Rechte und Kultur der Indígenas annimmt, wenn sie einen ernsthaften
Vorschlag zum Themenkomplex Demokratie und Gerechtigkeit macht, wenn sie
die militärische und paramilitärische Übergriffe gegen die
indigenen Gemeinden in Chiapas einstellt, wenn sie einen Verhandlungsbevollmächtigten
mit Entscheidungskompetenz, Respekt und Zuverlässigkeit ernennt und
die zapatistischen Gefangenen freilässt, ist dann die EZLN bereit,
ohne neue Bedingungen und ohne Vorwände den Dialog wiederaufzunehmen?
- Die Antwort ist ja. Wenn die fünf Bedingungen erfüllt werden,
kehren wir zum Dialog zurück. Seit der Formulierung der fünf
Bedingungen sind neue Situationen aufgetreten. Der Konflikt hat sich verschlimmert,
aber die EZLN hat keine neuen Bedingungen zu jenen von 1996 hinzugefügt,
seit der Dialog mit der Regierung suspendiert wurde. Wenn die Regierung
die Initiative der COCOPA akzeptiert, wenn sie einen ernsthaften Demokratisierungsvorschlag
unterbreitet, wenn sie mit der Verfolgung und Einschüchterung der
indigenen Gemeinden aufhört, wenn sie ihren Bevollmächtigten
mit Entscheidungskompetenz, Zuverlässigkeit und Respekt ausstattet,
wenn sie die zapatistischen Gefangenen freilässt, wenn all dies geschieht,
dann wären wir zur Rückkehr zum Dialog bereit. Leider wird die
Regierung nicht eine der Bedingungen erfüllen. Die Regierung glaubt
nicht daran, dass der Dialog der Weg zur Lösung des Konfliktes sei.
Sie will durch die Verhandlungen und den Dialog nur Zeit für die Durchsetzung
des militärischen Weges gewinnen. Wir sehen darin keine Lösungsmöglichkeit,
weshalb wir auf diese Vermittlung setzen, darauf, dass diese Botschaft
Sie erreicht, denn aus der Zivilgesellschaft kann neuerlich diese Bewegung
hervorgehen und sie kann erreichen, dass der Dialog wieder die Rolle einnimmt,
die er verdient, das heisst die einer friedlichen Konfliktlösung.
III.
GESRPÄCHE MIT MEXIKANISCHEN INSTANZEN UND ORGANISATIONEN
III.1. INTERVIEW MIT DER PARLAMENTARISCHEN HILFSINSTANZ COCOPA
Das Interview wurde am 16. Februar 1998 in Mexiko-Stadt geführt.
Von Seiten der COCOPA waren 16 Parlamentsabgeordnete vertreten (Vertreter
der PRI, PAN, PRD, Partido verde ecologista, PT und zwei Repräsentanten
aus Chiapas) Die Kommission wurde recht herzlich empfangen und war während
mehr als zwei Stunden Gast der fast vollzählig vertetenen COCOPA.
Nur gegen Schluss kam es zu Spannungen, als ein Repräsentant der PRI
die Zusammensetzung und die Ziele der Kommission in Frage stellte.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde begann das eigentliche Interview.
Die verschiedenen Mitglieder der COCOPA vertraten unterschiedliche Standpunkte,
auch wenn sie der Kommission grundsätzlich wohlwollend gegenüberstanden.
Sie bedankten sich bei uns für unsere Solidarität und einer der
Repräsentanten aus Chiapas bestand darauf, dass wir auch das andere
Chiapas, das gedeihende, das arbeitende und das Frieden wollende, kennenlernen
müssten. Daraufhin führten andere Mitglieder der COCOPA an, dass
in ganz Mexiko, von der Zivilgesellschaft bis zur SEDENA (Secretaria de
Defensa Nacional/ Verteidigungsministerium) niemand Krieg wolle.
Zu Anfang informierten sie uns über die langwierigen parlamentarischen
Bemühungen für den Frieden, die am 11.3.95 zur Gründung
der COCOPA geführt hätten. Zum heutigen Zeitpunkt seien nur noch
drei Gründungsmitglieder Teil der COCOPA, da es nach den Wahlen vom
6.7.97 zu einer Neuzusammensetzung dieser Hilfsinstanz gekommen sei. Im
Verlauf des Dialogs habe die COCOPA eine Unterstützungsrolle zwischen
den beiden Seiten - der EZLN und der Exekutive - übernommen. Die Prinzipien
der COCOPA seien aktive Neutralität, Pluralität und der Wille,
die Parteien einander anzunähern, ohne dass es dabei zu einem persönlichen
oder parteipolitischen Protagonismus komme. Die Arbeitsweise der COCOPA
beruhe auf dem Konsensprinzip, was zum Teil harte Arbeit bedeute, um die
sehr unterschiedlichen Standpunkte innerhalb des Ausschusses ins Gleichgewicht
zu bringen.
Betreffend des Konfliktes, der am 1.1.1994 ausgebrochen war, erklärten
sie, dass dieser reale Hintergründe gehabt habe, womit deutlich wurde,
dass nicht AusländerInnen die Verantwortlichen sind, wie in den vergangenen
Tagen einige Medien weismachen wollten.
Über die Initiative zur Verfassungsreform, welche die COCOPA auf
Bitte der beiden Parteien ausgearbeitet hatte und die am 29.11.96 der Öffentlichkeit
vorgestellt wurde, äusserten die Anwesenden, dass dieses Dokument
ein Versuch dargestellt habe, die Vereinbarungen von San Andrés
in eine juristische Sprache zu übersetzen. Aus diesem Grunde spiegle
dieses Dokument nicht die Haltung der COCOPA wider. Nachdem dieses Dokument
von der EZLN akzeptiert worden war, erhob die Regierung zuerst 27 Einwände
dagegen, die sich dann auf 4 reduzierten (welche angeblich 17 Seiten füllen,
die aber nicht veröffentlicht wurden).
Die Mitglieder der COCOPA bestanden darauf, dass die Initiative zum
Dialog nicht ihr Eigentum sei, sondern beiden Seiten gehöre, und dass
sie juristisch sicher verbesserungsfähig sei. Sie schlossen aus, dass
es einen Konflikt zwischen der Legislative und der Exekutive aufgrund dieser
Einwände gebe, sondern erklärten, dass es ein Konflikt zwischen
der Bundesregierung und der EZLN sei. Sie wiederholten, dass es die Aufgabe
der COCOPA sei, eine Annäherung zwischen den beiden Seiten zu erzielen.
Aus diesem Grund habe die COCOPA kürzlich den jüngsten Vorschlag
der Regierung der EZLN über die CONAI zukommen lassen. Am Tag, als
dieses Interview stattfand, war die Position der EZLN zu diesem Thema noch
nicht bekannt. Die Mitglieder der COCOPA wollten uns aber darüber
informieren, dass es ihrer Meinung nach in diesem Moment vollkommen unangebracht
wäre, eine unnachgiebige Haltung einzunehmen. Ausserdem könne
die COCOPA nichts tun, solange sich die EZLN nicht wieder an den Verhandlungstisch
setze. Zwei Repräsentanten der PRI beharrten darauf, dass die EZLN
ja noch nicht einmal ihre Kriegserklärung an die Bundesregierung zurückgezogen
habe.
Die COCOPA bestand darauf, dass es sowieso keinen Sinn hätte,
jetzt auf eigene Faust eine Reforminitiative vor den Kongress zu bringen,
sei es als COCOPA oder als Repräsentanten der Legislative, weil es
keinen Konsens zum Thema indigene Rechte im Land gäbe. Es wurde jedoch
nicht weiter ausgeführt, wie so ein Konsens zu erreichen wäre.
Die Mitglieder der Kommission drückten ihr Erstaunen über die
Tatsache aus, dass die wertvolle Arbeit der COCOPA nicht auf die Art und
Weise aufgenommen wurde, wie es ihr gebührt hätte, sowie darüber,
dass es nicht möglich gewesen war, einen zügigen Reformprozess
in Gang zu setzen, obwohl in der COCOPA sowohl die Legislative, als auch
die verschiedenen Parteien des Kongress vertreten sind. Die Antwort darauf
lautete, in Mexiko existiere kein konsolidiertes Parteiensystem, welches
einen solchen Prozess ermöglichen würde und die COCOPA habe keinen
Einfluss auf die Parteien, genau so wenig wie umgekehrt.
Der PRD-Senator Gilberto López y Rivas stellte fest, dass das
Land sich in einem ganz besonderen historischen Moment befinde. Noch nie
habe es ein solches Ausmass an Militarisierung und Paramilitarisierung
gegeben, zumindest nicht seit den sechziger und siebziger Jahren. Ausserdem
gebe es heute politische Gefangene und es herrsche, den Definitionen einiger
Leute zufolge, eine Art schmutziger Krieg. Man stünde heute vor der
Alternative eines friedlichen Übergangs oder des Scheiterns desselben
und man müsse sich fragen, wie die Rolle der Armee in einer Demokratie
wie der Mexikos zu definieren sei. Er verwies an dieser Stelle auf den
spanischen Staat, wo es Mörder bis in höchste Regierungskreise
hinein gegeben habe.
Er bestand darauf, dass die COCOPA in keinem Falle den Eindruck erwecken
dürfe, einer der beiden Parteien näher zu stehen, weil sie dadurch
Gefahr liefe, ihre Legitimation gegenüber der Gesellschaft zu verlieren.
Als Beispiel führte er den Innenminister an, der die paramilitärischen
Gruppen der EZLN gleichstellen wollte, indem er diese als eine bewaffnete
Gruppierung definieren wollte. Für die COCOPA hingegen sei klar, dass
man die EZLN nicht mit den paramilitärischen Gruppen vergleichen könne,
denn die erstere sei im Gesetz für Eintracht und Befriedung und durch
die Vereinbarungen von San Andrés als Gesprächspartnerin legitimiert
worden. Aus diesen Gründen habe die COCOPA an diesem Punkt nicht nachgegeben
und das Innenministerium habe schliesslich die Existenz von paramilitärischen
Gruppierungen eingestanden.
Innerhalb der COCOPA sei es auch zum Konsens über folgende wichtigen
Punkte gekommen: die Armee müsse sich aus den Dörfern zurückziehen;
das in Chiapas stationierte Kontingent müsse reduziert werden; die
Vertriebenen dürften nur von Institutionen wie dem Internationalen
Roten Kreuz oder Menschenrechtsorganisationen Hilfe erhalten und nicht
von Parteien oder Regierungsorganismen. Er verwies in diesem Zusammenhang
auf ein Dokument zur Entspannung der Lage, das zusammen mit der CONAI ausgearbeitet
worden ist und das am 22.1. dieses Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt
wurde. Das Dokument enthält 10 Punkte, welche von beiden Vermittlerorganisationen
als notwendige Bedingungen für eine Wiederaufnahme des Dialogs genannt
werden. Aus Zeitmangel konnte jedoch nicht mit den Vertretern der COCOPA
darüber gesprochen werden, welche Anstrengungen die COCOPA zu unternehmen
gedenke, damit diese 10 Punkte tatsächlich auch umgesetzt werden.
Bei mehreren Gelegenheiten betonten die Mitglieder der COCOPA die Wichtigkeit
der Internationalen Beobachtungskommission für Menschenrechte. Gleichzeitig
gaben einige der Repräsentanten zu verstehen, dass sie die Lösung
des Problems für eine Aufgabe der Mexikaner hielten. Die Möglichkeit
einer UNO-Intervention, welche in letzter Zeit öfters in den Medien
erwähnt wurde, wiesen diese COCOPA-Vertreter energisch zurück.
Sie erklärten, dass Mexiko eine sehr besondere Geschichte habe, in
der Interventionen durch andere Staaten keine Seltenheit waren und dass
man deshalb die heutige Sorge um eine interne Lösung des Problems
verstehen müsse. Zudem sei der Nationalismus in Mexiko in keinem Moment
mit Fremdenfeindlichkeit zu verwechseln, denn Mexiko habe schon immer eine
offene Haltung gegenüber AusländerInnen gehabt.
Die Zukunft der COCOPA hänge von der Entwicklung des Konflikts
ab, erklärten sie. Nach dem Massaker von Acteal habe die Bedeutung
der COCOPA als unterstützende Instanz zugenommen, und sie möchte
weiterhin die Aufgabe der Annäherung der beiden Parteien erfüllen.
Einige der Mitglieder drückten jedoch Unsicherheiten in Bezug auf
die Zukunft aus.
Über die Rolle des neuen Generalkoordinators für den Dialog,
Emilio Rabasa Gamboa, erklärten sie, dass seine Berufung nichts an
der Funktion der COCOPA ändere. Genauso wenig dürfe man die Rolle
der COCOPA, welche eine unterstützende sei, mit derjenigen der CONAI,
die Vermittlerin ist, verwechseln.
Wir vereinbarten mit der COCOPA ihr, wie allen anderen interviewten
Institutionen auch, ein Exemplar des Berichtes zu überreichen, den
wir von unserer Reise anfertigen werden. Zum Schluss übergab uns die
COCOPA folgende wichtigen Dokumente:
- Gemeinsame Stellungnahme mit der CONAI zur Wiederaufnahme des Dialogs
- Das Gesetz zur Befriedung und Eintracht, für einen gerechten
und würdigen Frieden in Chiapas.
- Gesetzesinitiative für eine Verfassungsreform, ausgearbeitet
von der COCOPA.
Am Ende des Gesprächs, als sich die KommissionsteilnehmerInnen
schon verabschiedeten, wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass unerwarteterweise
eine Gruppe von 12 Choles-Indianern aufgetaucht sei, die sich mit uns zu
treffen wünschten. Wir erklärten, dass wir kein Mandat hätten,
um mit anderen als der COCOPA zusammenzukommen, aber wir würden sie
natürlich aufsuchen, um zu sehen, worum es ginge.
Daraufhin führten sie uns ins angrenzende Zimmer, wo uns die erwähnte
Gruppe ein Pressekommuniqué und ein Dokument mit dem Titel "Weder
Rechte noch Menschen" überreichten. Das Dokument war vom November
1997 datiert und stellte die Antwort der Gruppe "Desarollo, Paz y Justicia"
auf den Bericht des Zentrums Fray Bartolomé de las Casas über
die Situation im Norden von Chiapas dar. Wir bedankten uns für die
überreichten Dokumente und hinterliessen ihnen die Telefonnummer des
Sekretariats unserer Kommission. Auch wir erhielten von ihnen eine Telefonnummer,
damit wir einen späteren Termin mit ihnen festlegen könnten.
Wir erläuterten ihnen die Ausschliesslichkeit unseres Mandats und
verabschiedeten uns.
III.2. GESPRÄCH MIT DEM KOORDINATOR FÜR DEN DIALOG EMILIO
RABASA
Am Dienstag, dem 17.Februar, traf sich eine Delegation der internationalen
BeobachterInnenkommission für Menschenrechte mit dem Regierungsvertreter
für den Dialog in Chiapas, Emilio Rabasa. An dem Gespräch nahmen
auch José Narro, Ministerialdirektor des Gesundheitsministerium
und Eduardo Ibarrola, stellvertretender Bundesstaatsanwalt teil.
Rabasa machte ausführliche Erklärungen über den Stand
der Verhandlungen und über die Linie der Regierung im Dialog mit der
EZLN. Er erwähnte dabei die Rede des Präsidenten Zedillo in Yucatan
und erklärte dazu, dass die mexikanische Regierung weiterhin den Weg
der Verhandlung und des Dialogs suche.
Er führte an, dass es keinen Zweifel an der juristischen Gültigkeit
der Abkommen von San Andrés gebe, die er als Novum in der Rechtsgeschichte
Mexikos einstufte. Aus diesem Grunde sei die Regierung vollkommen bereit,
die unterzeichneten Vereinbarungen zu erfüllen. Seiner Meinung nach
liegt das Problem mehr im Vorschlag für die Verfassungsreform, den
die COCOPA auf Grundlage der Vereinbarungen von San Andrés ausgearbeitet
und gegen den die Regierung 27 Einwände vorgebracht hat.
Diese "Einwände" hatten zur Folge, dass sich die EZLN vom Dialog
zurückzog, was nach Meinung Rabasas gegen die Vereinbarungen von San
Miguel, welche die Voraussetzungen für den Dialog in San Andrés
bildeten, verstiess. Er fügte dem Gesagten Kopien dieser Vereinbarungen
hinzu, wo man nachlesen könne, dass sich keine der Parteien aus eigener
Entscheidung vom Dialog zurückziehen darf.
An diesem Punkt kam man auf das Massaker von Acteal zu sprechen, das
nach Meinung Rabasas die "Komplexität des Problems" beweise. Nachdem
er die Bezeichnung "paramilitärische Gruppen" für die Verantwortlichen
dieses Massakers zurückwies, gab er seine Interpretation der Konflikte
innerhalb der Gemeinden. Er schloss mit dem Hinweis auf die Geschehnisse
in Ocosingo (wo während einer Demonstration eine Frau von der Polizei
erschossen und zwei weitere Personen verletzt wurden, A.d.Ü.), die
ihrerseits die schlechte Organisation der Landespolizei des Staates Chiapas,
der Seguridad Publica, bewiesen. Er bestätigte, dass die Regierung
aufgrund dieser Ereignisse eine "neue Strategie" ergriffen habe, die drei
Punkte umfassen würde:
1. Sicherheitsplan: staatliche Untersuchung über Acteal, Reorganisierung
der führungslosen chiapanekischen Landespolizei; Einrichtung eines
Büros der Staatlichen Menschenrechtskommission im Gebiet, Befreiung
der Sympathisanten der EZLN (von 300 Freigelassenen seien 48 solche), alles
in allem: Wiederherstellung des Rechtsstaates in Chiapas.
2.Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der EZLN: Obwohl die Unterbrechung
des Dialogs aus Sicht der Regierung nicht gerechtfertigt war, seien die
27 Einwände auf 4 reduziert worden, welche nach Meinung Rabasas keinen
Einfluss auf die Vereinbarungen von San Andrés hätten, sondern
sich auf die erwähnte Initiative der COCOPA beziehen würden.
Als Beispiel erwähnte er einen Artikel über das Kollektiveigentum
von Boden und erklärte, dass dieser Artikel gegen die Rechte anderer
Volksgruppen verstosse, die den Boden privat oder als Gemeindeeigentum
besitzen. Aus diesem Grund sei der Artikel zu modifizieren.
All diese Beobachtungen seien der EZLN übermittelt worden. Rabasa
gab an, dass die Regierung, die abstreitet, je ein geheimes Treffen mit
der EZLN beantragt zu haben, die 10 Vorbedingungen der COCOPA und CONAI
zur Wiederaufnahme des Dialogs akzeptiere. Er erklärte auch, dass
die Präsenz der Bundesarmee in Chiapas nichts mit dem Konflikt zu
tun hätte, sondern vielmehr damit, dass der südöstlichste
mexikanische Bundesstaat ein Grenzstaat mit strategisch wichtigen Bodenschätzen
sei, welcher der Gefahr des Drogenhandels ausgesetzt sei. Auf jeden Fall
sei die Regierung bereit, den Umfang des Militärdispositivs erneut
zu überdenken, wenn die EZLN, bei einer Wiederaufnahme des Dialogs,
bereit sei, ähnlich geartete Zugeständnisse zu machen, d.h. auf
die autonomen Bezirke und auf die illegale Steuererhebung in denselben
zu verzichten.
3. Entschädigungen für die Familienangehörigen der Opfer
von Acteal und Initiieren eines Programms für die Vertriebenen, ungeachtet
deren politischer Haltung.
Der Ministerialdirektor für Gesundheit, José Narro, beschrieb
die Schwierigkeit der medizinischen Versorgung in einem Staat mit 20.000
Ortschaften, von denen der grösste Teil weniger als 300 EinwohnerInnen
hat. 11 % der 2,3 Millionen EinwohnerInnen Chiapas könnten kein Spanisch
und lebten ohne jegliche medizinische Versorgung. Was die Vertriebenen
betrifft, wiederholte er, dass die Regierung keine Unterschiede mache,
und dass sie nur dort nicht hingelangt wäre, wo es aufgrund der Entscheidungen
der Führer der Gemeinden nicht möglich gewesen sei.
Eduardo Ibarrola überreichte der Kommission einen "provisorischen
Bericht" der Untersuchung über das Massaker in Acteal, bei dem es
laut dem Generalstaatsanwalt keinerlei Toleranz in Bezug auf Straffreiheit,
egal auf welchem Niveau, geben soll. Er erklärte, dass die Untersuchungen
aufgrund der Zeit, die zwischen dem Massaker und dem Beginn der Ermittlungen,
verstrichen war, alles andere als einfach seien. Die lokalen Autoritäten
hätten nicht dafür gesorgt, dass der Ort des Blutbades unverändert
bliebe, sondern hätten die Leichen auf einen Haufen geworfen. Trotzdem
hätte die Staatsanwaltschaft feststellen können, dass fast alle
Opfer durch Feuerwaffen getötet worden waren.
Bis zu diesem Tag sei es zu 67 Verhaftungen gekommen, mit Anklagen
wegen Mordes, krimineller Vereinigung und Schusswaffengebrauchs. Unter
den Verhafteten befänden sich der lokale Polizeichef, fünf Polizisten
und drei Minderjährige. Die Ermittler hätten 400 ZeugInnenaussagen
gesammelt, "die nicht auf Spanisch gemacht wurden und deren Übersetzung
Zeit und Geld kostet". Ausserdem sei eines der Probleme gewesen, dass "einige
AusländerInnen" den ZeugInnen eine Liste mit Personen übergeben
und sie instruiert hätten, diese zu denunzieren.
Die Hauptverantwortlichen des Massakers seien von einem Greis, dessen
Sohn von SympathisantInnen der ZapatistInnen ermordet worden sei, organisiert
worden. Dieser Umstand sei ein Teil des Konflikts gewesen, der vor eineinhalb
Jahren seinen Anfang genommen hätte. Ibarrola erklärte zudem,
dass die Täter sich eigenmächtig als Priisten ausgegeben hätten,
denn es verstehe sich von selbst, "dass eine organisierte Partei nicht
ein Massaker befehlen könne".
Rabasa konnte den offensichtlichen Widerspruch nicht erklären,
dass eine Initiative für eine Gesetzesveränderung, welche von
einer Kommission ausgearbeitet wurde, in der alle Parteien, auch die PRI,
vertreten sind, von der Regierung, die von der PRI gestellt ist, zurückgewiesen
wurde. Eine andere Frage betraf seine Bezeichnung Koordinator für
den Dialog, während sein Vorgänger im Amt Beauftragter genannt
wurde. Rabasa erklärte dazu, dass seine Arbeit auch die Koordination
der Bemühungen verschiedener Behörden beinhalte. Er wurde daraufhin
gefragt, ob ihm auch die Koordination mit der SEDENA obliege und wenn ja,
warum der Verteidigungsminister, General Cervantes Aguirre erklären
konnte - ohne dass es von einer anderen amtlichen Stelle dementiert worden
wäre - dass die Armee in Chiapas sei, um die Durchsetzung des Gesetzes
über Feuerwaffen und Sprengstoff zu garantieren, was sich sowohl auf
paramilitärische Gruppen als auch auf EZLN beziehen würde. Dies
stellt ein Verstoss gegen Gesetz über die Eintracht und Befriedung,
das laut COCOPA dem Gesetz über Feuerwaffen und Sprengstoffe übergeordnet
ist und das die Regierung zu respektieren behauptet. Die Antwort von Rabasa
war, dass es erstens Beweise für die Existenz von "bewaffneten zivilen"
Zapatisten gebe, die von den "regulären Truppen" der EZLN zu unterscheiden
seien und dass zweitens die Vereinbarungen von San Miguel - die übrigens
von der EZLN nicht eingehalten werden würden - den Zapatisten keine
Straflosigkeit garantieren würden, sondern nur ihre freie Durchfahrt
zum Verhandlungsort. Die weitergefasste Interpretation sei eine Konzession
der Regierung gewesen. Abschliessender Kommentar war, dass es "zwei simultane
Gesetze" gebe und dass man sich in einer "zweideutigen Situation" befinde.
III.3. GESPRÄCH MIT DER MINISTERIN FÜR AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN,
ROSARIO GREEN
Das Gespräch fand am 24. Februar 1998 in Mexiko-City statt. Wie
schon in den anderen Interviews mit RepräsentantInnen der mexikanischen
Institutionen wurde auch diese Gesprächspartnerin zunächst um
eine persönliche Stellungnahme zur Lage des Konflikts im Bundesstaat
Chiapas und um ihre Einschätzung der Menschenrechtssituation in Mexiko
gebeten. Es folgt eine Transkription der wichtigsten Punkte ihrer Ausführungen
und des darauffolgenden Gesprächs.
Fr. Green, unter Salinas Vertrerin der mexikanischen Regierung an der
UN, erklärte, dass die Situation in Chiapas schon immer komplex und
kompliziert gewesen sei. ("Sie haben dies während Ihres Besuchs sicher
feststellen können"). Daran schuld sei die Isolation und die historische
Rückständigkeit dieser Gegend. Gleichzeitig stellte sie klar,
dass sie auf keinen Fall mit dem Weg der Gewalt einverstanden sei.
Sie versicherte, dass man seit 1996, seit Beginn der Verhandlungen
um die Staatsreform, grosse Fortschritte bei der Demokratisierung aller
Lebensbereiche erzielt habe. Dies sei nicht zuletzt dem Demokratisierungswillen
der Regierung zuzuschreiben. Als Beispiel dafür erwähnte sie
die Wahlreform, deren Erfolg sich bei den Wahlen 1997 gefestigt habe. Für
Green ist Demokratie gleichbedeutend mit der Respektierung der Wahlergebnisse.
Sie behauptete, dass seit dem vergangenen Jahr eine Verbesserung der
Wirtschaftslage in Mexiko zu beobachten gewesen sei, und betonte die Notwendigkeit
eines "kompakten und vereinten" Nationalstaats. Sie unterstrich die Bedeutung
der Aufgabe des Nationalstaates und seiner Rolle, die er in der Aktualität
spiele. Zugleich wies sie die Autonomiebestrebungen mit der Begründung
zurück, diese gefährdeten die nationale Souveränität.
Über das Massaker von Acteal, sagte sie aus, dass es sich um ein
Zusammenstoss zwischen zwei (nicht näher von ihrbeschriebenen) Gruppen
gehandelt habe. Sie erwähnte dann die Lösungswege, welche die
Regierung in Angriff genommen habe: Erstens der juristische Weg über
die PGR, um der Rechtlosigkeit ein Ende zu machen. Es befänden sich
über 60 in das Geschehen verwickelte Personen im Gefängnis und
die Suche nach Verantwortlichen gehe weiter. Zweitens der friedliche Weg
über Verhandlungen, der auch dazu führen soll, die verschiedenen
bewaffneten Gruppen zur Abgabe der Waffen zu bringen. Sie bemerkte zu diesem
Thema, dass es ihr schwerfalle, in diesem Zusammenhang die Bezeichnung
"paramilitärische Gruppen" zu gebrauchen, da dies ja auf eine Verbindung
mit der Bundesarmee verweise, welche jedoch in keinem Falle gegeben sei.
Ihrer Meinung nach garantiert die Armee den Friedensprozess. Der dritte
Weg, die humanitäre Hilfe, zeige sich in der Betreuung durch das Mexikanische
Rote Kreuz und in der Unterstützung durch die staatliche Menschenrechtskommission.
Ausserdem würden im Gebiet von Acteal grosse Anstrengungen auf verschiedenen
Ebenen (ethnisch, religiös, in Sachen Eigentum und Machtbefugnisse)
unternommen.
In Mexiko gebe es Bewegungsfreiheit und Kanäle zur freien Meinungsäusserung.
Der Informationsfluss sei gewährleistet, wie auch die Transparenz.
Über die Folter würde heute öffentlich debattiert, wobei
sie hinzufügte, dass dieses Thema nicht zu den am häufigsten
registrierten Anzeigen der staatlichen Menschenrechtskommission gehöre.
Rosario Green griff zu einem Sprichwort, um die Verwaltungslogik der
von ihr präsidierten Behörde zu umschreiben: "Man darf nicht
gute Dinge tun, die schlecht erscheinen."
Zur fremdenfeindlichen Kampagne, die in den vorangegangenen Wochen
ausgelöst worden war, meinte sie, dass diese ein Produkt der Medien
sei, die ja nicht mehr nur Nachrichten verbreiten, sondern sie auch schaffen.
Sie glaube nicht, dass es in Mexiko Fremdenfeindlichkeit gebe, auch wenn
sicherlich Personen, Gruppen oder Sektoren existierten, die sich über
die AusländerInnen beschweren würden. Sie schloss die Möglichkeit
einer gezielten Kampagne aus und rief die internationalen ONG's dazu auf,
den gesetzlichen Rahmen in Mexiko zu respektieren.
Bezüglich der von den Vertriebenen und der CONAI gestellten Forderung
nach der Präsenz des Internationalen Roten Kreuzes in den betroffenen
Gebieten erklärte sie, dass diese nicht nötig sei, da ja die
humanitäre Hilfe durch die Anwesenheit des Mexikanischen Roten Kreuzes
und der staatlichen Menschenrechtskommission gewährleistet sei. Auf
die Frage nach den Beziehungen zwischen dem Mexikanischen Roten Kreuz und
der Regierung äusserte sie sich dahingehend, dass es eine vollkommen
normale Beziehung zwischen einer ONG und der Regierung sei.
Eine weitere Frage betraf das nicht zustandegekommene Treffen zwischen
Zedillo und dem Präsidenten von Amnesty International, Pierre Sané.
Laut ihrer Aussage hatte dies mit Kommunikations- und Koordinationsproblemen
zu tun gehabt.
Über die ONG's sagte sie: "Ich denke, dass sie dazu berufen sind,
eine sehr wichtige Rolle zu spielen. Sie haben zweifellos eine internationale
Bedeutung. Es scheint mir auch sehr wichtig, dass sowohl die national als
auch die international agierenden ONG's sich innerhalb des gesetzlichen
Rahmens bewegen, um nicht das Ansehen der ONG's aufs Spiel zu setzen. Den
gesetzlichen Rahmen zu übertreten und anzunehmen, dass gewisse Umstände
die Übertretung der Gesetze rechtfertige, ist sehr gefährlich,
denn langfristig wird dadurch ein falsches Bild der ONG's aufgebaut."
Sie betonte, dass allein die Tatsache, dass Mexiko am 8.12. 97 ein
Rahmenabkommen mit der EU unterschrieben habe, welches eine Klausel zur
Demokratie und zu den Menschenrechten enthält, schon darauf hinweise,
dass die Regierung bereit sei, diese Verpflichtungen zu erfüllen.
Sie habe mit RepräsentantInnen der EU über die Konsolidierung
der demokratischen Institutionen und auch über das Thema der Menschenrechte
gesprochen.
In Bezug auf eine mögliche internationale Vermittlung im Konflikt
in Chiapas, meinte sie, dass dies Sache der MexikanerInnen sei und dass
die Bedingungen für eine interne Lösung gegeben seien, womit
sie jegliche Massnahmen dieser Art ausschloss.
Zur aktuellen Stagnation im Prozess des Dialogs behauptete sie, dass
die EZLN nicht bereit sei, den Dialog wiederaufzunehmen, da sie gemerkt
habe, dass der internationale Druck ihr zugute komme. In diesem Zusammenhang
führte sie an, dass es ihres Wissens nach der einzige Fall sei, in
dem eine Regierung mit einer vermummten Guerilla verhandelt habe. Ausserdem
habe sich die EZLN geweigert, sich als eine politische Partei zu konstituieren,
obwohl dies das Ergebnis der von ihr durchgeführten Befragung 1996
gewesen sei. Abschliessend unterstrich sie die grossen Anstrengungen, welche
die Regierung unternommen habe, als sie ihre Einwände zur Initiative
der COCOPA von 27 auf 4 verringerte. Dies sei der Beweis für die Verhandlungsbereitschaft
der Regierung.
III.4. INTERVIEW MIT DEM BUNDESSTAATSANWALT JORGE MADARAZO CUELLAR
Das Gespräch wurde am 25. Februar 1998 im Gebäude der Bundesstaatsanwaltschaft
in Mexiko-Stadt geführt. Neben dem Bundesstaatsanwalt nahm auch sein
Stellvertreter, Hr. Eduardo Ibarrola, daran teil.
J. Madrazo erklärte zu Beginn des Gespräches, dass er Mitglied
der Mexikanischen Akademie der Menschenrechte ist. Zuvor sei er Beauftragter
für den Frieden in Chiapas und Verantwortlicher für die CNDH
(Nationale Menschenrechtskommission) gewesen.
In Bezug auf den Stand der Ermittlungen zum Massaker von Acteal wies
er darauf hin, dass nun die Bundesstaatsanwaltschaft (PGR) damit beauftragt
sei. Dies sei aufgrund der Entscheidung von Präsident Zedillo erfolgt,
nachdem ursprünglich nur die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates
Chiapas dafür zuständig gewesen sei. Entscheidend für die
Ausdehnung der Ermittlungen sei der Gebrauch von schweren Waffen gewesen.
Aus dem provisorischen Bericht des Staatsanwaltes über das Massaker
von Acteal seien vor allem die "schwerwiegenden Fehler" seitens der lokalen
Polizeikräfte hervorzuheben; dies gelte einerseits für die fehlende
Aufmerksamkeit gegenüber Hinweisen auf den Vorfall (das Massaker begann
um 11 Uhr vormittags am 22.12.97, die Polizei traf erst um vier Uhr morgens
am nächsten Tag am Tatort ein), andererseits für die ersten Ermittlungstätigkeiten
vor Ort, bei denen 45 Leichen innerhalb von nur zwei Stunden geborgen wurden,
während normalerweise für eine Leiche eine Stunde berechnet werde.
In der Folge seien ziemlich rasch 69 Personen verhaftet worden, wovon
56 im Gefängnis sitzen würden, darunter auch der damalige Bürgermeister
von Chenalhó. Sechs der Angeklagten seien Mitglieder der Landespolizei.
Die Verhafteten seien unter anderem des Totschlags, der unterlassenen Hilfeleistung
und der Waffenbeschaffung angeklagt. In diesem Zusammenhang erklärte
er: "Wir wissen, dass die polizeilichen Verantwortlichen sich während
der Vorfälle in der unmittelbaren Umgebung von Acteal aufgehalten
hatten und trotzdem nicht eingriffen". Als am 22. Dezember die Polizei
angefragt wurde, ob etwas Besonderes vorgefallen sei, habe sie dies verneint.
Es gebe bisher fünf Geständnisse, die 30 der 60 Verhafteten
in den Fall verwickeln würden. Gegenwärtige würde 30 weitere
Ermittlungen geführt, die in Kürze zur Ausstellung der entsprechenden
Haftbefehle führen würden.
Die ohnehin schon komplizierten Ermittlungen würden durch die
Existenz falscher ZeugInnenaussagen und durch die Schwierigkeiten bei den
Ermittlungen vor Ort erschwert: Die BewohnerInnen hätten die Zugänge
zu ihren Gemeinschaften verbarrikadiert und wenn ein Mitglied der Staatsanwaltschaft
auftauche, würden sie sich verstecken. In Bezug auf den Wahrheitsgehalt
gewisser ZeugInnenaussagen bestehe die Gewissheit, dass Angehörige
der Cardenistischen Partei (eine von der PRI unterstützte Splitterpartei,
A.d.Ü.) Falschaussagen gemacht hätten.
Die Motive für das Massaker seien eine "Mischung aus politischen,
wirtschaftlichen, ethnischen und religiösen Interessen". Konkret führt
er zwei Hypothesen an: die Möglichkeit, dass es sich um einen Racheakt
handeln könne, der vom Vater einer am Tag zuvor ermordeten Person
organisiert wurde und der das Ergebnis eines langjährigen Zwists um
eine Sandbank gewesen sein könnte, der sich im April 1996 mit der
Gründung der autonomen Gemeinde von Polhó verschärft habe.
Er besteht darauf, dass die angespannte Lage zwischen den Gemeinschaften
die Vorfälle erklären würde und dass es vor Acteal 47 nicht
ermittelte Verbrechen gegeben habe, die nun von der Bundesstaatsanwaltschaft
untersucht würden. In diesem Klima habe es Antworten "von der einen
und von der anderen Seite" gegeben. Es handele sich um Spannungen und Konflikte,
die sich seit 1994 verschärft hätten, und die Bevölkerung
teile sich in SympatisantInnen der EZLN oder der PRD und in "selbsternannte"
Angehörige der PRI. Er warnt davor, das Blutbad von Acteal "aus westlicher
Perspektive beurteilen zu wollen", was sich als schwierig erweise in einer
Gegend, "in der die traditionellen Umgangsformen sehr unterschiedlich sind
(...) Ihre Mentalität ist schwer zu verstehen. Sie nehmen die Justiz
in ihre eigenen Hände."
Nachdem er erneut die angespannte Lage zwischen den Gemeinschaften
hervorgehoben hat, weist Hr. Madrazo darauf hin, dass Ermittlungen über
"bewaffnete Gruppen" eingeleitet worden seien. Er spricht dabei von 12
Gruppen ("beider Seiten") in Chiapas. In diesem Zusammenhang würde
auch der Waffenhandel untersucht, der "ganz sicher aus den Restbeständen
der lateinamerikanischen Guerilla stammt".
In Kürze würde ein Sonderstaatsanwalt für die Vorfälle
in Chenalhó eingesetzt und drei Dienststellen der Staatsanwaltschaft
an konfliktreichen Orten von Chiapas (Ocosingo, Chenaló-Pantelhó
und Zona Norte) eingerichtet werden.
Abschliessend erinnert er daran, dass die Mischung aus Rechtlosigkeit
und Rache die beiden Faktoren seien, die Acteal erklären. In den nächsten
14 Tagen würden die Ermittlungen schon sehr weit fortgeschritten sein,
man dürfe aber nichts überstürzen: "Ich würde sie auch
gerne alle im Gefängnis sehen, wir dürfen aber keinen Konflikt
in der Gemeinde Chenalhó erzeugen."
Auf die Frage von Seiten der internationalen Menschenrechts-Kommission,
was genau am 23. Dezember zwischen vier und sechs Uhr morgens in Acteal
geschehen sei, schildert Madrazo folgendes:
"Die "Straftat" geschah am 22. Dezember um 11 Uhr morgens. Wir wissen,
dass die meisten Morde um diese Zeit erfolgt sein müssen, obwohl einige
ZeugInnen versichern, während fünf Stunden Schüsse gehört
zu haben. Gegen Mittag informierte der Vikar Gonzalo Ituarte das Sekretariat
der Regierung, er verfüge über "einige Informationen über
gewisse Unruhen", worauf ihm geantwortet wird:"Ich weiss nicht recht, ich
werde eine Untersuchung anordnen." Er kontaktiert daraufhin die lokale
Polizei, diese entgegnet, es sei nichts los, es gebe nichts Neues. Mit
den widersprüchlichen Aussagen konfrontiert, beharrt der Vikar darauf
und erreicht, dass der Koordinator des Landespolizei, ein Unterstaatsanwalt
für indigene Rechte und ein Mitglied der Landesregierung sich nach
Acteal begeben, um die Vorfälle zu überprüfen. Doktor Najera
vom mexikanischen Roten Kreuz erzählt ihnen, dass am vergangenen Abend,
als er sich am Tatort befand, eine Gruppe von Personen die Gemeinschaft
"Las Abejas" vor der Gefahr eines paramilitärischen Überfalls
gewarnt habe. Als Reaktion rief der Sprecher des Ortes, ein Katechist,
die Leute auf, sich zum Gebet zusammenzufinden. Najera versichert, bereits
morgens um halb elf Uhr des nächsten Tages vereinzelte Schüsse
gehört zu haben, mindestens sieben. Man habe ihm gesagt: "Sie können
nicht hierbleiben, wir können nicht für Ihr Leben garantieren."
Er ging darauf nach Pantelhó, von wo aus er einen Bericht an seine
Vorgesetzten sandte - dieser erreichte seltsamerweise nie die Behörden
von Chiapas. Schliesslich ist es Najera selber, der die Autoritäten
nach Acteal führt. Um vier Uhr morgens, im Dunkel der Nacht, werden
einige schlechte Fotos gemacht und sofort werden die Leichen auf Lastwagen
geladen, die gegen sechs Uhr nach Tuxtla Gurtiérrez aufbrechen sollen.
Es muss betont, dass dafür nicht die Bundesbehörden, sondern
die oben genannten Mitglieder der Landesbehörde verantwortlich sind."
Auf die Frage, wie eine persönliche Rache mit dem im amtlichen
Bericht anerkannten grossen Aufgebot an Personen, Vorbereitungen, Waffen
und dem Terror zu vereinbaren sei, der sich im Verbrechen von Acteal ausdrückt,
und ob diese Umstände nicht eher auf das Werk einer zuvor ausgebildeten
Gruppe hinweise, antwortet Madrazo:
"Meiner Meinung nach waren diese Personen nicht ausgebildet, denn wenn
es wirklich so gewesen wäre, dann hätten sie nicht nur 45 ermordet,
sondern die ganze Dorfgemeinschaft (rund 300 Personen). Die meisten Opfer
sind ja Frauen und Kinder gewesen, die nicht schnell genug flüchten
konnten."
Die Existenz eines Militärpostens in Majomut, von wo aus die Schüsse
gehört worden sein sollen, verneint Madrazo ebenfalls. Ihm zufolge
ist es genau aufgrund der Abwesenheit der Bundesarmee erst soweit gekommen.
III.5. INTERVIEW MIT DEM MENSCHENRECHTSZENTRUM FRAY BARTOLOME DE LAS
CASAS
Am 18. und am 22. Februar führte eine Delegation der Kommission
zwei Gespräche mit Pablo Romo, Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums
Fray Bartolomé de las Casas
Als Einleitung gab Pablo Romo einen ausführlichen Situationsbericht
zu den Menschenrechten in Chiapas. Im Anschluss daran schnitt er das Thema
der Präsenz von AusländerInnen in den Konfliktgebieten an und
zeigte mögliche Koordinationsachsen mit Menschenrechtsorganisationen
in anderen Teilen der Welt auf.
Die Ausführungen Pablo Romos können wie folgt zusammengefasst
werden:
Die systematische Verletzung der Menschenrechte weisen bestimmte Verhaltensmuster
auf, welche von gewissen Sektoren der Obrigkeit gefördert werden.
Dies gelte zum Beispiel für die Militarisierung und die Förderung
der Machtkämpfe zwischen lokalen Gruppierungen. Davon betroffen seien
Bevölkerungsteile, die nicht unmittelbar in den Konflikt involviert
sind (Bei diesem Punkt weist er auf Ähnlichkeiten mit den bewaffneten
und sozialen Konflikten im Guatemala der 80er Jahre hin).
In diesem Zusammenhang betont er, dass die Militärausgaben zum
wichtigste Posten im Nationalen Haushalt geworden sind.
Diese Tatsache nähre den Verdacht, dass die Regierung eine militärische
Lösung des Konflikts suche und sich nicht für einen friedlichen
Ausgang auf der Ebene des Dialogs einsetze. Schon die Militäroffensive
von 1995 habe auf diese Absicht hingewiesen. Wobei sowohl Zufallselemente
(wie das Fehlschlagen der Gefangennahme der Führung der EZLN) als
auch tagespolitische Faktoren (die ausgeprägte ökonomische Rezession
und eine ausserordentliche Legitimitätskrise des Regimes) den Erfolg
dieser Strategie vereitelten. Auch die breite Mobilisierung der Zivilgesellschaft
auf nationaler Ebene habe ihren Teil dazu beigetragen, die mit dem Aufbau
ziviler Friedenscamps (Campamentos Civiles por la Paz) zusammenfiel, deren
direkte Förderer das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé und
die Diözese in San Cristóbal waren.
Angesichts der extrem spannungsgeladenen Situation im Konfliktgebiet
nimmt das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé mittlerweile eine
vorsichtigere Haltung bezüglich der direkten Einbeziehung der internationalen
Zivilgesellschaft am Schauplatz ein. Diese explosive Lage sei ein Ergebnis
der Verschärfung des Konfliktes in den letzten Monaten. Hauptsächliche
Folge davon seien beträchtliche Rückschritt im Verhandlungsprozess.
Pablo Romo war zudem der Ansicht, dass der Konflikt in Chiapas interne
Spaltungen in den höchsten Sphären der politischen Klasse aufgedeckt
habe, welche sich in den Differenzen zwischen der Exekutive und dem Militär
widerspiegeln. Ausgehend von dieser Analyse bemühe sich das Menschenrechtszentrum
Fray Bartolomé, einen demokratischen Prozess in Gang zu setzen,
der vor allem von der Zivilgesellschaft auf nationaler Ebene weitergetragen
werden müsste.
Hinsichtlich der Wirkung, die eine Infragestellung der wirtschaftlichen
Abkommen haben könnte, welche die mexikanische Regierung mit verschiedenen
internationalen Institutionen unterschrieben hat, erwägt das Zentrum
Fray Bartolomé verschiedene Möglichkeiten, engere Verbindungen
mit internationalen Menschenrechtsorganisationen zu knüpfen.
Allerdings habe das Zentrum Fray Bartolomé de las Casas nach
den Anschuldigen aus gewissen Sektoren der mexikanischen Gesellschaft,
welche die CONAI (und damit das Menschenrechtszentrum) beschuldigen, ihre
Neutralitätspflicht verletzt zu haben, indem sie AusländerInnen
zu Aufenthalten in den Konfliktgebieten ermutigte, für die Haltung
entschieden, den nationalen AkteurInnen Priorität zu geben. Die internationale
Zivilgesellschaft sei hingegen aufgefordert, von ihren jeweiligen Ländern
aus und mit eigenen Kriterien, Strategien für Verbindungen mit der
mexikanischen Zivilgesellschaft zu entwickeln.
III.6. AUSZÜGE AUS DEM INTERVIEW MIT DER LOKALEN KOMMISSION DER
CNDH, 23.2.98, SAN CRISTOBAL DE LAS CASAS
Das Interview wurde mit Adolfo Hernandez Figueroa, dem Koordinator
der staatlichen Menschenrechtskommission für die Altos und die Selva
und seinen MitarbeiterInnen in den Räumlichkeiten der CNDH geführt.
Das Gespräch wurde mit dem Thema Acteal eröffnet. Für
den Verantwortlichen der CNDH ist das Massaker Produkt von Streitereien
und Zusammenstössen von bewaffneten Gruppen, deren Auslöser Unstimmigkeiten
wegen einer Sandbank waren. Die politischen Differenzen zwischen PRI und
PRD hätten die Situation noch verschärft. Im Fall Acteal akzeptieren
sie Definitionen wie "Genozid" oder "Strategie zur Aufstandsbekämpfung"
und bezeichnet den Fall als den grausamsten aller systematischen Menschenrechtsverletzungen
in Chiapas.
Die CNDH nimmt an, dass Personen von "Paz y Justicia" bewaffnet sein
und am Massaker teilgenommen haben könnten. Es wird jedoch zurückgewiesen,
dass Paz y Justicia eine paramilitärische Gruppe sei.
Die CNDH zeichnet in einem Dreipunktevorschlag Wege zur Lösung
des Konflikts auf:
-die Erfüllung der Abkommen von San Andres
-die Einrichtung der drei ausstehenden Verhandlungstische
-die Ausarbeitung von umfassenden Hilfsprogrammen für die indigenen
Gemeinden.
Die CNDH erwägt die Möglichkeit, die Intervention von internationalen
Organisationen zu beantragen. In diesem Zusammenhang wird das Internationale
Komitee des Roten Kreuzes erwähnt, das in Chiapas nicht arbeiten kann,
da die Regierung das Gebiet nicht als Konfliktzone anerkennt. Hr. Figueroa
fügt hinzu, dass einige indigenen Gemeinden die Präsenz des mexikanischen
Roten Kreuzes wegen seiner Verbindung mit der Regierung nicht akzeptieren.
Die CNDH streitet die Existenz von politischen Gefangenen ab. Hr. Hernandez
Figueroa erklärt, dass alle Häftlinge gewöhnliche Straftaten
begangen hätten und die Garantie eines Gerichtsverfahrens erhalten
hätten. Er räumt jedoch ein, dass es dabei zu technischen Fehlern
oder Unstimmigkeiten kommen kann.
Hr. Hernandez erklärt, dass die CNDH selten Klagen aus den zapatistischen
Gebieten und den autonomen Bezirken erhält bzw. bearbeitet, weil sie
von diesen als KollaborateurInnen der Regierung eingestuft werden.
Die CNDH bestätigt auch, keine Berichte zur Bildungs- und Gesundheitssituation
erarbeitet zu haben, da diese Aufgabe schwierig zu lösen sei.
III.7. AUSZÜGE AUS DEM INTERVIEW MIT MIREILLE ROCATTI, PRÄSIDENTIN
DER STAATLICHEN MENSCHENRECHTSKOMMISSION CNDH
Das Interview erfolgte am 26.2.98 im Sitz der CNDH in Mexiko City;
anwesend waren: Frau Mireille Rocatti, vier Beamte, der Sekretär der
CNDH, und sieben Mitglieder der Kommission
Arbeitsweise der CNDH
Die Kompetenz der CNDH liege auf nationaler Ebene und in jedem Bundesstaat
gebe es eine lokale Kommission. Ausserdem würden wichtige lokale Fälle
übernommen.
Die Hauptaufgabe bestehe darin, die Beschwerden der BürgerInnen
entgegenzunehmen. Ausserdem habe die CNDH die Befugnis, auf Gesuch von
einer der betroffenen Seiten, eine amtliche Untersuchung einzuleiten.
Die CNDH würde normalerweise keine humanitäre Hilfe leisten,
obwohl sie das im Fall von Chiapas tue.
Die CNDH erhalte gegen 9000 Klagen jährlich und all diese würden
untersucht. Der betroffenen Person werde ein amtliches Schreiben zugestellt,
in dem sie informiert werde, was untersucht wird, wer der Anwalt und welche
Instanz dafür verantwortlich sei.
Chiapas
Seit den 7. Januar 94 gebe es ein permanentes Büro in San Cristóbal,
das direkt der Nationalen Kommission untersteht, um die Probleme der Indigenen
und der Vertriebenen zu betreuen.
Das Büro koordiniere sich mit Caritas, mit dem Menschenrechtszentrum
Fray Bartolomé, Enlace Civil, dem mexikanischen Roten Kreuz und
anderen lokalen Organisationen.
Militarisierung
Frau Rocatti erklärt, dass die EZLN am 1.1.94 der Regierung formal
den Krieg erklärt habe und dass die Regierung darauf mit militärischer
Aufrüstung in diesem Gebiet reagiert habe.
Der Verfassungsauslegung des Obersten Gerichtshofs zufolge sei die
Tatsache, dass die mexikanische Armee innenpolitische Sicherheitsfunktionen
übernimmt, verfassungsgemäss, da es keine Nationalgarde gebe.
Andererseits sei die Militärpräsenz auch deshalb gerechtfertigt,
da die Bevölkerung kein Vertrauen zur Landespolizei habe. Fr. Rocatti
erklärt zwar gleichzeitig, dass diese Präsenz in sozialer Hinsicht
einen schwerwiegenden Umstand darstellen würde, dass sie aber "die
einzige Lösung ist, da die Bevölkerung gegenüber der staatlichen
Polizei kein Vertrauen hat und eingeschüchtert und verunsichert ist".
Acteal
Sie erklärt, dass in Acteal vor dem Blutbad keine Militärs
stationiert waren, dass es aber Posten der Landespolizei gegeben habe.
Die CNDH sei nach dem Blutbad als erste in Acteal eingetroffen: "Wir
kamen und nahmen die Beweise auf, denn die Lokal-Behörden hatten weder
den Tatort unberührt gelassen noch Beweise aufgenommen. Wir nahmen
dann die ZeugInnenaussagen zu Protokoll."
Ausserdem sei von ihnen ein audiometrisches Gutachten in Auftrag gegeben
worden, um festzustellen, ob die Polizeidienststelle in Majomut die Schüsse
gehört haben musste. Das Ergebnis sei positiv ausgefallen und die
Ergebnisse der Untersuchungen seien an die Staatsanwaltschaft weitergegeben
worden.
Politische Gefangene, Folter und Straflosigkeit
Was das Thema der Folter seitens der Polizei und des Militärs
betrifft, sei die Zahl der Fälle rückläufig. Die Folter
werde zwar nicht systematisch angewandt, aber es gebe sie.
Auf die Frage, ob es viele Fälle gebe, bei denen die Anwender
der Folter nicht bestraft wurden, sagt sie, dass "es zu technischen Fehlern
bei der Ermittlungen kommen kann oder es nicht genügend Beweise für
eine Verurteilung gibt. Wir wissen, dass es Fehler in unserem Rechtssystem
gibt. Es gibt Straflosigkeit in diesen Fällen".
Was die Situation im Gefängnis Cerro Hueco (bei Tuxtla Gutierrez,
Chiapas) betrifft, gebe es dort keine Gefangenen ohne Urteil. Sie räumt
ein, dass es möglicherweise den ein oder anderen politischen Gefangenen
im Land gebe und dass Mängel im gesamten Strafsystem des Landes existierten,
nicht nur in Cerro Hueco.
Die Abkommen von San Andrés
Laut ihrer Meinung wurden die Friedensverhandlungen infolge der Gesetzes-Initiative
der COCOPA zur Autonomie unterbrochen, da diese nicht mit der nationalen
Souveränität vereinbar sei. Ihrer Ansicht nach müssen die
Abkommen über eine Neudefinition der Gemeinden und Bezirke vorangetrieben
werden. Dies würde jedoch dadurch verhindert, dass die chiapanekischen
Abgeordneten nicht in die von der EZLN kontrollierten Gebiete vordringen
könnten, um entsprechenden Befragungen bei der Bevölkerung durchzuführen.
Sie fügt hinzu, dass ein stärkerer politischer Wille wünschenswert
sei und dass diese Befragungen erlaubt werden sollten.
III.8. INTERVIEW MIT BISCHOF SAMUEL RUIZ GARCIA, DEM VORSITZENDEN DER
NATIONALEN VERMITTLUNGSKOMMISSION,- CONAI
Das Gespräch erfolgte am 27. Februar 1998 in San Cristóbal
de las Casas in den Amtsräumen des Bischofs.
Nach der Vorstellungsrunde erklären die BeobachterInnen den Zweck
der Kommission und informieren über die bis anhin geleistete Arbeit.
Der Bischof weist darauf hin, dass sie keine einheitliche Sicht der Situation
erhalten würden und erklärt, dass seitens der politischen Klasse,
über die verschiedenen Standpunkte hinaus, eine besondere Sicht der
Dinge bestehe, die nicht ethischer, sondern praktischer Natur sei und die
ausserdem umständebedingten Veränderungen unterworfen sei. S.Ruiz
macht darauf aufmerksam, dass die Kommission sich deshalb manchmal Situationen
gegenüber sehen wird, die in kein Schema hineinpassen, da sie unvereinbar
miteinander seien.
In Zusammenhang mit diesen verschiedenen Wahrheiten fragt man ihn nach
seiner Meinung über die Drohungen, welche die Kommission seitens des
Innenministeriums bei der Ankunft erhielt. Bei diesen wurde deutlich gemacht,
dass die Beobachtung zwar eine erlaubte Tätigkeit sei, dass aber diese
Personen sich auf keinen Fall in die politischen Angelegenheiten des Landes
einmischen dürften.
Die BeobachterInnen äussern ihre Beunruhigung darüber, welche
Kriterien bestimmen, was politisch sei oder nicht. Der Bischof antwortet,
dass selbst diese Sitzung als politische Sitzung und deshalb als Vergehen
betrachtet werden könnte. Er erzählt darauf die Anekdote über
einen Vertreter der Migrationsbehörde, der sich zu einer Messe begab,
um die anwesenden AusländerInnen zu fotografieren. Auf die Frage,
was er vorhabe, antwortete der Beamte, dass diese Personen an einer politischen
Feier teilnähmen.
In der Folge erklärt der Bischof, dass er sich darüber im
klaren sei, dass sein Bekehrungstätigkeit eine politische Dimension
habe. Wenn diese nicht versuchen würde, die Welt zu verändern
und sich stattdessen nur darauf begrenzen würde, Beifall zu zollen,
dann würde er auch kein christliches Leben leben. Er unterscheidet
dabei klar zwischen einer politischen Dimension des Glaubens und der politischen
Parteiarbeit und bestätigt, dass letztere ausserhalb der kirchlichen
Struktur anzusiedeln sei, da es sich um eine individuelle Wahl handle.
Er erklärt, dass der Glaube alle Aspekte des Lebens umfasse, und
obwohl er nicht zu ganz bestimmten Entscheidungen zwinge, es doch bestimmte
Haltungen gebe, die für einen Christen verpflichtend seien, wie z.B.
auf Seiten der Armen zu stehen. Er schildert, dass eine angemessene Analyse
der Wirklichkeit ein deutliches Kausalitätsverhältnis zwischen
Reichtum und Armut offenbart. Wenn man diese Analyse verstanden habe, dann
werde das, was zuvor eine Möglichkeit war, zu einer Verpflichtung.
Auf diese Weise erklärt er, dass es ihm angesichts der unterdrückenden
und räuberischen Haltungen der herrschenden sozialen Kräfte klar
sei, welchen Stellenwert das Handeln innerhalb einer parteipolitischen
Option hat und was Handeln im Rahmen der politischen Dimension des Glaubens
bedeute. Er zitiert aus den Apostelbriefen, um seine Darstellungen zu erläutern,
und erklärt, dass das Ziel seines pastoralen Handelns nicht eine Anklage
an sich sei, sondern eine Anklage, die eine Veränderung dieser Situation
der Ungerechtigkeit beinhalte.
Im Weiteren beschreibt er die Unregelmässigkeiten bei der Ausweisung
des französischen Priesters Michel Chanteau und bestätigt, dass
er die Wahrheit über die Ereignisse von Acteal gesagt hat. Dass das
Massaker nicht hinter dem Rücken der verantwortlichen Behörden
begangen wurde, zeige sich auch an der Tatsache, dass die verantwortlichen
Behörden, der Staatsanwalt, der Polizeichef, der Provinzgouverneur
und der Regierungssekretär ihrer Stelle enthoben worden seien.
Der Bischof bestätigt, dass die militärische Operation gegen
die Bevölkerung von La Realidad im Januar durchgeführt wurde,
um diese Tatsachen zu verheimlichen, und schliesst in einer erneuten Bezugnahme
auf die Ausweisung von Chanteau daraus, dass es gefährlich ist, die
Wahrheit zu sagen.
Bezüglich der Kompetenz der BeobachterInnen sich über Situationen
auszulassen, welche die inneren politischen Angelegenheiten von Mexiko
berühren, gibt er ein Beispiel: die Äusserung, dass die Sümpfe
von Montebello schmutzig seien, könne als Kritik am Gesundheitssystem
und somit als Einmischung interpretiert und deshalb als Ausweisungsgrund
betrachtet werden.
Die BeobachterInnen fragen, ob sowohl diese Ausweisung als auch die
Kampagne einiger Medien, dass die CONAI den Zutritt fremder BeobachterInnen
in Chiapas fördere, vom Bischof nicht als einen Versuch, das Ansehen
seiner Institution zu zerstören, interpretiert werde. Er bejaht dies
und sagt, dass es nicht das erste Mal sei, dass dies geschehe. Er erwähnt
andere Fälle von Ausweisungen von Priestern mit absurden Anschuldigungen
und beschreibt die deutlichen Menschenrechtsverletzungen in einem dieser
Fälle.
Der Bischof beschreibt, wie er sich angesichts der grossen sozialen
Ungerechtigkeit im Verlauf seines pastoralen Werdegangs allmählich
von den Grossgrundbesitzern distanziert habe und erklärt: "Es kam
zusehends zu einer Zurückweisung, als es keine Basis mehr dafür
gab, das Religiöse in Einklang mit der politischen Herrschaft zu halten."
So sei es dann zu einem dumpfen Krieg von Anschuldigungen und Verleumdungen
gegen ihn sowohl vor kirchlichen als auch zivilen Instanzen gekommen. Innerhalb
der Logik des Konflikts hätten sowohl die Regierung als auch die ZapatistInnen
versucht, die CONAI zu benutzen. Die CONAI sei aber nicht für die
ZapatistInnen, sondern für die gerechten Anliegen, die diese vertreten
- wie es auch im Gesetz des Dialogs anerkannt würde - und sie wären
auch keine Vertreter der Regierung, wie sie kürzlich beschuldigt wurden.
Bezeichnenderweise erklärt S. Ruiz, dass die CONAI sich nie als
neutral ausgegeben habe, da man angesichts der Ungerechtigkeit nicht neutral
sein kann." Stets sei die CONAI der Parteilichkeit zugunsten einer Seite
angeklagt worden. Auch habe es nie einen Dialog für wirkliche Verhandlungen
gegeben, da dieser immer der militärischen Logik beider Seiten unterworfen
gewesen sei.
Auf die Frage der BeobachterInnen nach der Stellungnahme der Regierung
bei der Ankunft der Kommission, in der sie die CONAI für die Ankunft
der AusländerInnen verantwortlich gemacht hatte, erklärt S. Ruiz,
dass weder die CONAI noch er als Vorsitzender dieser Institution die Kommission
zu einer Fahrt nach Mexiko einladen konnten. Gleichzeitig bekräftigt
er die Bereitschaft der CONAI, die Kommission zu empfangen und mit ihren
Delegierten zu sprechen. Er ist der Ansicht, dass diese Stellungnahmen
der Regierung Teil der Kampagne ist, was aber seiner Arbeit für den
Frieden, die er als eine historische Aufgabe bezeichnet, keinen Abbruch
tun könne.
Danach baten die BeobachterInnen den Bischof um seine Einschätzung
bezüglich der Ausstellung eines speziellen FM3-Visums, das erstmals
in dieser Form bei der BeobachterInnenkommission angewandt wurde. S. Ruiz
ist der Ansicht, dass es sich dabei um einen wichtigen Schritt handeln
könne, insofern er eine Anerkennung des BeobachterInnenstatus bedeuten
kann. Er sieht aber auch, dass das Visum dazu benutzt werden könnte,
die Anwesenheit der BeobachterInnen auf einen sehr konkreten Rahmen zu
begrenzen, um so mehr, wenn man die gegenwärtige Lage im Land bedenke
und die Wichtigkeit, die der Verbreitung der Eindrücke der BeobachterInnen
nach ihrer Rückkehr nach Europa beigemessen werde. Trotz dieser Ausführungen
wahrte er jederzeit eine respektvolle Haltung gegenüber den Migrationsgesetzen
des Landes.
Der Bischof wird um seine Meinung zu der vorgeblichen Existenz eines
religiösen Konflikts in der Zona Norte gefragt, worauf er die BeobachterInnen
auf das Dossier "Weder Friede noch Gerechtigkeit" des Menschenrechtszentrums
Fray Bartolomé de las Casas verweist, wo seiner Meinung nach alles
detailliert dokumentiert ist.
Er informiert ausserdem, dass dieser Konflikt nicht auf spontane Weise
entstanden sei, sondern dass er induziert wurde, um die Rückkehr der
Armee zu begünstigen, die vorher die Region auf Grund des Druckes
auf nationaler Ebene sowie der BewohnerInnen verlassen hatte, die später
als Unterstützungsbasen der Zapatisten bzw. als Nicht-PRIistInnen
ausgemacht wurden. Auch habe es in dieser Region einen starken Schwund
der Mitgliederzahl der offiziellen Partei (PRI) gegeben, weshalb die Gewalt
gefördert worden sei, um die Kontrolle der Situation seitens des Militärs
und der Paramilitärs wiederherzustellen. Er weist darauf hin, dass
das Ziel darin bestanden habe, die Parteioppositionen bei den Wahlen nicht
zum Zuge kommen zu lassen. Trotz der Ausweisung von 10 Führern der
Opposition sei dann erklärt worden, dass die Bedingungen für
ordnungsgemässe Wahlen gegeben wären, was aber nach Meinung des
Bischofs nicht der Fall gewesen ist. Das Schwerwiegende der Situation würde
auch darin bestehen, dass sie sich mit einer klaren und bewiesenen Teilnahme
und Einverständnis der Behörden auf umliegende Gebiete ausgeweitet
habe.
Er weist darauf hin, dass vor zwei Monaten eine Sitzung von Pfarrern
und Bischöfen stattgefunden hat, an der sie gemeinsam ein Kommuniqué
mit ihrer Version des Konflikts veröffentlichten. Er erinnert daran,
dass in Chiapas, wie in Irland auch, von einem religiösen Konflikt
gesprochen werde, obwohl es sich um einen Machtkonflikt handle.
Auf die Frage über den weiteren Verlauf des Dialogs erklärt
S. Ruiz, dass die Existenz von Vereinbarungen nicht gering geschätzt
werden dürfe. Zum jetzigen Zeitpunkt seien aber die notwendigen Voraussetzungen
zur Weiterführung des Dialogs nicht gegeben. Er nimmt dabei Bezug
auf das Dokument der CONAI-COCOPA, in dem die Regierungsversion, dass in
diesem Moment die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Dialogs
gegeben seien, klar widerlegt werden würden.
Die BeobachterInnen fragen den Bischof nach den vier Punkten des Vorschlags
der COCOPA, die von der Regierung angefechtet werden, und nach seinem Eindruck
bezüglich der unterschiedlichen Haltung zwischen Exekutive und der
Armee.
Der Bischof bestätigt diesen Punkt und erinnert an die Voraussetzungen
für die Aufnahme der Verhandlungen. Ausserdem ist es seiner Meinung
nach zu Nachlässigkeiten bei der Bildung der COSEVER (Überwachungs-
und Überprüfungskommission) gekommen und einer Missachtung der
EZLN als Gesprächspartnerin. Er weist darauf hin, dass die fünf
Bedingungen der EZLN zur Wiederaufnahme des Dialogs, die von Anfang an
für erfüllbar erklärt worden seien, gegenwärtig nicht
nur nicht gegeben seien, sondern dass sich die Situation seitdem verschlimmert
habe. Als Beispiel führt er die stark angewachsene Zahl zapatistischer
Gefangene an, die zunehmende Gewalt in der Zona Norte und die ständigen
Feindseligkeiten gegenüber den indigenen Gemeinden seitens der Armee.
Auch habe es keine Beziehung zwischen dem Vorgehen der Armee und dem Prozess
des Dialogs gegeben. Dies habe den Anschein erweckt, dass die Armee autonom
handle und das Ziel verfolge, Uneinigkeit zwischen den Gemeinden zu säen
und einen Konsens zu verunmöglichen, indem die Unterstützungsbasen
der EZLN geschwächt werden.
Was den Gesetzesentwurf der COCOPA betrifft, weist der Bischof darauf
hin, dass die Einwände der Regierung einer Neuverhandlung der Abkommen
von San Andres gleich kämen, und er fragt sich, welchen Sinn die Unterzeichnung
dieser Abkommen hatten und welche Bedeutung dem Dialog beigemessen werde,
wenn dort getroffenen Vereinbarungen nicht erfüllt würden. Ausserdem
drückt er seine Sorge über die Garantien aus, unter denen die
weiteren Verhandlungs-Tische des Dialogs durchgeführt werden können.
S. Ruiz hob klar hervor, dass eine Wiederaufnahme des Dialogs nicht
möglich ist, solange die Bedingungen nicht erfüllt sind. Das
gegenwärtige Problem bestünde darin, dass das im gemeinsamen
Konsens Unterzeichnete abermals verhandelt werden soll.
Auf die Frage der BeobachterInnen nach den Auswirkungen der Militarisierung
und der angeblichen Sozialdienste der Bundesarmee antwortet der Bischof
ironisch, es sei ja allgemein bekannt, dass die Aufgabe der Militärs
nicht im Zähneziehen und in der Strassenreinigung in den Gemeinden
bestünde. Die konkrete Verpflichtung der Armee sei die "Entparamilitarisierung"
und in dieser Hinsicht habe sie bisher nicht das Geringste geleistet.
Die Arbeit der Armee bestünde vielmehr darin, eine Dynamik der
zivilen Konfrontation sowie ein Klima der Gewalt und Polarisierung zu fördern.
Er befürchtet, dass dieser Prozess unumkehrbar sein könnte und
dass sein Ziel in der Spaltung der Gemeinschaften bestehe, um so die politische
Basis der EZLN zu annullieren.
Gleichzeitig hebt er die Verantwortung der Armee bei der Einführung
von Drogen und Prostitution in die Gemeinschaften hervor und erklärt,
dass die Armut viele Familien dazu treibe, ihre Töchter gegen Geld
den Soldaten auszuhändigen.
Als Antwort auf das Interesse der BeobachterInnen bezieht sich der
Bischof auf die Glaubenstätigkeit der Diözese unter den Indigenen,
ihre Ursprünge und ihren Werdegang, wobei er darauf hinweist, dass
sie darauf ausgerichtet ist, die Offenbarung der Existenz Gottes vor der
Evangelisierung durch die Conquista anzuerkennen. Diese Anerkennung verlange
nach einer Kirche, die in der eigenen Kultur verwurzelt sein müsse
und nicht als aufgesetzter Ausdruck einer Kultur fungieren dürfe,
die sich für den einzigen gültigen Weg zum Ausdruck des Glaubens
darstellt. Die indigenen Völker müssten ihren eigenen Glauben
ausdrücken und nicht den von anderen. Man müsse nicht nur die
Indigenen innerhalb ihrer ethnischen Autonomie anerkennen, sondern auch
in ihrer Autonomie innerhalb der Offenbarung.
Abschliessend erklärt S. Ruiz, dass der gesamte amerikanische
Kontinent sich in einem historischen Moment befände, wo der interreligiöse
Dialog, der vor 500 Jahren nicht stattgefunden habe, sich vielleicht jetzt
als Antwort auf das Hervortreten der indigenen Theologie geben werde. In
diesem Zusammenhang stellt er das Hervortreten neuer Subjekte fest, welche
die Möglichkeit hätten auf das Makrosystem einzuwirken, dessen
Auswirkungen wir alle beklagen: die traditionell unterdrückte(n) Dritte
Welt, Frauen, Indigenen etc.
Zum Abschied richtet er einige Worte an die Kommission, der er eine
vitale Bedeutung bescheinigt. Niemals zuvor habe es eine derartige Mission
gegeben, nicht nur was ihre zahlenmässige Stärke angehe, sondern
auch die Umstände ihrer Ankunft und die Tatsache, dass ihre Existenz
durch die Ereignisse in Acteal ausgelöst worden sei.
VI.
SCHLUSSFOLGERUNGEN AUS DEN BEOBACHTERiNNENTÄTIGKEITEN DER INTERNATIONALEN
MENSCHENRECHTSKOMMISSION (CCIODH)
Nach Zusammenstellung der Information, ihrer Systematisierung und Auswertung
stellt die CCIODH fest, dass die Menschenrechte im mexikanischen Bundesstaat
Chiapas auf ausserordentlich schwerwiegende Weise beeinträchtigt werden.
Chiapas leidet gegenwärtig unter den Auswirkungen eines tiefgreifenden
politischen Zerfalls und einer besorgniserregenden sozialen Destrukturierung.
Auf jeder gesellschaftlichen Ebene ist wahrzunehmen, dass die institutionellen
Strukturen nicht in der Lage sind, den Rechtsstaat zu gewährleisten,
und dass die chiapanekische Gesellschaft im allgemeinen und die indianischen
Gemeinschaften im besonderen unter den Auswirkungen einer verallgemeinerten
Situation der Gewalt und Rechtlosigkeit leiden.
Die bestimmenden Faktoren zur Erzeugung dieser Situation sind folgende:
1.- Die intensive Militarisierung des Gebiets.
2.- Die Präsenz von paramilitärischen Gruppen.
3.- Die verallgemeinerte Situation der Rechtlosigkeit.
4.- Die Hindernisse beim Zugang zur Justiz
5.- Das strukturelle Elend in den indianischen Gemeinschaften
6.- Die Verfolgungsmassnahmen gegen Organisationsformen der Zivilgesellschaft
7.- Die fehlende politische Bereitschaft zur Suche nach einer Erfüllung
der Forderungen der indianischen Völker.
1.- Die intensive Militarisierung des Gebiets.
Bei den Besuchen in den verschiedenen indianischen Gemeinschaften hat
die Kommission eine umfassende Präsenz der Armee festgestellt, die
gemäss der Aussagen der BewohnerInnen einen der entscheidendsten Faktoren
bei den Verletzungen der Menschenrechte darstellt. Den Regierungserklärungen
zufolge erfüllt die Armee lediglich ihren Verfassungsauftrag. Es war
aber deutlich festzustellen, dass sie sozialpolitische Aufgaben und Funktionen
der Sicherung der öffentlichen Ordnung wahrnimmt, die ihr verfassungsrechtlich
nicht zustehen. Fast alle gegenüber der Kommission geäusserten
Meinungen stimmen darin überein, dass die Präsenz der Armee Teil
einer Regierungsstrategie ist, die darauf abzielt, die Ausdehnung des den
zapatistischen Forderungen nahestehenden Gebietes zu verhindern und die
EZLN über die Verfolgung derjenigen Gemeinschaften einzukreisen und
zu schwächen, die ihre ideologische Nähe zu den zapatistischen
Forderungen der Anerkennung der Rechte der indianischen Völker manifestieren.
Im Verlauf der BeobachterInnentätigkeiten wurden zahlreiche Klagen
entgegengenommen, in denen militärische Einnahmen von Gemeindeländereien,
ständige Drohungen, Vergewaltigungen von Frauen, Verhaftungen ohne
Rechtsgrundlage und konstante militärische Einschüchterungen
bezeugt werden. Diese Verfolgungsmassnahmen bewirken, dass zahlreiche indigene
Gemeinschaften in einer permanenten Atmosphäre von Terror und Unsicherheit
leben.
2.- Die Präsenz von paramilitärischen Gruppen.
Es wurde eine starke Zunahme von bewaffneten Gruppen bezeugt, die auf
systematische und selektive Weise inner- und zwischenkommunitäre Zusammenstöße
provozieren und, wie die Kommission feststellen musste, Teil einer Strategie
sind, die darauf ausgerichtet ist, massive Vertreibungen zu provozieren
und die soziale Struktur ganzer Gebiete sowie das Organisationsgefüge
der Zivilgesellschaft zu zerstören.
Die meisten Aussagen der Betroffenen weisen auf eine direkte Beziehung
von Kräften der Armee und der Polizeikörper mit diesen bewaffneten
Gruppen hin. Dies bezieht sich sowohl auf die Lieferung von Waffen als
auch auf die Ausbildung der paramilitärischen Gruppen. Die bei den
Untersuchungen über Acteal zu Tage getretenen Widersprüche bestätigen
diese These. Ausserdem weisen mehrere ZeugInnenaussagen darauf hin, dass
die nach den Vorfällen von Acteal befohlene Aufstockung der Militär-
und Polizeipräsenz, die den amtlichen Angaben zufolge zur Bekämpfung
der paramilitärischen Gruppen erfolgte, zu einem verstärkten
Auftritt dieser Gruppen in Gegenden geführt hat, in denen sie vor
Aufstockung der Militärpräsenz nicht präsent waren.
Aus den Beobachtungen ergab sich auch, dass der Widerspruch zwischen
den Interessen der Grossgrundbesitzer und den Gemeinschaften einer der
Faktoren ist, der die Zunahme der paramilitärischen Gruppen erklärt.
Genauer gesagt, handelt es sich dabei um den Weg, den die ersteren gewählt
haben, um ganze Gemeinschaften von ihrem Gemeinschaftsbesitz zu vertreiben.
Im Hinblick auf mögliche Beziehungen zwischen PRI und Regierungsinstanzen
ist darauf hinzuweisen, dass es mehrere Faktoren gibt, die diesen Verdacht
erhärten. Dies gilt vor allem für die Organisation "Desarrollo,
Paz y Justicia". Einer der wichtigsten Vertreter dieser Organisation ist
PRI-Abgeordneter im chiapanekischen Parlament, was bisher weder von Seiten
der PRI noch von Seiten der Regierung zu Reaktionen geführt hat.
3.- Die verallgemeinerte Situation der Rechtlosigkeit
Wie nachdrücklich von den RegierungsvertreterInnen erklärt
wurde - auch wenn damit stets die Armeepräsenz gerechtfertigt wurde
-, ist die allgemeine Situation der Rechtlosigkeit eines der Elemente,
durch das die kritische Lage in der Region verschärft wird. Es ist
hervorzuheben, dass die bisher in diesem Zusammenhang getroffenen Massnahmen
sich hauptsächlich auf die Intensivierung der Militärpräsenz
beschränkt haben. Schritte zur Behebung der manifesten Unfähigkeit
der Justiz, ein Minimum an Rechtssicherheit zu gewähren, sind bisher
ausgeblieben.
In diesem Sinne muss auch das medienwirksame Vorgehen des Innenministeriums
bei Vorfällen wie in Acteal interpretiert werden. Dieses Vorgehen
stellt keine Lösung für den Zerfall der Rechtssicherheit.
4.- Die Hindernisse beim Zugang zur Justiz
Im Zusammenhang mit der im vorangegangen Punkt aufgeführten Rechtlosigkeit
hat die Kommission ein starkes Misstrauen der Gemeinschaften im Hinblick
auf die Rechtsorgane festgestellt. Im Verhältnis zu den zahllosen
Menschenrechtsverletzungen ist es zu einer äusserst geringen Zahl
von Anzeigen gekommen. Dies ist unter anderem dadurch bedingt, dass Versuche
sich an die Justiz zu wenden, um eine Anzeige zu stellen, damit geendet
haben, dass der/die Anzeigende/n in der Folge Verfolgungsmassnahmen durch
die Landespolizei bzw. durch die paramilitärischen Gruppen ausgesetzt
war/en.
5.- Das strukturelle Elend in den indianischen Gemeinschaften
In allen Gesprächen wurde Chiapas als der Bundesstaat mit den
negativsten sozialen Indikatoren bezeichnet. Das Ergebnis der Beobachtungen
hat die statistischen Angaben bestätigt. Obwohl Chiapas eine ressourcenreiche
Region ist, herrscht ein radikales Ungleichgewicht bei der Verteilung des
Reichtums. Im Rahmen dieser althergebrachten Situation kommt es zu einem
Interessenskonflikt: Einerseits fordern die Gemeinschaften ein Entwicklungsmodell,
das ihre Traditionen und ihre Beziehung zur Natur achtet, und andererseits
herrscht ein Modell der intensiven Wirtschaftsentwicklung vor, das von
den wichtigsten lokalen, nationalen und internationalen wirtschaftlichen
Interessensgruppen propagiert wird.
Als Beispiel dafür kann auf die Bedeutung der chiapanekischen
Erdöl- und Wasserressourcen hingewiesen werden, auf das intermodale
Verbindungsprojekt zwischen Pazifik und Atlantik über die Landenge
von Tehuantepec oder die Investitionsvorhaben von multinationalen Konzernen
wie Nestlé (Bau einer Milchpulverfabrik).
6.- Die Verfolgungsmassnahmen gegen Organisationsformen der Zivilgesellschaft
Diese materialisieren sich in der Verfolgungsmassnahmen gegen die Führer
der Gemeinschaften und der sozialen Organisationen. Wie die Kommission
feststellen musste, ist die bedauerlicherweise zur mexikanischen Tradition
gehörende Praxis der Bedrohungen, Übergriffe und Morde an politischen
GegnerInnen weiterhin Bestandteil der politischen Gegenwart. Es ist auf
die Existenz von politischen Gefangenen hinzuweisen, bei denen es sich
um Führer der zivilen zapatistischen Gemeinschaften handelt, die weder
einem gerechten Gerichtsverfahren noch minimal annehmbaren Haftbedingungen
unterworfen werden (räumliche Entfernung von den Familien, Folterungen,
gesundheitsschädliche Haftbedingungen, Überbelegung der Zellen
usw.). Unter dem Vorwand der Ermittlung von vermeintlichen Verbindungen
mit bewaffneten Gruppen nehmen - auch in anderen mexikanischen Bundesstaaten
wie Oaxaca, Guerrero und Puebla - die Einfälle der mexikanischen Armee
zu. Die dabei vorgenommen Verhaftungen der Gemeindeverantwortlichen stellen
eine Zerstörung der gewachsenen Strukturen dar.
7.- Die fehlende politische Bereitschaft zur Suche nach einer Erfüllung
der Forderungen der indianischen Völker.
Die Kommission konnte die allgemein verbreitete Enttäuschung über
die Nichterfüllung der Abkommen von San Andrés feststellen.
Sie kommt nicht umhin, ihre Verwunderung über die Weigerung der Regierung
Ausdruck zu verleihen, die Gesetzesvorlage der COCOPA zu akzeptieren. Diese
Gesetzesinitiative war mit allen politischen Kräften des mexikanischen
Parlaments abgestimmt und von der EZLN akzeptiert worden und ihre Ratifizierung
hätte, auf vielleicht entscheidende Weise, zur Lösung des Konflikts
beigetragen, denn es wäre damit die Grundlage für eine soziale,
politische und wirtschaftliche Umstrukturierung der Region gelegt und zugleich
ein neuer Horizont für die Anerkennung der indigenen Rechte eröffnet
worden.
Keines der Argumente der Exekutive zur Rechtfertigung der Regierungseinwände
wurden der Kommission, trotz allen Nachdrucks, hinreichend erklärt.
So musste die Kommission zu der Einschätzung gelangen, dass sich hinter
den vorgebrachten Einwänden der fehlende Wille zur Verwirklichung
der Abkommen von San Andrés und der dadurch notwendigen Verfassungsreform
verbirgt.
Als Ergebnis der gemachten Beobachtungen muss darauf hingewiesen werden,
dass im Bundesstaat Chiapas zahlreiche Menschenrechte verletzt werden.
Diese Verletzungen erfolgen in allen Bereichen und umfassen Verletzungen
des Rechts auf Leben, auf die persönliche Freiheit, auf die freie
Bewegung und Niederlassung, das Recht auf körperliche Unversehrtheit,
das Recht zur Anklage von Menschenrechtsverletzungen vor den nationalen
Gerichten, das Recht auf Schutz vor Amtsmissbrauch und -willkür, das
Recht auf ein Verfahren vor einem unparteiischen und unabhängigen
Gericht; das Recht auf Verteidigung; das Recht auf Meinungs- und Glaubensfreiheit;
das Recht zur Mitwirkung in öffentlichen Vertretungsorganen; das nicht
durch Diskriminierung eingeschränkte Recht auf Bekleidung von öffentlichen
Ämtern, das Rechte auf freie und demokratische Wahlen.
An zweiter Stelle betreffen diese Rechtsverletzungen auch wirtschaftliche
und soziale Rechte, wie zum Beispiel die Fähigkeit zur Teilnahme an
denjenigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, die unerlässlich
für die Würde und die freie Entwicklung des Menschen sind; das
Recht auf einen besonderen Schutz der Mutterschaft und der Kindheit; das
Recht auf eine allgemeine Schulbildung, die auf eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung
ausgerichtet ist; das Recht aller Personen zur Teilnahme an ihrer eigenen
Kultur.
Auch wenn der Konflikt in Chiapas die Bevölkerung im allgemeinen
betrifft, ist festzustellen, dass die indigenen Gemeinschaften auf besondere
Weise davon betroffen sind. Innerhalb dieser traditionell benachteiligten
und marginalisierten sozialen Gruppe, die sich zudem im Zentrum des Konflikts
befindet, leiden die Gruppe der Vertriebenen und die indigenen Frauen unter
einer noch zugespitzeren Situation:
a)- Vertriebene Gemeinschaften:
Als Ergebnis der Aktionen der paramilitärischen Gruppen und der
Belagerung durch die Armee und der bundesstaatlichen Polizeikräfte
leiden die über 10.000 Flüchtlinge, die es gegenwärtig in
Chiapas gibt, nicht nur unter den durch das Exil bestimmten materiellen
und affektiven Verlusten, sondern sind auch Opfer einer Reihe von Verletzungen
ihrer individuellen und gemeinschaftlichen Rechte. An erster Stelle sind
sie ihres Rechtes auf Subsistenz beraubt, wodurch sie sich in einer lebensgefährlichen
Lage befinden. Es wurde ein absoluter Mangel an den minimalen sanitärer
Mitteln festgestellt, die unerlässlich für die Deckung der medizinischen
Notwendigkeiten der Bevölkerung sind. Der gesundheitliche Zustand
der Vertriebenen, wie auch der Mehrheit der Indigenen, ist überaus
prekär. Die verbreitetsten Krankheiten sind durch die Unterernährung
und die prekären sanitären Bedingungen bestimmt (Magen-Darm-Krankheiten
und Erkrankungen der Atemwege).
Im Hinblick auf das Recht auf Erziehung wurde das Fehlen von Mitteln
und Möglichkeiten festgestellt, um dieses Grundrecht auszuüben.
Es muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass die Mehrheit
der indigenen Bevölkerung AnalphabetInnen sind, eine Proportion, die
bei den Flüchtlingsgemeinschaften noch besorgniserregender ist.
b)- Frauen:
Wie in dem spezifischen Abschnitt über die Lage der Frau deutlich
geworden ist, sind die Frauen über die gewalttätige Situation
hinaus, von der die Gesamtheit der Bevölkerung betroffen ist, Opfer
der Ungerechtigkeiten, unter denen sie traditionell leiden.
Im spezifischen Fall des zivilen Widerstands gegen die Besetzung von
Gemeindeländereien und ganzen Gemeinschaften durch Militär und
Landespolizei agieren die Frauen oft als menschlicher Schutzschild. In
Folge davon erleiden sie auf dramatische Weise am eigenen Körper die
Gewalt des Konflikts. Wie aus den ZeugInnenaussagen zu entnehmen ist, kommt
es auch häufig zu sexuellen Aggressionen durch Soldaten, Mitglieder
der Landespolizei und paramilitärische Gruppen. Die beklemmende Lage
der Frauen wird noch durch den Umstand verschärft, dass die meisten
indigenen Frauen nicht Spanisch sprechen.
Vor Behandlung des Abschnittes, in dem die Empfehlungen der Kommission
ausgesprochen werden, erscheint der Hinweis angebracht, dass der Grad der
Komplexität des Konflikts in Chiapas und die Lage der Menschenrechte
nicht den Blick darauf versperren dürfen, dass im Substrat des zapatistischen
Aufstands und in den Forderungen, die ein Grossteil der Gemeinschaften
der Kommission gegenüber geäussert haben, eine ganze Reihe von
Lösungsansätzen zur Überwindung der Marginalisierung und
Missachtung enthalten sind, dem die indianischen Völker seit mehr
als fünf Jahrhunderten ausgesetzt sind.
Es ist auch darauf hinzuweisen, dass es eine Reihe von allgemeinen
und strukturellen Lösungsansätze der indianischen Völker
gibt, welche die Regierung ihren Aussagen zufolge zwar respektiert, bei
denen aber den Beobachtungen der Kommission zufolge das Gegenteil der Fall
ist. Globale Lösungsvorschläge wie diejenigen, welche der Gouverneur
des Bundesstaates Chiapas vertritt, machen deutlich, dass der institutionelle
Ansatz unvereinbar ist mit einem Ansatz zur Lösung des Konflikt, der
auf einer wirklichen Achtung der indianischen Forderungen basiert.
Obwohl in den offiziellen Verlautbarungen immer wieder der Wille zum
Dialog betont wird, weist die Praxis auf die Absicht hin, den Dialog zu
schwächen, die Hilfs-, Vermittlungs- und Überwachungsinstanzen
zu diskreditieren und die Möglichkeiten zu einer nicht gewalttätigen
Lösung des Konflikts zu zerstören. Aufgrund ihrer Beobachtungstätigkeiten
ist die Kommission zu der Schlussfolgerung gelangt, dass dies die einzig
mögliche Interpretation für die Präsenz der paramilitärischen
Gruppen und die fremdenfeindliche Kampagne ist, mit der versucht wird,
die Anwesenheit von AusländerInnen im Konfliktgebiet zu verhindern.
Allen Beobachtungen zufolge stellen die Zivilen Friedenscamps eine Garantie
für die Sicherheit der Gemeinschaften dar.
In den Tagen vor der Veröffentlichung dieses Berichts haben sowohl
die PAN als auch die PRI ihre jeweiligen Gesetzesinitiativen für eine
neue Rechtsstellung der indianischen Völker in der Verfassung vorgelegt.
Beide Gesetzesvorlagen bescheinigen erneut den fehlenden Willen, die direkte
Meinung der verschiedenen indianischen Völker zu berücksichtigen,
und zerstören damit de facto den Weg des Dialogs und der Verhandlungen,
der durch die Abkommen von San Andrés bereitet wurde.
Es handelt sich hierbei um einen weiteren Schritt innerhalb einer Strategie,
die dazu geführt hat, dass die Armee angesichts des politischen und
sozialen Zerfalls, der im heutigen Mexiko herrscht, die Rolle des authentischen
Hauptdarsteller übernommen hat. Trotz der Rechtswirksamkeit des "Gesetzes
für den Dialog, die Eintracht und den würdigen Frieden in Chiapas"
muss in Chiapas von einem Krieg der niederen Intensität gesprochen
werden. Dieser Krieg der niederen Intensität weist folgende Merkmale
auf: Einschüchterungsmassnahmen und Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung,
um die EZLN von ihrer sozialen Basis zu isolieren; der Versuch, den Konflikt
auf rein lokale Probleme zu beschränken, die durch die Existenz von
religiösen und ethnischen Problemen erklärt werden und vorgeblich
keinerlei verallgemeinerbare Forderungen und Lösungsansätze enthalten
würden.
Auf Grundlage der in diesen Schlussfolgerungen beschriebenen
Umstände formuliert die Kommission folgende
IV.1. EMPFEHLUNGEN:
1.- Sofortige und umfassende Erfüllung der Abkommen von San Andrés
und Wiederaufnahme der Verhandlungen und des Dialogs zwischen der EZLN
und der Bundesregierung.
2.- Respektierung der von der COCOPA vorgelegten Initiative zur Verfassungsreform.
3.- Festigung der Aufgabenstellungen der Vermittlungsinstanz CONAI
und der Überwachungsinstanz COSEVER.
4.- Ende der Militarisierung und Paramilitarisierung (Rückzug
der Armee in die Kasernen und Entwaffnung der paramilitärischen Banden)
5.- Gewährleistung des freien Zugangs zu den Organen der Rechtsprechung
und Förderung des Kampfes gegen die Rechtlosigkeit durch allgemeine
und nicht nur rein symbolische Massnahmen.
6.- Sofortige Amnestie der politischen Gefangenen.
7.- Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatgemeinschaften,
vollständige Wiederherstellung ihres Eigentums und Entschädigung
für die erlittenen Schäden.
8.- Stärkung der Stellung der mexikanischen Menschenrechtsorganismen
und Gewährleistung der Präsenz von entsprechenden internationalen
Organismen, sowie die Anerkennung eines internationalen Beobachterstatuts.
9.- Intervention des Internationalen Roten Kreuzes als Garant für
die humanitäre Betreuung der Zivilbevölkerung aufgrund der verbreiteten
Ablehnung der Hilfe durch regierungstreue Organismen.
10.- Ernennung eines ONU-Berichterstatters für Mexiko.
11.- Errichtung eines Mechanismus von Seiten der Europäischen
Union zur Überwachung der "Demokratie- und Menschenrechtsklausel".
Sollte das mit Mexiko unterzeichnete "Abkommen der wirtschaftlichen Vereinigung,
politischen Koordination und Zusammenarbeit" rechtskräftig werden,
müsste dieser Mechanismus eine ständige Überwachung der
Lage der Menschenrechte in Mexiko ermöglichen. Dieses Organ sollte
sich aus verschiedenen mexikanischen und internationalen Organisationen
zur Verteidigung der Menschenrechte zusammensetzen.
Kürzelverzeichnis
CCIODH: Internationale Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte
CNDH: Nationale Menschenrechtsorganisation (staatlich)
CNI: Nationaler Indigena Kongress
COCOPA: Parlamentarische Hilfsinstanz im Dialog zwischen der Regierung
und der EZLN
CONAI: Vermittlerinstanz im Dialog zwischen der Regierung und der EZLN
COSEVER: Kommission, die die Einhaltung und Durchführung der Abkommen
von San Andres kontolliert
EZLN: Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung
ONG: Nicht-Regierungs-Organisation
PAN: Partei der Nationalen Aktion (rechte Oppositionspartei zur PRI)
PRD: Partei der demokratischen Revolution (linke Oppositionspartei
zur PRI)
PRI: Partei der institionalisierten Revolution (Staatspartei, seit
über 60 Jahren an der Macht)
PT: Partei der Arbeit
SEDENA: Verteidigungsministerium