Können Lynchmorde durch Märchen gerechtfertig werden?

In den Vorspann eines Artikels können durch die/den RedaktorIn ohne
weiteres deren/dessen eigene Vorurteile einfliessen. Da steht plötzlich
Einiges, was dann im Beitrag selber gar nicht vorkommt.

Der palästinensische Versuch, den schrecklichen Lynchmord an den
israelischen Soldaten in Ramallah durch ein Märchen zu rechtfertigen,
wonach diese angeblich zu einer "Arabisten"-Einheit gehört hätten, wird
jeweils - wie beispielsweise von der WoZ - unkritisch übernommen und
wirkt absolut zynisch und überflüssig.

Weder Avnery noch eine andere informierte Person würde ernsthaft
behaupten, dass die beiden Opfer, bei welchen es sich um russische
Immigranten handelt, als getarnte Palästinenser eingesetzt wurden.

Die israelische Brutalität lässt sich bestimmt nicht durch diese
palästinensische Lynchjustiz rechtfertigen, aber auch nicht umgekehrt.


Die WochenZeitung; 19. Oktober 2000, Seite 9

Ausland

Die schmutzigen Methoden der israelischen Generalität

Von Soldaten zu Killern

Die beiden von aufgebrachten Palästinensern am Donnerstag letzter Woche
in Ramallah gelynchten Soldaten seien keine harmlosen Reservisten
gewesen. Heisst es nicht nur palästinensischerseits.

Uri Avnery*

Im derzeitigen Krieg in Palästina wurden über hundert Palästinenser -
elf davon israelische Bürger - getötet und tausende verletzt, viele von
ihnen schwer: eine auffallend hohe Zahl erlitt Verwundungen am
Oberkörper, viele verloren ihr Augenlicht durch aus nächster Nähe
abgefeuerte (Gummi-)Geschosse. Und dies, obgleich israelische Soldaten
laut Armeeoffizieren angewiesen sind, aus mindestens 30 Metern
Entfernung auf Demonstranten zu schiessen und dabei auf Beine und Füsse
zu zielen. Scharfe Munition, heisst es offiziell, werde nur eingesetzt,
wenn auf der Gegenseite Feuerwaffen im Einsatz sind und unmittelbar
«Leben bedroht» sei. Auf israelischer Seite zählt die Opferbilanz vier
getötete Soldaten und ein paar Dutzend Leichtverletzte.

Was bedeutet diese auffallende Opferasymmetrie? Ganz einfach dies: Die
israelischen Streitkräfte haben sich seit Monaten auf ein solches
Ereignis vorbereitet. Der Generalstab hat frühzeitig den Einsatz von
Kampfhubschraubern, Raketen und Panzern bekannt gegeben. Doch die
Hauptwaffe der Militärs wurde nicht deklariert: die Heckenschützen.

Der Heckenschütze ist ein Soldat oder Polizist, dessen Auftrag das Töten
ist. Ohne Zweifel wurde in den vorangehenden Monaten deren Ausbildung
mit viel Eifer praktiziert. Heckenschützen werden darin geschult, eine
Menschenmenge intensiv zu beobachten, sich eine individuelle Zielscheibe
auszusuchen und daraufhin auf den Kopf oder auf alle Fälle auf den
Oberkörper zu zielen. Dazu werden Spezialprojektile verwendet, um
sicherzugehen, dass das Opfer sogleich oder spätestens beim Transport
ins Krankenhaus stirbt.

Diese Killermethode basiert auf einem denkbar einfachen Grundsatz: Die
Gegenseite soll einen «hohen Preis» zahlen, wie sich die Generäle in
ihrem unnachahmlichen Militärjargon ausdrücken. Gehen doch die
Militärplaner davon aus, dass die PalästinenserInnen, wenn sie nur eine
genügend hohe Zahl von Toten zu beklagen haben, zur Kapitulation
gezwungen werden können.

Während der gewaltsamen Konfrontationen der vergangenen zwei Wochen
haben die Generäle vollmundig wissen lassen, dass sie, «hätten wir es
denn gewollt», noch «viel mehr Menschen hätten töten können». Eine
unbestreitbare Behauptung. Denn ein wahlloses Schiessen in die Menge
hätte hunderte, wenn nicht tausende von Todesopfern gefordert. Im
Weiteren hätten auch die palästinensischen Städte und
Bevölkerungszentren richtiggehend bombardiert werden können. Doch
Premierminister Ehud Barak hielt den politischen Preis solcher Methoden
offenbar für zu hoch. Darum die Heckenschützen.

Eine ebenso dumme wie unmoralische Strategie. Unmoralisch, weil sie
Soldaten und Polizisten in Killer verwandelt. Der Einsatz von
Scharfschützen ist übrigens nicht neu. Er wurde erstmals vom früheren
Verteidigungsminister Ariel Scharon zu Beginn der Besatzung der im
Sechstagekrieg von 1967 eroberten Gebiete angeordnet. Wie er mir lange
Zeit danach einmal anvertraute, hatte er damals, als er im Gazastreifen
ein richtiges Terrorregime walten liess, die Order «keine Gefangenen»
ausgegeben. Palästinenser, auf denen Waffen entdeckt wurden, wurden auf
der Stelle getötet. Dieselbe Praxis wurde später von den so genannten
Mista'arvim übernommen, einer verdeckt operierenden Spezialeinheit der
Armee, die auch «Arabisten» genannt wurde, weil sich ihre Angehörigen,
oftmals als Palästinenser verkleidet, besondere Zielscheiben aussuchten
und auch den Widerstand infiltrierten. Die Sache flog seinerzeit auf,
als die Mista'arvim irrtümlich einen ihrer eigenen Leute umbrachten,
weil sie ihn mit einem «Terroristen» verwechselt hatten: Schwer
verwundet erhielt er den aus allernächster Nähe abgefeuerten
Gnadenschuss. Damals stellte sich auch heraus, dass die Mista'arvim
Scharfschützen einsetzten, um zu vermeiden, dass palästinensische
Verletzte medizinische Hilfe erhielten. Auch der von einem französischen
Kameramann auf Film verewigte zwölfjährige Mohammed Duri - der erste
Märtyrer dieser neuen Intifada, der in Gaza in den Armen seines Vaters
von Schüssen getroffen wurde - starb, weil ein Ambulanzfahrer, der ihm
zur Hilfe kommen wollte, von Soldaten getötet wurde und der Junge erst
nach Stunden ins Krankenhaus eingeliefert werden konnte. (Nach Angabe
des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) wurden in den
letzten Wochen mindestens 18 Ambulanzen des palästinensischen Roten
Halbmonds und elf Krankenwagen israelischer Hilfsorganisationen, die in
palästinensischen Gebieten operieren, getroffen; Red.)

Vorsätzliche Tötung ist selbstverständlich nach israelischem Gesetz
nicht zulässig. Doch auch aus strikt militärischer Sicht ist sie
unsinnig. Denn diese Hinrichtungen «befrieden» - ein weiterer
Lieblingsbegriff der Generäle - mitnichten den Gegner, sie schüren nur
weitere Emotionen: Jedes Begräbnis eines «Märtyrers» facht den Zorn
weiter an, in dem sich immer wiederholenden Zyklus von Beerdigungen,
Kämpfen und erneutem Blutvergiessen.

Die Überlegungen der Generäle, die sich solche Operationen ausgedacht
haben und durchführen liessen, geben ihrerseits zum Nachdenken Anlass:
Wir hatten einmal von moralischen Prinzipien geleitete Befehlshaber und
intellektuell anspruchsvolle, mit gewissen Finessen ausgestattete
Generäle wie Ygal Allon und Moshe Dayan. Innerhalb einer Generation
haben wir uns jedoch für Kommandanten entschieden, die es mit ihren
schlimmsten Kollegen in Russland und den USA aufnehmen können. Die an
den Einsatz roher Gewalt glauben, die überall, in Vietnam wie in
Afghanistan, zu schlimmsten Niederlagen führte. Wir hatten unsere
Niederlage im Libanon. Dennoch wird munter weitergemacht. Der Einsatz
von Kampfhubschraubern und Raketen, von hochkomplizierten, laser- und
radargesteuerten Waffen führt uns geradewegs an den Rand der
Katastrophe. Denn früher oder später ereignet sich ein ähnliches
Desaster wie das Massaker von Qana im Südlibanon, dessen Bilder
seinerzeit die Weltöffentlichkeit aufrüttelten und weltweit helle
Empörung auslösten. Nach Tagen der mit «chirurgischer Präzision»
durchgeführten, vom damaligen Premierminister Shimon Peres
opportunerweise kurz vor den Wahlen im Frühjahr 1996 angeordneten
«Vergeltungsschläge» («Operation Früchte des Zorns») schlugen
«irrtümlicherweise» ein paar der Hisbollah zugedachte Granaten in das
wenige Meter von einem Guerillaposten entfernte Uno-Militärquartier ein,
wohin sich südlibanesische ZivilistInnen geflüchtet hatten, und tötete
hundert Menschen. Wir haben in jenen Tagen gesehen, was Empörung und
Indignation auslösen kann.

Jeden einzelnen Tag im nunmehrigen Krieg hat die Weltöffentlichkeit
verfolgen können, wie fast ausschliesslich mit Steinen bewaffnete
Palästinenser sich tollkühn den israelischen Heckenschützen
entgegenstellten. Ihr Mut hat Bewunderung ausgelöst. In den Augen der
Welt sind sie die Helden. Im Gegensatz zu den israelischen Generälen.


Sunday Times  22.10.2000

Secret war: Barak posing as an Arab and one of the lynch mob seized by
his commandos

Barak's commandos risk all to go undercover among Gaza militants

Uzi Mahnaimi

THREE big American cars drove slowly along a narrow road in south
Lebanon, less than five miles from the Israeli border. Inside were seven
high-ranking Syrian officers on a sensitive reconnaissance mission.
Finding their route blocked by a Lebanese goatherd and his cattle, the
generals ordered their drivers to halt. In an instant, the Israelis
struck.

A young Israeli colonel, disguised in a Lebanese army uniform, led a
handful of officers in storming the convoy. A short exchange of fire
followed. Then the Syrian generals were surrounded by commandos and
taken to Israel.

That was 28 years ago. The young colonel was Ehud Barak, now Israel's
prime minister. The "goatherd", another young officer in disguise,
answered to the name of Benjamin Netanyahu, the man Barak was to oust as
the country's leader.

Two months after the attack, the Syrian generals were exchanged for
Israeli pilots imprisoned in Syria.

Vivid memories of the Syrian officers' abduction must have been in
Barak's mind last week when he ordered Israel's elite Duvdevan (Cherry)
brigade to carry out a similar mission on the West Bank.

Like Barak's assignment almost three decades ago, this one would prove a
resounding success. Eight Palestinians, suspected of taking part in the
brutal lynching of two Israeli reserve soldiers at a police station in
Ramallah a week earlier, were snatched from their hiding places.

"I could have finished him off, just like that," said one Duvdevan
soldier, describing the capture of one Palestinian who had been seen on
television waving his blood-stained hands from a police station window
at the crowd below. "But our orders were clear: 'Bring them alive'."

It was as chief of staff of the Israeli army that Barak devised the
Duvdevan brigade during the first Palestinian uprising in the late
1980s: young Israeli soldiers, disguised as Arabs, were needed to work
undercover in the West Bank and Gaza, just as they are now.

Its members, who had to meet the standards of elite paratroop units,
were chosen carefully: all were aged between 18 and 21, the same as the
Palestinians throwing stones, and most were still doing their compulsory
military service.

Once recruited, today's Duvdevan soldiers have to undergo at least a
year of training, which includes learning the Arab language and culture
and the art of disguise as well as more conventional military skills.
Soldiers are made to dress as Arab youngsters and join worshippers in
the mosques for Friday prayers. Blond soldiers are ordered to dye their
hair black.

Barak had been on the verge of freezing the brigade's activities several
months ago when a hunt for Mahum Abu Hunud, one of Hamas's main suicide
bomb engineers, went tragically wrong: three Duvdevan soldiers standing
on a roof were shot by their own comrades, who mistook them for Arabs.

Abu Hunud escaped and a swift army investigation team ordered the
dismissal of the Duvdevan commander and most of its experienced
officers. The ferocity of the current Palestinian uprising has obliged
Barak to reverse his thinking and send the brigade back into action.

Morale among members of Duvdevan has been boosted by last week's action,
but their work is increasingly dangerous. In the present climate they
know that if they are discovered during a mission, they are finished.

"We are looking for Duvdevan everywhere," said one Palestinian source.
"It has happened that we stripped naked one of our guys in Ramallah
suspecting him of being an Israeli in disguise. It was not until the
poor guy prayed from the holy Koran by heart that we let him go."


Der Mitbegründer der antizionistischen Organisation "Matzpen", Akiva Orr
schrieb mir:

14.10.2000
Hi,
 I fully agree that presenting the two Israeli reservists lynched in
Ramallah who were immigrants from the former USSR as "undercover agents"
sounds suspicious. Did they know any Arabic ?  I doubt it.  During the
funeral the brother of one spoke in broken Hebrew with a heavy Russian
accent. Such people are not recruited as undercover agents for work in
Arab areas.. Undercover agaents speak fluent Arabic and have an Arab
background i.e. come from an Oriental Jewish community, whose parents
were immigrants form an Arab speaking country like Iraq, Morroco, etc.
As an anti-Zionist for 48 years I can testify that any inaccuracy in
charges against Israel are immediately utilized by the pro-Zionist lobby
and used to undermine all the rest of the charges.  Utter accuracy in
these matters is not only a matter of morality but also of
effectiveness. Inaccuracy undermines credibiltiy.