taz - 25.7.2000
"... eine Störung linker Gemütlichkeit"
Das Phänomen des linken Antisemitismus ist weithin unterschätzt worden. Neue Erkenntnisse bietet ein Buch mit Selbstreflexionen von Autonomen Es sei einer der "schändlichsten Augenblicke" der deutschen Nach-Holocaust-Geschichte gewesen - schrieb Andrei S. Markovits einmal -, als im Sommer 1976 "deutsche Terroristen den Palästinensern während der Entführung einer El-Al-Maschine halfen, jüdische Passagiere zu selektieren." Der Antisemitismus werde in der deutschen Linken weithin unterschätzt. So ähnlich haben es offenbar auch die Herausgeber von "Wir sind die Guten" gesehen. Linke haben sich mit dem Antisemitismus in den eigenen Reihen selten auseinander gesetzt. In dem Band "Wir sind die Guten" geschieht es. In Aufsätzen, Collagen und Tagebuchfragmenten berichten vorwiegend Autonome, wie sie vor eigenen antisemitischen Stereotypen erschraken. Mit der Publikation wollen sie ihre Genossen gewissermassen vor sich selbst warnen. Als Beispiel eines nachträglichen Erkenntnisprozesses dokumentieren die Herausgeber eben die Stellungnahme der Revolutionären Zellen (RZ), die 1976 an der Selektion jüdischer Passagiere beteiligt waren: "Wir sahen Israel nicht mehr aus der Perspektive des nazistischen Vernichtungsprogramms, sondern nur noch aus dem Blickwinkel seiner Siedlungsgeschichte: Israel galt uns als Agent und Vorposten des westlichen Imperialismus mitten in der arabischen Welt, nicht aber als Ort der Zuflucht für die Überlebenden." Ob die Opfer der Terroristen mit dieser Stellungnahme etwas anfangen können, bleibt jedoch fraglich. Von Wiedergutmachung ist nirgendwo die Rede. Ganz ähnlich wie die spät zur Reue gelangten Terroristen der RZ äußern sich andere Autoren. Ihre Selbstreflexionen sind vor allem an der Frage orientiert, wie und ob sie als Kinder und Enkel der Nazitäter antisemitische Stereotype reproduziert haben, gerade dort, wo sie sich selbst auf der Seite der "Guten" - des Internationalismus und Antifaschismus - wähnten. Tobias Ebbrecht etwa entdeckte, wie er selbst in der Übernahme des marxistischen Antifaschismus die Existenz des Antisemitismus leugnete. Er sah in den politischen Debatten seiner Gruppe und ihrer Bündnispartner strukturelle Übereinstimmungen zwischen dem Antiimperialismus der Antifa-Szene sowie dem Nationalbolschewismus enttäuschter Linksradikaler einerseits und den antisemitischen Feindbildern radikaler Rechter andererseits: Für sie alle waren die USA und Israel Zentren einer Weltverschwörung. Das Buch ist mutig, jedoch nicht immer präzise. Die Autoren schreiben "aus dem Bauch heraus". Was Antisemitismus ist, wird nirgendwo definiert. Darüber hinaus werden die antisemitischen Stereotype im linken Internationalismus und Antifaschismus nur sehr kursorisch abgehandelt. Antisemitismus bei Stalin, der DDR, der Weimarer KPD und in nationalen Befreiungsbewegungen kommen am Rande zwar vor, werden jedoch nicht ausführlich analysiert, der Antisemitismus von links als komplexes Phänomen interessiert die Autoren eher weniger. Leider war das Buch wohl schon im Druck, als Bernd Rabehl und Horst Mahler mit ihren völkischen und antisemitischen Thesen die Aktualität des Themas nachdrücklich belegten. Trotzdem, ein empfehlenswertes Buch. Solange es keine gute Untersuchung über die Kinder und Enkel der NS-Täter und ihren Umgang mit den Verbrechen ihrer Vorfahren gibt, wird man sich mit solchen autobiografischen Erschreckensdokumentationen begnügen müssen.
MARTIN JANDER
Irit Neidhardt, Willi Bischof (Hg.): "Wir sind die Guten - Antisemitismus in der radikalen Linken". UNRAST-Verlag, 2000, 188 Seiten, 26,80 DM
Rezension
taz Nr. 6201 vom 25.7.2000 Seite 17 Politisches Buch 119 Zeilen Kommentar MARTIN
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