``Der Zürcher Hauptbahnhof ist eine internationale Drehscheibe für Reisende. Mit den vielen Geschäften ist er insbesondere auch Einkaufszentrum und Treffpunkt für Bürgerinnen und Bürger.'' Aber: ``In diesen alltäglichen Kreislauf mischen sich verschiedene Randgruppen und Kriminelle, die ihren dubiosen Geschäften nachgehen und so die Polizei auf dem Bahnhofsareal in Atem halten.''3
Das ``Hausrecht'' der SBB folgt zunehmend privaten Unternehmerinteressen
und dient dazu, denjenigen, welche die
angestrebte Konsumatmosphäre stören könnten, grundlegende
BürgerInnenrechte kurzerhand abzusprechen und den blossen Aufenthalt
streitig zu machen. Als ``BürgerIn'' gilt demnach nur, wer
konsumiert.
Die Etablierung solch normativer Vorstellungen und deren gewaltsame
Durchsetzung ist eng verknüpft mit dem Vorgehen der
sozialdemokratischen Stadtregierung gegen die offene Drogenszene im
benachbarten Platzspitz. Hand in Hand mit der Schliessung des Platzspitzes
1992 wurde der Bahnhof nachts erstmals vergittert. Wiederholte Sit-Ins
und Demos als Protest gegen diese Entwicklung wurden von Polizei und privaten
Sicherheitsdiensten gemeinsam niedergeschlagen. In den heutigen Erweiterungsbauten
sind die Gitter -- tagsüber unsichtbar im Boden versenkt -- von Anfang
an eingeplant
worden.
Der Preis der Entkriminalisierung: ``DrogenkonsumentInnen (...) kommen
in eine soziale Kontrolle.''4 Neben regulierenden
Massnahmen wie Heroin- und Methadonabgabeprogrammen, Therapieplätzen,
Fixerräumen, Notschlafstellen etc. wird als ``existentiell wichtiges
Begleitinstrument''5 bei Missachtung des
Verhaltenskodex nach wie vor auf Polizei und Repression zurückgegriffen:
Wer Drogen auf sich trägt oder auf der Strasse konsumiert, muss mit
Übergriffen und Willkür der Polizei rechnen. Angesichts der ständigen
Kontrollen schauen Leute vor Ort je länger je mehr diskret weg --
wer versucht, sich zur Wehr zu setzen, riskiert ein umso härteres
Vorgehen.
Zwei Wochen vor der Volksabstimmung zur kontrollierten Heroinabgabe
tapezierte die sozialdemokratische Parteisektion des Kreis 5 den Röntgenplatz6
vollständig mit Plakaten aus und markierte ihn mit einem Transparent
zusätzlich als ``sicheren'' und ``sauberen'' Ort. Diese symbolische
Besetzung des Röntgenplatzes verband somit drogenpolitische Propaganda
mit dem Anspruch, den ``öffentlichen Raum'' als Vorgarten des ansässigen
linksalternativen Milieus zu
reservieren.
Die Drogenpolitik bildete den Auftakt einer Strategie, die versucht, die Benützung und die Aneignung von öffentlichen Strassen und Plätzen für bestimmte Bevölkerungsgruppen einzuschränken oder gar ganz zu verbieten und diese damit auch aus der ``Öffentlichkeit'' zu verbannen. Im Zuge einer Kampagne unter dem Label der ``Inneren Sicherheit'' wurde diese Strategie zuerst auf die Flüchtlingspolitik ausgeweitet.
Eine beispiellose, medial vorangetriebene Hetze, in der MigrantInnen zu ``ausländischen Drogendealern'' und ``kriminellen Asylanten'' stigmatisiert wurden, gipfelte 1995 in der Einführung des Bundesgesetzes über die ``Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht''. Diese massive Verschärfung der Ausländerpolitik wurde nicht zuletzt auf Druck der Stadt Zürich als ``Notstandsmassnahme'' zur nachhaltigen Auflösung der offenen Drogenszene durchgesetzt. Insbesondere Personen ohne Papiere sind einem zynischen Verfahren ausgesetzt, das sie zwischen Ausschaffungshaft, willkürlichen Verhaftungen durch Polizeipatrouillen und unvermittelten Entlassungen zurück auf die Strasse mehrmals hin- und herführen kann, ohne dass sie je einen legalen Status erhielten.7 Es entspricht ökonomischen Interessen, dass MigrantInnen durch solche Spiessrutenläufe illegalisiert und in den ``informellen Sektor'' gedrängt werden, wo ihre prekäre Lebenssituation sie ausbeutbarer macht und die Löhne drückt.
Die neue gesetzliche Ordnung schlägt sich auf der Strasse in schikanösen Kontrollen, willkürlichen Rayonverboten und entwürdigenden Leibesvisitationen nieder. Solche -- oft allein aufgrund von Aussehen und Hautfarbe erfolgenden -- Übergriffe gehören zur alltäglichen Polizeipraxis in den Kreisen 4 und 5. Der nächste Schritt in der Kaskade der Ausgrenzung, der wiederum von linksalternativen Kreisen mitgetragen wird, ist der Angriff gegen illegalisierte Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt als Sexarbeiterinnen verdienen müssen. Mit dem Slogan ``Kein Sex- und Drogengewerbe in Stadtquartieren, die gerade wieder zu leben beginnen''8 wird ihnen die Strasse -- und damit ihre Existenzgrundlage -- streitig gemacht.
Die Politik der Ausgrenzung, die immer weitere Teile der Bevölkerung
erfasst, bleibt nicht ohne Widerspruch.9
Der öffentliche Raum ist das umkämpfte Terrain, auf dem sich
die Frage entscheidet, wer Zugang hat zu den Ressourcen und Möglichkeiten
der Stadt.
3 ``Bahnhof Zürich -- Zentrum der Kriminalität'', Sicherheitsforum. Schweizer Fachzeitschrift für Sicherheit Nr. 6 / 1996.
4 Monika Stocker, Vorsteherin des Sozialamtes der Stadt Zürich, Grüne Partei.
6 Wegen der umliegenden Genossenschaftssiedlungen aus dem Roten Zürich der 30er Jahre gilt der verkehrsberuhigte Platz traditionell als Hochburg der Linken.
7 Die Gruppe augenauf protokolliert seit der Lettenschliessung Übergriffe der Polizei, gibt ein Bulletin heraus und macht Besuche in Ausschaffungsknästen; siehe auch ``http://www.savanne.ch/augenauf''.
8 Inserat verschiedener Wohngenossenschaften, Nov. 1996.
9 Die letzten zehn Jahre des Widerstands
gegen Repression und Ausgrenzung sind in einer Spezialnummer der hyäne
dokumentiert: ``Chronologie des Widerstands gegen Rassismen und Faschismen'',
erhältlich bei Pressebüro Savanne, Pf 2272, CH-8021 Zureich.