Pressebüro Savanne, hyäne 3/97, Seiten 72-73, Rubrik Innenstadt Zürich


``Ist Zürich noch zu retten?''1

``Der Zürcher Hauptbahnhof hat einen unüberbietbaren Vorteil: Er liegt im Zentrum.''2

13 Jahre hat der Bahnhofsumbau gedauert, 1 Milliarde wurde investiert. Prunkstück des Komplexes ist die monumentale Perronhalle von 1871, Sinnbild für den Aufstieg des Bahnknotens Zürich zur Wirtschaftsmetropole der Schweiz. Von den provisorischen Einbauten befreit und seiner ursprünglichen Funktion als Geleisehalle endgültig enthoben, zeigt sich der denkmalgeschützte Bau seit kurzem im Look einer italienischen ``Piazza'' als ``offener'' Begegnungsraum und gibt damit ein Beispiel ab für die zentrale Rolle, die der Inszenierung des ``öffentlichen Raumes'' in zeitgenössischen Stadtumbauten und -diskursen zukommt.
 

Die Inszenierung des öffentlichen Raumes

Heraufbeschworen wird der Eindruck eines herrschaftsfreien Bereichs, zu dem scheinbar alle Zugang haben. 150 Tage im Jahr steht die Halle leer; ansonsten wird sie zum ``Erlebnisraum'' umfunktioniert -- denn im Zeichen von Sparmassnahmen und New Public Management suchen auch die Bundesbahnen nach einer profitableren Verwertung ihrer zentral gelegenen Immobilie. Die enorme Vergrösserung der Ladenfläche mit der kürzlich fertiggestellten Erweiterung des unterirdischen ``Shopvilles'' und die Ausnahmebewilligung für verlängerte Öffnungszeiten liegen unmissverständlich in dieser Tendenz.

``Der Zürcher Hauptbahnhof ist eine internationale Drehscheibe für Reisende. Mit den vielen Geschäften ist er insbesondere auch Einkaufszentrum und Treffpunkt für Bürgerinnen und Bürger.'' Aber: ``In diesen alltäglichen Kreislauf mischen sich verschiedene Randgruppen und Kriminelle, die ihren dubiosen Geschäften nachgehen und so die Polizei auf dem Bahnhofsareal in Atem halten.''3

Das ``Hausrecht'' der SBB folgt zunehmend privaten Unternehmerinteressen und dient dazu, denjenigen, welche die
angestrebte Konsumatmosphäre stören könnten, grundlegende BürgerInnenrechte kurzerhand abzusprechen und den blossen Aufenthalt streitig zu machen. Als ``BürgerIn'' gilt demnach nur, wer
konsumiert.

Die Etablierung solch normativer Vorstellungen und deren gewaltsame Durchsetzung ist eng verknüpft mit dem Vorgehen der
sozialdemokratischen Stadtregierung gegen die offene Drogenszene im benachbarten Platzspitz. Hand in Hand mit der Schliessung des Platzspitzes 1992 wurde der Bahnhof nachts erstmals vergittert. Wiederholte Sit-Ins und Demos als Protest gegen diese Entwicklung wurden von Polizei und privaten Sicherheitsdiensten gemeinsam niedergeschlagen. In den heutigen Erweiterungsbauten sind die Gitter -- tagsüber unsichtbar im Boden versenkt -- von Anfang an eingeplant
worden.
 

Instrumentalisierte Drogenpolitik

1996 bejahten 65% der Abstimmenden die Fortsetzung des wissenschaftlichen (!) Versuchs der kontrollierten Heroinabgabe:
Basis dieser vordergründigen Abkehr von einer strikten Drogenprohibition ist jedoch eine differenziertere Regulierung der KonsumentInnen und ihren Ausschluss aus dem ``öffentlichen Raum''.

Der Preis der Entkriminalisierung: ``DrogenkonsumentInnen (...) kommen in eine soziale Kontrolle.''4 Neben regulierenden Massnahmen wie Heroin- und Methadonabgabeprogrammen, Therapieplätzen, Fixerräumen, Notschlafstellen etc. wird als ``existentiell wichtiges Begleitinstrument''5 bei Missachtung des Verhaltenskodex nach wie vor auf Polizei und Repression zurückgegriffen: Wer Drogen auf sich trägt oder auf der Strasse konsumiert, muss mit Übergriffen und Willkür der Polizei rechnen. Angesichts der ständigen Kontrollen schauen Leute vor Ort je länger je mehr diskret weg -- wer versucht, sich zur Wehr zu setzen, riskiert ein umso härteres Vorgehen.
 

Kaskade der Ausgrenzung

``Keine neue ``Szene'' am Röntgenplatz! JA zur kontrollierten Drogenabgabe -- Hier ist kein Platz für Dealer. Zürich will keinen neuen Letten''

Zwei Wochen vor der Volksabstimmung zur kontrollierten Heroinabgabe tapezierte die sozialdemokratische Parteisektion des Kreis 5 den Röntgenplatz6 vollständig mit Plakaten aus und markierte ihn mit einem Transparent zusätzlich als ``sicheren'' und ``sauberen'' Ort. Diese symbolische Besetzung des Röntgenplatzes verband somit drogenpolitische Propaganda mit dem Anspruch, den ``öffentlichen Raum'' als Vorgarten des ansässigen linksalternativen Milieus zu
reservieren.

Die Drogenpolitik bildete den Auftakt einer Strategie, die versucht, die Benützung und die Aneignung von öffentlichen Strassen und Plätzen für bestimmte Bevölkerungsgruppen einzuschränken oder gar ganz zu verbieten und diese damit auch aus der ``Öffentlichkeit'' zu verbannen. Im Zuge einer Kampagne unter dem Label der ``Inneren Sicherheit'' wurde diese Strategie zuerst auf die Flüchtlingspolitik ausgeweitet.

Eine beispiellose, medial vorangetriebene Hetze, in der MigrantInnen zu ``ausländischen Drogendealern'' und ``kriminellen Asylanten'' stigmatisiert wurden, gipfelte 1995 in der Einführung des Bundesgesetzes über die ``Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht''. Diese massive Verschärfung der Ausländerpolitik wurde nicht zuletzt auf Druck der Stadt Zürich als ``Notstandsmassnahme'' zur nachhaltigen Auflösung der offenen Drogenszene durchgesetzt. Insbesondere Personen ohne Papiere sind einem zynischen Verfahren ausgesetzt, das sie zwischen Ausschaffungshaft, willkürlichen Verhaftungen durch Polizeipatrouillen und unvermittelten Entlassungen zurück auf die Strasse mehrmals hin- und herführen kann, ohne dass sie je einen legalen Status erhielten.7 Es entspricht ökonomischen Interessen, dass MigrantInnen durch solche Spiessrutenläufe illegalisiert und in den ``informellen Sektor'' gedrängt werden, wo ihre prekäre Lebenssituation sie ausbeutbarer macht und die Löhne drückt.

Die neue gesetzliche Ordnung schlägt sich auf der Strasse in schikanösen Kontrollen, willkürlichen Rayonverboten und entwürdigenden Leibesvisitationen nieder. Solche -- oft allein aufgrund von Aussehen und Hautfarbe erfolgenden -- Übergriffe gehören zur alltäglichen Polizeipraxis in den Kreisen 4 und 5. Der nächste Schritt in der Kaskade der Ausgrenzung, der wiederum von linksalternativen Kreisen mitgetragen wird, ist der Angriff gegen illegalisierte Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt als Sexarbeiterinnen verdienen müssen. Mit dem Slogan ``Kein Sex- und Drogengewerbe in Stadtquartieren, die gerade wieder zu leben beginnen''8 wird ihnen die Strasse -- und damit ihre Existenzgrundlage -- streitig gemacht.

Die Politik der Ausgrenzung, die immer weitere Teile der Bevölkerung erfasst, bleibt nicht ohne Widerspruch.9 Der öffentliche Raum ist das umkämpfte Terrain, auf dem sich die Frage entscheidet, wer Zugang hat zu den Ressourcen und Möglichkeiten der Stadt.



1 Interview mit SP-Stadtpräsident J. Estermann im Tagesanzeiger 14.4.97.

2 NZZ 15.10.96.

3 ``Bahnhof Zürich -- Zentrum der Kriminalität'', Sicherheitsforum. Schweizer Fachzeitschrift für Sicherheit Nr. 6 / 1996.

4 Monika Stocker, Vorsteherin des Sozialamtes der Stadt Zürich, Grüne Partei.

5 ebd.

6 Wegen der umliegenden Genossenschaftssiedlungen aus dem Roten Zürich der 30er Jahre gilt der verkehrsberuhigte Platz traditionell als Hochburg der Linken.

7 Die Gruppe augenauf protokolliert seit der Lettenschliessung Übergriffe der Polizei, gibt ein Bulletin heraus und macht Besuche in Ausschaffungsknästen; siehe auch ``http://www.savanne.ch/augenauf''.

8 Inserat verschiedener Wohngenossenschaften, Nov. 1996.

9 Die letzten zehn Jahre des Widerstands gegen Repression und Ausgrenzung sind in einer Spezialnummer der hyäne dokumentiert: ``Chronologie des Widerstands gegen Rassismen und Faschismen'', erhältlich bei Pressebüro Savanne, Pf 2272, CH-8021 Zureich.
 


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Letzte Änderung 1998-11-07