Pressebüro Savanne, hyäne 2/97, Seiten 105-111, Rubrik Diskussionen


``Nase voll von dieser Stadt? Wir haben noch 30 andere.'' (Werbekampagne SSR Reisen Februar 97)

Zu den Stadtutopien von Züri autofrei!

Langstrassenfest und autofreie Langstrasse

Samstagabend - 28. September 1996. Mitten im Gewühl des 1. Langstrassenfestes, irgendwo zwischen Gewerbeverein und Multikultifressbeiz sticht der Schriftzug von ZAF! ins Auge. Am Stand wird Goodwill gesammelt für umverkehR, geworben für die eigene Initiative ``Züri autofrei - weniger Autos, mehr Lebensraum'' und - eine Überraschung - für eine autofreie Langstrasse (Petition an den Stadtrat).

Auf dem Tresen aufliegend, eine kleine Broschüre im DIN A5-Format, lila Druck auf grauem Umwelt. Kenn ich noch nicht, nehm mir also - leicht verdutzt - eine mit. Autofreie Langstrasse, mehr Lebensraum? Klingt da nicht etwas an von ``Gegen den Freierverkehr: Milieu raus - mehr Lebensqualität für den Kreis 4'', von Strichplan, gezielten Kontrollen gegen SexarbeiterInnen und Securitas-kontrollierten Schlagbäumen an Wohnstrassen, von ``Rettet das Langstrassenquartier' und 'Wir haben schon genug Probleme''. ``Wieder einmal ein positives Zeichen setzen für die Bevölkerung im Quartier'' - war das nicht auch der Leitspruch dieser Chilbi heute?

``Das Langstrassen-Quartier will mit diesem Fest nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lebensqualität in diesem lebhaften Stadtteil in den letzten Jahren durch verschiedene Entwicklungen strapaziert worden ist. Zeigen will das Fest aber, dass sowohl Quartierbevölkerung wie Gewerbetreibende ``ihr Quartier'' nicht einfach aufgegeben haben. Für sie haben nämlich viele `Negativ-Schlagzeilen'' auch entscheidend Positives gebracht. Die akuten Probleme sind auch von ``höchst Stelle'' erkannt und mit gezielten Massnahmen bekämpft worden - was zu einer sehr deutlichen Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation geführt hat,'' schreibt das OK aus Quartierverein und Gewerbeverein Kreis 4/5 in der offiziellen Festzeitung und spielt unter der euphemistischen Bezeichnung ``gezielte Massnahmen'' auf Lettenräumung, Polizeipräsenz, Strichplan und Zwangsmassnahmen an.

Schon Ende der achziger Jahre war eine ``Befreiung'' der Langstrasse vom Autoverkehr, gar eine Pflästerung und Ausebnung der ``originellen Flanierpromenade'' (OK Langstrassenfest) diskutiert worden. Die linke Quartieropposition warnte jedoch, dass das Gebiet dadurch auf dem Höhepunkt von Wohnungsnot und Immobilienspekulation zu einem ``pittoresken Vergnügungs- und Schickeria-Wohnviertel'' für ``New urban professionals'' (Zürich ohne Grenzen, 110) umgebaut würde.

Natürlich kann den ZAF!-AktivistInnen nicht die Schuld an Quartiersanierung und Umstrukturierung in die Schuhe geschoben werden. Es bleibt aber die Frage, in welchem diskursiven Umfeld sich die Gruppe bewegt und wie sie sich gegen allfällige Vereinnahmungen abgegrenzt.

Mehr Lebensraum für alle

Zuhause angekommen setze ich mich - gereizt von der Kiezidylle vor der Haustür - mit kritischem Blick an die Lektüre der Broschüre. Titel / Titelblatt / Inhaltsverzeichnis: ``Eine Vision'' / ``Ein Traum'' / ``Die Zeit ist reif'' / ``Autofrei - warum gerade die Stadt?'' Ja, warum gerade die Stadt! Eine mögliche Antwort gibt die neuere Stadtforschung: ``Die Stadt ist ein umkämpftes Territorium.'' Ausgehend von neomarxistischen, amerikanischen Stadtentwicklungstheorien werden Städte heute wieder als Orte von kapitalistischen Ausbeutungsmechanismen und Verdrängungskämpfen beschrieben. Dabei wird Lifestyle, Kunst und Kultur - und damit auch Quartierkultur - eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von ökonomischen Verwertungsprozessen zugeschrieben. Urbane Lebensqualität wird zu einer wichtigen Kapitalanlage von Städten, die im globalen Wettbewerb um Wachstumspotentiale miteinander konkurrieren.

Was für ein Bild der Stadt schwebt nun aber den ZAF!-AktivistInnen vor. ``Mehr Lebensraum'' - für alle, impliziert der Untertitel der Initiative: In der Tat: Frauen, Kinder, Alte, Obdachlose, Geschäftsherren, FussgängerInnen, BewohnerInnen, Menschen, das Gewerbe und immer wieder Menschen, Leute, ``alle'' und vor allem Kinder sind angesprochen - universale Kategorien, die ein ``unschuldiges Sprechen über die Stadt'' (W. Prigge) betreiben, das scheinbar nichts mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu tun hat - ein Tonfall von ``eigentlich sind wir doch alle gleich und gleich sozial''. Eine Utopie, welche jedoch die Analyse derjenigen Kräfte unterlässt, die gegenwärtig die bauliche, vor allem aber auch die soziale Ausgestaltung des ``öffentlichen Raums'' bestimmen, verhindert kaum, dass sich in den nunmehr verkehrsfreien Flächen eben bloss die bestehenden Verhältnisse reproduzieren. Der Kampf um die Strasse wird mit der Durchsetzung der Forderung nach Autofreiheit erst recht beginnen.

Wege zu einer differenzierteren Auseinandersetzung hat die ZAF! auch schon aufgezeigt: Mit der leider verhinderten Sperrung der Weststrasse wurde unter anderem auf exponierte Wohnlagen aufmerksam gemacht und auf die soziale Verteilung der negativen Folgen des Autoverkehrs hingewiesen: Entlang der Verkehrsachsen von Zürich reihen sich die Wohnräume von Einkommensschwachen auf.

Spontan und offen

Vor vier Jahren haben sich einige Leute zum Verein ``ZAF! - Züri autofrei'' zusammengetan und mit ersten Aktionen für Aufsehen gesorgt. Nach dem Vorbild von ähnlichen Gruppen in St. Gallen, Luzern und Basel, unterstützt von Jusos, Junger Grüner Alternative und diversen Umweltschutzorganisationen, wurde die weitgehende Befreiung der Stadt vom motorisierten Individualverkehr angepeilt. Mit Verkehrsbarrikaden, Strassenblockaden, Brunchs auf Parkplätzen und Kreuzungen, viel Witz und ``gewaltfreier Militanz'' kämpft die Gruppe für ihr Ziel. Obwohl ZAF! von Anfang an auch ein Initiativ-Verein war, halten 4/5 der AktivistInnen Agitationsformen in der Tradition der ausserparlamentarischen Opposition für das geeignetste Mittel (Wüthrich I, 10). Einen wichtigen Stellenwert haben dabei Aktionen im ``öffentlichen Raum''. Die Liste dieser Auftritte liest sich wie ein Handbuch politischer Happenings: Kaum eine Aktionsform taucht zweimal auf. Der Kampf wird auf die Strasse getragen, strategisch werden Orte besetzt, bezeichnet, umgedeutet. Darüberhinaus beeindruckt die ZAF! durch ihre vermessene Forderung und stellt damit klar, dass sie nicht gewillt ist, sich auf realpolitische Machbarkeiten zu beschränken. Der Gestus erinnert an die 80er Bewegung: ``Wir wollen die ganze Stadt, aber subito!'' Mit ihrer Frechheit und ihrem Ideenreichtum haben die ZAF!-AktivistInnen in der linken Szene Resonanz gefunden.

Viele der auffallend jungen SympathisantInnen haben sich überhaupt erst mit dem Auftauchen von Züri Autofrei! politisiert. Mit ihrem spontanen und unbelasteten Vorgehen hat die ZAF! ein ernstzunehmendes Mobilisierungspotential freigesetzt. Es entstand nicht einfach ein weiterer politischer Verein, sondern eine politisch motivierte Bewegung mit ausgeprägt basisdemokratischer Ausrichtung. In Stellungnahmen wird denn auch häufig die unmittelbare, eigene Betroffenheit angeführt.

Medien und Initiative

Nachdem die ZAF! anfänglich ein unhierarchisch organisiertes, offenes Sammelbecken mit einem Hang zu anarchischem Aktivismus war, schleicht sich zunehmend ein Personenkult sowie ein Schielen nach den Medien ein (vgl. Vorwärts 21.2.97). In einer kommunikationswissenschaftlichen Studie empfiehlt das ZAF!-Mitglied Wüthrich für den Abstimmungskampf ``ein Vorgehen, das auf Integration und nicht auf Konfrontation ausgerichtet'' sei und meint damit nicht zuletzt eine möglichst konsensfähige mediale Aufbereitung der politischen Inhalte, der ein allzu agressives ``Strassensperr-Image'' abträglich sei (Wüthrich II + III). Es hat sich wiederholt gezeigt, dass wenn die Initiative als Form gewählt wurde, sich auch die Inhalte veränderten. In der Mobilisierung wird viel Zeit und Aufwand gebunden. Unter dem Druck von meist knappen Ressourcen reagieren die meisten Initiantiv-Vereine lediglich noch auf die Einwände ihrer Gegner und versuchen ihre Hauptargumente in vereinfachter Form durchzubringen. Je näher die Abstimmung, desto griffiger die Parolen, desto diffuser die Inhalte und Analysen. Währenddem einzelne Exponenten die Deutungsmacht in den Medien an sich reissen, betreibt die Basis weiterhin Politisierung auf der Strasse.

Genau dieser Anordnung droht die ZAF! je länger je mehr zu einer Einthemenpartei zu werden. Solange die Aktionen im Vordergrund der ZAF!-Aktivitäten standen, schien mir eine pointierte Fixierung auf den Autoverkehr Sinn zu machen; die zunehmende Theoretisierung des Politprogramms über Presseerklärungen und Stellungnahmen erfordert jedoch meiner Meinung nach gerade eine Erweiterung der Optik, wie sie zum Beispiel technologiekritische linke Debatten in letzter Zeit vornahmen.

Das politische Kalkül, die Festlegung auf Auto, Verkehrsströme und Mobilitätswahn verstellt den Blick auf die Folgen einer Mobilität des Kapitals. Zunehmend macht sich Unsorgfalt im Verhältnis zu anderen Anliegen bemerkbar. Typisch dafür ist das Kokettieren mit Standortdiskussion-Versatzstücken und der Entwurf einer eindimensionalen positiven Utopie.

Standortattraktivität

Die Liste der Initiativen, welche gerade im Kreis 4/5 eine ``Aufbruchstimmung'' wecken wollten oder ``eine Normalisierung des Quartierlebens'' orteten, ist bereits von visionärer Länge: Das Projekt Soziokultur, KIK 5, Wettbewerb Aussenräume Kreis 5, Stadtforum und Gartenbauausstellung, Zürcher Festwoche und Fringefestival auf dem Platzspitz, Langstrassenfest, kreative Loftkultur in Steinfels und Löwenbräu, Bildungsstrasse, autofreies Limmatquai etc. Aus den verschiedensten Lagern von SVP über rot-grün bis in den alternativen Kulturbereich gehen die Aufwertungsphantasien. Auffallend ist dabei die Verknüpfung mit Schlagworten wie Standortattraktivität, globalem Städtewettbewerb und Sicherheit.

``Zürich hat wichtigere Probleme'' (TA 20.2.97), ``Grosser Aufwand, wenig Nutzen'' (TA 4.2.97), ``lediglich eine geringere Verkehrsreduktion'' (Tagblatt 21.2.97), ``verkehrspolitisches Tauwetter massiv gestört'' (TCS-Revue Februar 97), ``Etikettenschwindel'' (Züri Woche 20.2.97), - seit der Abstimmungskampf um die Initative ``Züri autofrei - für weniger Autos und mehr Lebensraum'' angelaufen ist, schiessen die Gegner aus allen Rohren. Freiheit des Individuums, Gefährdung des Wirtschaftsstandorts, Wiederaufflammen des verkehrspolitischen Grabenkriegs sind die Stichworte. Alle Parteien ausser SP, GP, AL und FraP, sowie Stadt- und Gemeinderat empfahlen, die Initiative abzulehnen.

Jenseits der bürgerlich-konservativen Betonfraktion zeichnen sich aber auch neue Koalitionen ab, wie die von Leuenberger / Neukomm / Estermann durchgesetzten Zwangsmassnahmen und der Bau des Kasernenknasts beziehungsweise Kloten I + II belegen. Dabei zeichnen sich neue umkämpfte Felder ab wie die sogenannte ``symbolische Ökonomie'' (Sharon Zukin): Eine ``Festivalisierung'' der Stadtpolitik, der Einsatz von Kunst und Kultur zur Durchsetzung ökonomischer Interessen ist mittlerweile ein wichtiges Instrument geworden. Neben etablierten Institutionen lassen sich zunehmend auch alternative Projekte in diese Strategien einbinden. Die geplanten Zürcher Festwochen wurden in der Presse mit Titeln wie ``Der Aufschwung beginnt im Kopf'' ganz offen als Massnahme in einem verschärften internationalen Städtewettbewerb angekündigt (TA+Züri Woche 7.11.96, Tagblatt 15.11.96). Besonders stossend ist jedoch, dass über einen alternativen Teil der Veranstaltungen auf dem Platzspitz - angefragt wurden Theaterspektakel, Gessneralle, Neumarkttheater und Rote Fabrik - gerade dieser Ort zum Symbol eines ``neuen Zürichs'' ohne offene Drogenszene werden soll. Die Ausgrenzung der DrogenkonsumentInnen oder der mit den Zwangsmassnahmen zunehmend kriminalisierten und illegalisierten Personen ist dabei stillschweigend vorausgesetzt. ``Solche Festspiele polieren international den Ruf Zürichs auf und fördern - vor allem durch das Fringe-Festival auf dem Platzspitz - ein positives Verhältnis zur eigenen Stadt'' liess Opernhausdirektor Perreira verlauten (NZZ 7.11.96). Zeitläufte I+II des Theaterspektakels wird sich denn vom 10.-13. Juli 97 auf dem Platzspitz passgenau um die positiven Mythen der Stadt kümmern.

Autofreiheit als Verkaufsargument

Ein Beispiel für die Möglichkeit, wie Ökologie und Stadtumbau zusammen gehen können, ist die Idee des Stadtforums, den brachliegenden Arealen im Industriequartier mit einer gross angelegten Gartenbauausstellung wieder zu einer positiven Identität zu verhelfen und damit zugleich Letten und Platzspitz von ihrer ungeliebten Vergangenheit reinzuwaschen. Handlungsbedarf besteht! - dies versteht sich bereits von alleine und muss auch nicht mehr genauer legitimiert werden. Auch bei der Diskussion um ein verkehrsfreies Limmatquai zeigt sich, wie unter dem Deckmantel einer nachhaltigen Stadtentwicklung gleich auch Verelendungsmythen und Grossstadtphantasien weitertransportiert werden.

Eine Stadt des öffentlichen Verkehrs ist nicht per se toleranter, dies belegen die häufig nach rassistischen Kriterien vorgenommenen Personenkontrollen und Verweise in Bussen und Trams während und nach der Lettenräumung. Der Ausbau der grossen Bahnhöfe zu kommerziellen Dienstleistungs- und Einkaufskomplexen ging - neben einem enormen Citydruck für die angrenzenden Quartiere - mit der Etablierung von sogenannten ``qualifizierten Öffentlichkeiten'' (eine Wortfindung der Deutschen Bahn) einher, um ein ideales Umfeld von Sicherheit und Ordnung für finanzkräftige Kunden und Investoren garantieren zu können. Die öffentliche Hand, öffentlicher Verkehr und Polizei sorgen hier im Verbund mit Privaten für eine Umgestaltung des ``öffentlichen Raums'' zugunsten privater Gewinnmaximierung.

Besieht man sich die Fussgängerzonen in den sanierten Kernstädten, so wird klar, dass Autofreiheit schon seit längerem auch zum Verkaufsargument geworden ist. Das Marktforschungsinstitut Socialdata ermittelte eine Umsatzsteigerung von 9 Prozent für Läden und Gewerbe im Falle einer Durchsetzung von Verkehrseinschränkungen wie sie die ZAF! anstrebt und ``strafte damit die Argumente der autofreundlichen City-Vereinigungen Lügen'' (Vorwärts 21.2.97, DAZ 24.2.97). Bekannte Tourismusorte wie Zermatt oder Saas Fee preisen sich in der Werbung als autofreie Idyllen an. Nicht von ungefähr sind beides Orte des unbeschwerten Konsums und Freizeitvergnügens für alle, die es sich leisten können.

Lettenräumung und Quartieraufwertung

Zwei Jahre sind vergangen, seitdem der ``öffentliche Raum'' schon einmal von ``störenden Elementen'' geräumt wurde und für ein ganzes Quartier ``Lebensraum'' zurückgewonnen werden sollte. In der Ausschreibung zum Wettbewerb Aussenräume 5 im Oktober 95 klingt das so: ``Das Wettbewerbsgebiet ist in den letzten Jahren - insbesondere durch die Auswirkungen der Drogenszene und des intensiven Privatverkehrs - zu einem der exponiertesten Gebiete der Stadt Zürich geworden. (...) Seit der Auflösung der Drogenszene hat erstaunlich rasch eine Normalisierung des Quartierlebens stattgefunden. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers leben zur Zeit in einer Aufbruchstimmung.''

Umgestaltet für eine wohlhabende linke Kulturschickeria wurden Schöller, Löwenbräu und Steinfels-Areal. Das Gewerbeschulquartier soll neu zur Bildungs- und Kulturmeile, zum Vergnügungs-, Atelier- und Wohnraum der kreativen Elite werden. Der Zusammenschluss innovativer Jungunternehmer und akademischer Forschungsinstitute im Technopark zeigt, wie - als background office des Kapitals an der Bahnhofstrasse - im alten Industriequartier eine progressive Dienstleistungsstadt für die postindustrielle Gesellschaft entsteht.

In Erinnerung geblieben sind aber nicht zuletzt die subjektiven Betroffenheitskundgebungen der im Quartier wohnenden aufgeschlossenen Kulturschaffenden und Intellektuellen. Nicht vergessen sind etwa die Interventionen von Silvio Blatter (Du 12/92) und Linus Reichlin (TA 29.1.93), in denen sie mit Bemerkungen wie ``gewisse Ausländer'' und ``ich verstehe meine wachsende Aversion gegen sie durchaus'' genau dem hinlänglich bekannten rassistischen Ausgrenzungs-Stereotyp des kriminellen, asozialen, ausländischen Drogendealers folgten und damit populistische Betroffenheitsdiskurse auch in linken Kreisen salonfähig machten. Eine Desolidarisierung des linken Bildungsbürgermilieus, welche dann vor kurzem in der von Stadtpräsident Estermann vorgenommenen Unterscheidung von ``problematischer'' und ``unproblematischer'' ausländischer Wohnbevölkerung einen weiteren Höhepunkt fand (TA 3.10.96; hyäne 1, 28).

Heroinabgabe und Röntgenplatzidylle

Geradezu beispielhaft war das Vorgehen der SP bei der Kampagne für eine Verlängerung der Heroinabgabe. Auf den zweiteiligen Plakaten waren über dem Aufruf ``Ja zur kontrollierten Drogenabgabe'' Slogans wie ``Hier ist kein Platz für Dealer'', ``Zürich will keinen neuen Letten'' und ``Dealer raus aus der Langstrasse'' zu lesen. Neben der Opposition gegen das Referendum wurde gleich auch eine Abgrenzung des linksliberalen Bürgertums gegenüber der Drogenszene mittransportiert. Die Abwertung und Ausgrenzung von unerwünschten Gruppen wird unhinterfragt nachvollzogen und mit der Bezeichnung von besonders ``gefährlichen'' Orten verknüpft.

Auf die Spitze getrieben wurde dieses Vorgehen am Hirschenplatz, insbesondere aber am Röntgenplatz. Während die übrigen Varianten in der ganzen Stadt zu finden waren, wurden ``Keine neue ``Szene'' am ...'' nur an diesen beiden Plätzen geklebt. Der Röntgenplatz war zwei Wochen vor der Abstimmung vollständig mit Plakaten austapeziert und zusätzlich mit einem Transparent als gentrifizierter, ``gereinigter'' Ort markiert. Der ``öffentliche'' Raum wurde zum sauberen und sicheren Vorgarten der GenossenschaftsbewohnerInnen und AtelierbesitzerInnen in der Umgebung umgedeutet und damit privatisiert. Die kulturelle und politische Hegemonie einer kleinen ``linken'' Insel wird hier gegen die Gefahren der Grossstadt verteidigt, der Raum symbolisch besetzt. Die Underground-Ästhetik verschlampter Transpis und kleinformatiger Plakate transportiert auf einmal ganz andere Inhalte.

Im Rahmen eines umfassenden Konzepts für eine Verkehrsberuhigung im Kreis 5 und eine Aufwertung des Industriequartiers regte die private Arbeitsgruppe ``Kreis 5 vor 12'' erstmals 1975 eine Sperrung des Röntgenplatzes an. Mit den seit Anfang der siebziger Jahre lauter werdenden Forderungen nach Verkehrsberuhigung in Wohnquartieren sollte auch diese Asphaltwüste zu einem ``wohnlichen'', städtischen Platz, zu einem Ort der ``Stadtkultur für aktive Bürger'' werden (TA-Magazin 9 / März 1975). Als Überrest weitergehender Planungen verabschiedete die aus Kirchen, Parteien und Quartiervereinen zusammengesetzte AG Industrie im Juli 1980 den verkehrsfreien Röntgenplatz und die Unterbrechung des Durchgangsverkehrs beim Limmatplatz und empfahl zugleich die Organisation eines jährlichen Röntgenplatzfestes. Noch im Herbst des gleichen Jahres wurde dieses Vorgehen vom Stadtrat gutgeheissen. Wegen Rekursen und Einsprachen konnte der Röntgenplatz aber erst Ende 1983 mit provisorischen Mitteln gesperrt und im Dezember 1987 in umgestalteter Form als Symbol einer wohnlichen Stadt eröffnet werden.

Auffallend ist, dass diese Massnahmen schon von Anfang an auch über sozialhygienische Argumentationen propagiert wurden. Die Planer erhofften sich eine ``Verbesserung'' der BewohnerInnenstruktur im Kreis 5. Als Missstände hervorgehoben wurden der hohe Ausländeranteil, der Rückgang der Wohnbevölkerung, häufige Mieterwechsel, der schlechte Zustand der Bauten und die ``grosse Interesselosigkeit der Bevölkerung am Quartiergeschehen'', was eine Aufwertung und Sanierung dringend nötig mache, um die weitere Abwanderung von einheimischen Familien zu verhindern.

Genau diese Logik unterstützte der Tages-Anzeiger erst kürzlich wieder unter dem Titel ``Quartiere lassen sich wohnlicher gestalten''. Im Zusammenhang mit sanierungsbedürftigen Gebäuden an Orten ``mit Lärm und schlechter Luft'' wird der Basler Ökonom René L. Frey, Programmleiter des nationalen Forschungsprogramms ``Stadt und Verkehr'' und Verfechter einer marktkonformen Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung, zu sogenannten ``A-Gebieten'' zitiert. Damit meint er Gebiete ``mit Altbauwohnungen in der Nähe der Kernstadt, die bewohnt sind von Alten, Ausländern, Arbeitslosen, Armen, Alleinstehenden, Alleinerziehenden, Auszubildenenden, Ausgeflippten'' (TA 8.8.96).

In eine ähnliche Richtung zielte auch ein Artikel über die Studie des Sozialdepartements zum Sozialhilfebezug zwischen 1993 und 1995 (TA 1./2.2.1997). Unter der tendenziösen Überschrift ``Kaum in Zürich, schon zur Fürsorge'' wird festgehalten, dass die Stadt Arme anzieht und in letzter Zeit eine deutliche Zunahme der Sozialhilfeempfänger zu verzeichnen ist. ``Sprengstoff für die Städte'' ist dann vor allem aber ``die Zunahme ausländischer Personen, die neu um Fürsorge nachsuchen''.

Wenn da in der ZAF!-Broschüre unter dem Stichwort ``NachbarInnen begegnen sich auf autofreien Plätzen'' plötzlich Obdachlose als Stadtoriginale auftauchen und aus ihrer Biographie erzählen, so muss dies bei aller Liebe zur Clochard-Romantik alter ``Chreis Chaib''-Filme wie ``Hinter den sieben Geleisen'' als zynische Konstruktion einer privilegierten Erlebniswelt erscheinen. Wie ausländische Spezialitätenlokale und Industrieästhetik sind solche Geschichten bruchlos einzugliedern in die sentimentale Inszenierung urbaner Qualität ohne störende Nebeneffekte.

Metapher ``Themenparks''

Diese Form des Nachdenkens über Stadt und Öffentlichkeit erinnert mich an einen Artikel des Stadtsoziologen Klaus Ronneberger, in dem er unter dem Titel ``Funktion Freizeit'' berichtet, wie Themenparks (Disneyland, Cony Island) in der USA immer mehr zum Vorbild für die gesamte Stadtentwicklung werden (Spex Juli 96). Er zeigt auf, wie durch die lückenlose Ausgrenzung oder Einbindung von Andersartigem ``eine heile Gemeinschaft von Gleichgesinnten'' simuliert wird und bezeichnet dies als eine ``Art von Öffentlichkeit, die sich vor allem am Mythos der amerikanischen Kleinstadt orientiert: keine Gewalt, keine Obdachlosen, keine Drogen.'' Die Mehrheit der Bevölkerung in amerikanischen Städten lebt und arbeitet in der Peripherie, in den Zentren zurück bleiben Arme, Obdachlose und andere marginalisierte Gruppen, eine in der Optik marktorientierter Stadtmanager unerwünschte Entwicklung. ``Während sich die Mittelklassen in den USA weitgehend von öffentlichen Territorien und Dienstleistungen zurückgezogen haben, nimmt die Bereitschaft der städtischen Verwaltung zu, Bereiche des öffentlichen Raums in einer Weise zu organisieren, wie sie für Themenparks und Malls typisch ist.''

Ähnliche Übertragungen finden in Europa seit den 70er Jahren statt. Bei der ``Rückeroberung'' der europäischen Innenstädte durch einen kulturbeflissenen Mittelstand - in Zürich betraf dies vor allem die Kreise 1, 4 und 5 - nimmt Verkehrsfreiheit eine wichtige Funktion ein. Zu erinnern ist hier an die Diskussionen über autofreie Einkaufszonen in der Altstadt und verkehrsberuhigte Wohnstrassen. Vor allem erstere werden in letzter Zeit verstärkt durch City-Vereinigungen und Anlieger von unerwünschten Gruppen ``gesäubert'', um danach über aufgesetzte Kulturveranstaltungen wiederbelebt zu werden.

Neben anderen ökonomischen Standortvorteilen gehört zu einer Wirtschafts-Metropole als Gegenwelt heute auch eine ``hochwertige Kulturlandschaft'', in welcher sich die städtischen Eliten von den Strapazen innovatorischer Mühsal erholen und neue Kraft gewinnen können. In dieses Szenario lassen sich zunehmend auch Quartierkultur und Subkultur mit einbeziehen, wenn sie sich nicht explizit politisch positionieren. Ursprünglich fest in einem basisnahen, emanzipatorischen linken Umfeld verankert, muss dieser Kontext mittlerweile immer auch mitgeliefert werden. In diesem Zusammenhang wird besonders wichtig, für welche Gesellschaft sich Bewegungen wie die ZAF! in ihrer alltäglichen Arbeit stark machen.

Will sich ZAF! als politische Gruppierung ernst nehmen, muss sie sich die Frage gefallen lassen, was sie neben der Vertreibung des motorisierten Individualverkehrs aus den Städten noch alles als Inhalt mittransportiert und welches Konzept von Stadt sie ins Auge gefasst hat. Bauliche Freiräume sind nicht automatisch auch soziale Biotope und herrschaftsfreie Bereiche. Am Ende schaffen wir lediglich eine ``brave new world'' für den besitzenden, kulturalisierten Mittelstand der kommenden Zweidrittelsgesllschaft - Sun fun and nothing to do. Ein Kokettieren mit Standortwettbewerb-Versatzstücken und bürgerlicher Stadtidylle ist unter diesen Umständen nicht zu vertreten.

Leider ist die in den letzten Wochen erreichte Publizität nicht zur Herausarbeitung dieser Zusammenhänge genutzt worden. Eine Diskussion über ein städtisches Phänomen von dieser Tragweite ist auch immer ein Entwurf einer anderen Stadt und da muss von allem Anfang an klargestellt werden, wer in dieser Platz hat und an welchem Ort. Es geht nicht an, dass im Zuge von Globalisierung und Deregulierung hinter den glänzenden Fassaden einer lebenswerteren Stadt Lebens- und Arbeitsverhältnisse verschleiert werden, während andere sich auf den wohnlichen Plätzen vergnügen.

(baldrian und Marc Riel)

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Letzte Änderung 1997-04-14