``Nase voll von dieser Stadt? Wir haben noch 30 andere.''
(Werbekampagne SSR Reisen Februar 97)
Zu den Stadtutopien von Züri autofrei!
Langstrassenfest und autofreie Langstrasse
Samstagabend - 28. September 1996. Mitten im Gewühl des 1.
Langstrassenfestes, irgendwo zwischen Gewerbeverein und
Multikultifressbeiz sticht der Schriftzug von ZAF! ins Auge. Am Stand
wird Goodwill gesammelt für umverkehR, geworben für die
eigene Initiative ``Züri autofrei - weniger Autos, mehr
Lebensraum'' und - eine Überraschung - für eine autofreie
Langstrasse (Petition an den Stadtrat).
``Türen zu für das Sexgewerbe - Kein Sex- und Drogengewerbe
in Stadtquartieren, die gerade wieder zu leben beginnen!'' (Inserat
von ABZ, fgz und wogeno für die Einzelinitiave Macher im
November 96)
``Schliicher haued ab! nicht nur wir Anwohner kennen eure
Autonummer'' (Transparent der im Juli 95 von Stadtrat Wehrli im Kreis
4 lancierten ``Aktion Pranger'')
Auf dem Tresen aufliegend, eine kleine Broschüre im DIN
A5-Format, lila Druck auf grauem Umwelt. Kenn ich noch nicht, nehm
mir also - leicht verdutzt - eine mit. Autofreie Langstrasse, mehr
Lebensraum? Klingt da nicht etwas an von ``Gegen den Freierverkehr:
Milieu raus - mehr Lebensqualität für den Kreis 4'', von
Strichplan, gezielten Kontrollen gegen SexarbeiterInnen und
Securitas-kontrollierten Schlagbäumen an Wohnstrassen, von
``Rettet das Langstrassenquartier' und 'Wir haben schon genug
Probleme''. ``Wieder einmal ein positives Zeichen setzen für die
Bevölkerung im Quartier'' - war das nicht auch der Leitspruch
dieser Chilbi heute?
``Das Langstrassen-Quartier will mit diesem Fest nicht darüber
hinwegtäuschen, dass die Lebensqualität in diesem lebhaften
Stadtteil in den letzten Jahren durch verschiedene Entwicklungen
strapaziert worden ist. Zeigen will das Fest aber, dass sowohl
Quartierbevölkerung wie Gewerbetreibende ``ihr Quartier'' nicht
einfach aufgegeben haben. Für sie haben nämlich viele
`Negativ-Schlagzeilen'' auch entscheidend Positives gebracht. Die
akuten Probleme sind auch von ``höchst Stelle'' erkannt und mit
gezielten Massnahmen bekämpft worden - was zu einer sehr
deutlichen Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation geführt
hat,'' schreibt das OK aus Quartierverein und Gewerbeverein Kreis 4/5
in der offiziellen Festzeitung und spielt unter der euphemistischen
Bezeichnung ``gezielte Massnahmen'' auf Lettenräumung,
Polizeipräsenz, Strichplan und Zwangsmassnahmen an.
Schon Ende der achziger Jahre war eine ``Befreiung'' der Langstrasse
vom Autoverkehr, gar eine Pflästerung und Ausebnung der
``originellen Flanierpromenade'' (OK Langstrassenfest) diskutiert
worden. Die linke Quartieropposition warnte jedoch, dass das Gebiet
dadurch auf dem Höhepunkt von Wohnungsnot und
Immobilienspekulation zu einem ``pittoresken Vergnügungs- und
Schickeria-Wohnviertel'' für ``New urban professionals''
(Zürich ohne Grenzen, 110) umgebaut würde.
``Eine neue, kaufkräftige Bevölkerungsschicht entdeckt den
Charme des nostalgischen ArbeiterInnenquartiers, den Reiz des bunten
Quartierlebens und die hohe Wohnqualität an verkehrsberuhigter,
zentraler Lage.'' (Zonen. Infoladen für Häuserkampf. Sept.
1988)
``Living im Kreis 5 - Das ehemalige Industriequartier (...)
entwickelte sich vom Fabriködland zum In Place. Hier geht das
Leben ab. Der Kreis 5 steht für multikulturelle Gesellschaft und
ebensolche Ambiance, für Kontrastreichtum, für Sein
schlechthin. Der Kreis 5, ungepützelt und lebensnah ist
trendiges Wohnquartier geworden.'' (Village Voice, Investorenzeitung
der Intercity Verwaltungs AG für das Steinfels. 1995)
Natürlich kann den ZAF!-AktivistInnen nicht die Schuld an
Quartiersanierung und Umstrukturierung in die Schuhe geschoben
werden. Es bleibt aber die Frage, in welchem diskursiven Umfeld sich
die Gruppe bewegt und wie sie sich gegen allfällige
Vereinnahmungen abgegrenzt.
Mehr Lebensraum für alle
Zuhause angekommen setze ich mich - gereizt von der Kiezidylle vor
der Haustür - mit kritischem Blick an die Lektüre der
Broschüre. Titel / Titelblatt / Inhaltsverzeichnis: ``Eine
Vision'' / ``Ein Traum'' / ``Die Zeit ist reif'' / ``Autofrei - warum
gerade die Stadt?'' Ja, warum gerade die Stadt! Eine mögliche
Antwort gibt die neuere Stadtforschung: ``Die Stadt ist ein
umkämpftes Territorium.'' Ausgehend von neomarxistischen,
amerikanischen Stadtentwicklungstheorien werden Städte heute
wieder als Orte von kapitalistischen Ausbeutungsmechanismen und
Verdrängungskämpfen beschrieben. Dabei wird Lifestyle,
Kunst und Kultur - und damit auch Quartierkultur - eine zentrale
Rolle bei der Vermittlung von ökonomischen Verwertungsprozessen
zugeschrieben. Urbane Lebensqualität wird zu einer wichtigen
Kapitalanlage von Städten, die im globalen Wettbewerb um
Wachstumspotentiale miteinander konkurrieren.
``Standortfaktor Wohn- und Lebensqualität - Der Lebensraum
Zürich hat alle Vorteile einer Metropole ohne deren Nachteile:
Die Region kennt keine Slums, keine Bandenkriminalität, keinen
Siedlungsbrei. (...) Der Lebensraum zeichnet sich aus durch die
Nähe zu den Erholungsräumen und ermöglicht damit die
Unabhängigkeit vom Auto. Die intakten Innenstädte sind
Einkaufs- und Unterhaltungszentren. Sie sind meist verkehrsberuhigt
und heute stark belebte Fussgängerzonen. (...) Das kulturelle
Angebot zeichnet sich aus durch eine breite, vielschichtige und
multikulturelle Auswahl: Kleintheater, Musik- und Spielbühnen,
Jazzlokale, Musicals, alternative Kulturszenen und ein
vierzehntägiges Theaterspektakel. (...)'' (Wirtschaftsraum
Zürich. Projekte 1995-2015. Ein Manual für
Entscheidungsträger. Hg. Gesellschaft für
Siedlungsentwicklung und Umwelt und Zürcher Handelskammer,
unterstützt durch die City Vereinigung Zürich. Zürich
1995. S. 18)
Was für ein Bild der Stadt schwebt nun aber den
ZAF!-AktivistInnen vor. ``Mehr Lebensraum'' - für alle,
impliziert der Untertitel der Initiative: In der Tat: Frauen, Kinder,
Alte, Obdachlose, Geschäftsherren, FussgängerInnen,
BewohnerInnen, Menschen, das Gewerbe und immer wieder Menschen,
Leute, ``alle'' und vor allem Kinder sind angesprochen - universale
Kategorien, die ein ``unschuldiges Sprechen über die Stadt'' (W.
Prigge) betreiben, das scheinbar nichts mit gesellschaftlichen
Machtverhältnissen zu tun hat - ein Tonfall von ``eigentlich
sind wir doch alle gleich und gleich sozial''. Eine Utopie, welche
jedoch die Analyse derjenigen Kräfte unterlässt, die
gegenwärtig die bauliche, vor allem aber auch die soziale
Ausgestaltung des ``öffentlichen Raums'' bestimmen, verhindert
kaum, dass sich in den nunmehr verkehrsfreien Flächen eben bloss
die bestehenden Verhältnisse reproduzieren. Der Kampf um die
Strasse wird mit der Durchsetzung der Forderung nach Autofreiheit
erst recht beginnen.
Wege zu einer differenzierteren Auseinandersetzung hat die ZAF! auch
schon aufgezeigt: Mit der leider verhinderten Sperrung der
Weststrasse wurde unter anderem auf exponierte Wohnlagen aufmerksam
gemacht und auf die soziale Verteilung der negativen Folgen des
Autoverkehrs hingewiesen: Entlang der Verkehrsachsen von Zürich
reihen sich die Wohnräume von Einkommensschwachen auf.
Spontan und offen
Vor vier Jahren haben sich einige Leute zum Verein ``ZAF! - Züri
autofrei'' zusammengetan und mit ersten Aktionen für Aufsehen
gesorgt. Nach dem Vorbild von ähnlichen Gruppen in St. Gallen,
Luzern und Basel, unterstützt von Jusos, Junger Grüner
Alternative und diversen Umweltschutzorganisationen, wurde die
weitgehende Befreiung der Stadt vom motorisierten Individualverkehr
angepeilt. Mit Verkehrsbarrikaden, Strassenblockaden, Brunchs auf
Parkplätzen und Kreuzungen, viel Witz und ``gewaltfreier
Militanz'' kämpft die Gruppe für ihr Ziel. Obwohl ZAF! von
Anfang an auch ein Initiativ-Verein war, halten 4/5 der AktivistInnen
Agitationsformen in der Tradition der ausserparlamentarischen
Opposition für das geeignetste Mittel (Wüthrich I, 10).
Einen wichtigen Stellenwert haben dabei Aktionen im
``öffentlichen Raum''. Die Liste dieser Auftritte liest sich wie
ein Handbuch politischer Happenings: Kaum eine Aktionsform taucht
zweimal auf. Der Kampf wird auf die Strasse getragen, strategisch
werden Orte besetzt, bezeichnet, umgedeutet. Darüberhinaus
beeindruckt die ZAF! durch ihre vermessene Forderung und stellt damit
klar, dass sie nicht gewillt ist, sich auf realpolitische
Machbarkeiten zu beschränken. Der Gestus erinnert an die 80er
Bewegung: ``Wir wollen die ganze Stadt, aber subito!'' Mit ihrer
Frechheit und ihrem Ideenreichtum haben die ZAF!-AktivistInnen in der
linken Szene Resonanz gefunden.
Viele der auffallend jungen SympathisantInnen haben sich
überhaupt erst mit dem Auftauchen von Züri Autofrei!
politisiert. Mit ihrem spontanen und unbelasteten Vorgehen hat die
ZAF! ein ernstzunehmendes Mobilisierungspotential freigesetzt. Es
entstand nicht einfach ein weiterer politischer Verein, sondern eine
politisch motivierte Bewegung mit ausgeprägt basisdemokratischer
Ausrichtung. In Stellungnahmen wird denn auch häufig die
unmittelbare, eigene Betroffenheit angeführt.
``Mit unserer Offenheit, Spontaneität, Ehrlichkeit schaffen wir
irrationale Sympathien, welche sich nicht auf empirische Weise
nachvollziehen lassen.'' (ZAF! Mitteilungsblatt 14 / Dezember 96)
Medien und Initiative
Nachdem die ZAF! anfänglich ein unhierarchisch organisiertes,
offenes Sammelbecken mit einem Hang zu anarchischem Aktivismus war,
schleicht sich zunehmend ein Personenkult sowie ein Schielen nach den
Medien ein (vgl. Vorwärts 21.2.97). In einer
kommunikationswissenschaftlichen Studie empfiehlt das ZAF!-Mitglied
Wüthrich für den Abstimmungskampf ``ein Vorgehen, das auf
Integration und nicht auf Konfrontation ausgerichtet'' sei und meint
damit nicht zuletzt eine möglichst konsensfähige mediale
Aufbereitung der politischen Inhalte, der ein allzu agressives
``Strassensperr-Image'' abträglich sei (Wüthrich II + III).
Es hat sich wiederholt gezeigt, dass wenn die Initiative als Form
gewählt wurde, sich auch die Inhalte veränderten. In der
Mobilisierung wird viel Zeit und Aufwand gebunden. Unter dem Druck
von meist knappen Ressourcen reagieren die meisten Initiantiv-Vereine
lediglich noch auf die Einwände ihrer Gegner und versuchen ihre
Hauptargumente in vereinfachter Form durchzubringen. Je näher
die Abstimmung, desto griffiger die Parolen, desto diffuser die
Inhalte und Analysen. Währenddem einzelne Exponenten die
Deutungsmacht in den Medien an sich reissen, betreibt die Basis
weiterhin Politisierung auf der Strasse.
Genau dieser Anordnung droht die ZAF! je länger je mehr zu einer
Einthemenpartei zu werden. Solange die Aktionen im Vordergrund der
ZAF!-Aktivitäten standen, schien mir eine pointierte Fixierung
auf den Autoverkehr Sinn zu machen; die zunehmende Theoretisierung
des Politprogramms über Presseerklärungen und
Stellungnahmen erfordert jedoch meiner Meinung nach gerade eine
Erweiterung der Optik, wie sie zum Beispiel technologiekritische
linke Debatten in letzter Zeit vornahmen.
Das politische Kalkül, die Festlegung auf Auto,
Verkehrsströme und Mobilitätswahn verstellt den Blick auf
die Folgen einer Mobilität des Kapitals. Zunehmend macht sich
Unsorgfalt im Verhältnis zu anderen Anliegen bemerkbar. Typisch
dafür ist das Kokettieren mit
Standortdiskussion-Versatzstücken und der Entwurf einer
eindimensionalen positiven Utopie.
Standortattraktivität
Die Liste der Initiativen, welche gerade im Kreis 4/5 eine
``Aufbruchstimmung'' wecken wollten oder ``eine Normalisierung des
Quartierlebens'' orteten, ist bereits von visionärer Länge:
Das Projekt Soziokultur, KIK 5, Wettbewerb Aussenräume Kreis 5,
Stadtforum und Gartenbauausstellung, Zürcher Festwoche und
Fringefestival auf dem Platzspitz, Langstrassenfest, kreative
Loftkultur in Steinfels und Löwenbräu, Bildungsstrasse,
autofreies Limmatquai etc. Aus den verschiedensten Lagern von SVP
über rot-grün bis in den alternativen Kulturbereich gehen
die Aufwertungsphantasien. Auffallend ist dabei die Verknüpfung
mit Schlagworten wie Standortattraktivität, globalem
Städtewettbewerb und Sicherheit.
``Hier sind sich Stadt- und Gemeinderat für einmal einig - Nein
zu ``Züri autofrei!'' - Nein zur Vernichtung von
Arbeitsplätzen, Nein zur Verschleuderung von Steuergeldern''
(Inserat Komitee gegen ein autofreies Zürich)
Thema: Volksinitiative ``Züri autofrei'': Nein! Rot-grüne
Verkehrspolitik zerstört Arbeitsplätze! - SVP-Alternative:
Koordinierte Verkehrspolitik zwischen Stadt, Kanton und Bund.
(Inserat SVP: Einladung zum Seniorennachmittag)
``Zürich hat wichtigere Probleme'' (TA 20.2.97), ``Grosser
Aufwand, wenig Nutzen'' (TA 4.2.97), ``lediglich eine geringere
Verkehrsreduktion'' (Tagblatt 21.2.97), ``verkehrspolitisches
Tauwetter massiv gestört'' (TCS-Revue Februar 97),
``Etikettenschwindel'' (Züri Woche 20.2.97), - seit der
Abstimmungskampf um die Initative ``Züri autofrei - für
weniger Autos und mehr Lebensraum'' angelaufen ist, schiessen die
Gegner aus allen Rohren. Freiheit des Individuums, Gefährdung
des Wirtschaftsstandorts, Wiederaufflammen des verkehrspolitischen
Grabenkriegs sind die Stichworte. Alle Parteien ausser SP, GP, AL und
FraP, sowie Stadt- und Gemeinderat empfahlen, die Initiative
abzulehnen.
Jenseits der bürgerlich-konservativen Betonfraktion zeichnen
sich aber auch neue Koalitionen ab, wie die von Leuenberger / Neukomm
/ Estermann durchgesetzten Zwangsmassnahmen und der Bau des
Kasernenknasts beziehungsweise Kloten I + II belegen. Dabei zeichnen
sich neue umkämpfte Felder ab wie die sogenannte ``symbolische
Ökonomie'' (Sharon Zukin): Eine ``Festivalisierung'' der
Stadtpolitik, der Einsatz von Kunst und Kultur zur Durchsetzung
ökonomischer Interessen ist mittlerweile ein wichtiges
Instrument geworden. Neben etablierten Institutionen lassen sich
zunehmend auch alternative Projekte in diese Strategien einbinden.
Die geplanten Zürcher Festwochen wurden in der Presse mit Titeln
wie ``Der Aufschwung beginnt im Kopf'' ganz offen als Massnahme in
einem verschärften internationalen Städtewettbewerb
angekündigt (TA+Züri Woche 7.11.96, Tagblatt 15.11.96).
Besonders stossend ist jedoch, dass über einen alternativen Teil
der Veranstaltungen auf dem Platzspitz - angefragt wurden
Theaterspektakel, Gessneralle, Neumarkttheater und Rote Fabrik -
gerade dieser Ort zum Symbol eines ``neuen Zürichs'' ohne offene
Drogenszene werden soll. Die Ausgrenzung der DrogenkonsumentInnen
oder der mit den Zwangsmassnahmen zunehmend kriminalisierten und
illegalisierten Personen ist dabei stillschweigend vorausgesetzt.
``Solche Festspiele polieren international den Ruf Zürichs auf
und fördern - vor allem durch das Fringe-Festival auf dem
Platzspitz - ein positives Verhältnis zur eigenen Stadt'' liess
Opernhausdirektor Perreira verlauten (NZZ 7.11.96). Zeitläufte
I+II des Theaterspektakels wird sich denn vom 10.-13. Juli 97 auf dem
Platzspitz passgenau um die positiven Mythen der Stadt
kümmern.
``Eine Nacht im Zürcher Platzspitz - Der abendliche ``corso''
durch die Hauptgeschäftsstrasse und der Treff im Park hinter dem
Landesmuseum haben zumindest eines gemeinsam: Intimität in der
Anonymität. (...) ``Zeitläufte I'' beschäftigt sich
(...) inhaltlich mit dem Phänomen der ``Street Corner Society'':
Einer Gesellschaft, deren Herz an der Strassenecke schlägt und
die sich unter freiem Himmel nicht vor Lauschangriffen oder
Türstehern zu fürchten braucht. Künstler, Artisten und
Theaterleute werden vom Theaterspektakel eingeladen, die Orte zu
beschreiben, an denen Begegnungen sich spontan, oft unkontrollierbar
und ungewiss ergeben.'' (Programmheft zu den Zürcher Festspielen
97, S. 37)
Autofreiheit als Verkaufsargument
Ein Beispiel für die Möglichkeit, wie Ökologie und
Stadtumbau zusammen gehen können, ist die Idee des Stadtforums,
den brachliegenden Arealen im Industriequartier mit einer gross
angelegten Gartenbauausstellung wieder zu einer positiven
Identität zu verhelfen und damit zugleich Letten und Platzspitz
von ihrer ungeliebten Vergangenheit reinzuwaschen. Handlungsbedarf
besteht! - dies versteht sich bereits von alleine und muss auch nicht
mehr genauer legitimiert werden. Auch bei der Diskussion um ein
verkehrsfreies Limmatquai zeigt sich, wie unter dem Deckmantel einer
nachhaltigen Stadtentwicklung gleich auch Verelendungsmythen und
Grossstadtphantasien weitertransportiert werden.
``Natur als positiver Impuls - Das Gebiet entlang der Limmat zwischen
Platzspitz und westlicher Stadtgrenze soll langfristig mit Grün-
und Freiflächen aufgewertet werden (...), die
Investitionsanreize auslösen und Familien sowie Investoren
anlocken. (...) für die Attraktivitätssteigerung soll
bereits 1998 eine grosse Gartenbauausstellung in dem Gebiet
durchgeführt werden. (...)'' (Gala-Auftritt für
Zürich-West. Stadtforum fordert Aufwertung des Limmat-Raums. TA
20.1.97)
``Perspektiven für das Limmatquai - Mit dem historischen
Kompromiss in der Verkehrskommission und dem internationalen
Gestaltungswettbewerb geht es nicht einfach darum, das Limmatquai
verkehrsarm zu gestalten, sondern dem verslumenden Niederdorf Raum
bis zum Fluss zu geben (...)''. (SP-Gemeinderat Werner Sieg. DAZ
6.2.97)
``(...) eine Prachtsavenue der Stadt. Wir müssen in diesen
städtischen, urbanen Raum investieren. Der Limmatraum muss
aufgewertet werden, damit Zürich wieder eine Stadt am Fluss
wird.'' (SP-Gemeinderat Werner Sieg TA. 6.2.97)
Eine Stadt des öffentlichen Verkehrs ist nicht per se
toleranter, dies belegen die häufig nach rassistischen Kriterien
vorgenommenen Personenkontrollen und Verweise in Bussen und Trams
während und nach der Lettenräumung. Der Ausbau der grossen
Bahnhöfe zu kommerziellen Dienstleistungs- und Einkaufskomplexen
ging - neben einem enormen Citydruck für die angrenzenden
Quartiere - mit der Etablierung von sogenannten ``qualifizierten
Öffentlichkeiten'' (eine Wortfindung der Deutschen Bahn) einher,
um ein ideales Umfeld von Sicherheit und Ordnung für
finanzkräftige Kunden und Investoren garantieren zu können.
Die öffentliche Hand, öffentlicher Verkehr und Polizei
sorgen hier im Verbund mit Privaten für eine Umgestaltung des
``öffentlichen Raums'' zugunsten privater Gewinnmaximierung.
Besieht man sich die Fussgängerzonen in den sanierten
Kernstädten, so wird klar, dass Autofreiheit schon seit
längerem auch zum Verkaufsargument geworden ist. Das
Marktforschungsinstitut Socialdata ermittelte eine Umsatzsteigerung
von 9 Prozent für Läden und Gewerbe im Falle einer
Durchsetzung von Verkehrseinschränkungen wie sie die ZAF!
anstrebt und ``strafte damit die Argumente der autofreundlichen
City-Vereinigungen Lügen'' (Vorwärts 21.2.97, DAZ 24.2.97).
Bekannte Tourismusorte wie Zermatt oder Saas Fee preisen sich in der
Werbung als autofreie Idyllen an. Nicht von ungefähr sind beides
Orte des unbeschwerten Konsums und Freizeitvergnügens für
alle, die es sich leisten können.
``Autofreiheit: wirtschaftlicher Standortvorteil! - In einem
autofreien Zürich wären die Strassen nicht nur bei
Velo-Demos belebter: Positive Auswirkungen auf das Gewerbe sind zu
erwarten. (...) Das Gewerbe, welches für Transporte auf den
Strassenverkehr angewiesen ist, wird von der Initiative bewusst nicht
tangiert (...).'' (Zürich autofrei! - weniger Autos mehr
Lebensraum. Unsere Argumente. ZAF!-Broschüre Frühjahr 1996.
S. 15)
``Gerade vor kurzem konnte ich mit Journalisten aus Berlin sprechen,
die mir bestätigten, was für eine Wohltat für
Stadtmenschen es ist, einmal für einige Tage der Hektik der
Grossstadt mitsamt ihren Verkehrsproblemen zu entrinnen.''
(René Kramer, Präsident der Gemeinschaft autofreier
Schweizer Tourismusorte)
Lettenräumung und Quartieraufwertung
``Mit martialischen Einsätzen gegen MigrantInnen, Obdachlose und
DrogenuserInnen soll öffentlich demonstriert werden, dass es
einen polizeilichen Handlungsbedarf gegen Menschen gibt, deren
stereotype Feindbilder von staatlicher Seite her erst produziert und
in medialen Kampagnen und Lifestyle-Standards reproduziert wurden.''
(Antirassistische Initiative Berlin)
Zwei Jahre sind vergangen, seitdem der ``öffentliche Raum''
schon einmal von ``störenden Elementen'' geräumt wurde und
für ein ganzes Quartier ``Lebensraum'' zurückgewonnen
werden sollte. In der Ausschreibung zum Wettbewerb Aussenräume 5
im Oktober 95 klingt das so: ``Das Wettbewerbsgebiet ist in den
letzten Jahren - insbesondere durch die Auswirkungen der Drogenszene
und des intensiven Privatverkehrs - zu einem der exponiertesten
Gebiete der Stadt Zürich geworden. (...) Seit der Auflösung
der Drogenszene hat erstaunlich rasch eine Normalisierung des
Quartierlebens stattgefunden. Die Bewohnerinnen und Bewohner des
Quartiers leben zur Zeit in einer Aufbruchstimmung.''
Umgestaltet für eine wohlhabende linke Kulturschickeria wurden
Schöller, Löwenbräu und Steinfels-Areal. Das
Gewerbeschulquartier soll neu zur Bildungs- und Kulturmeile, zum
Vergnügungs-, Atelier- und Wohnraum der kreativen Elite werden.
Der Zusammenschluss innovativer Jungunternehmer und akademischer
Forschungsinstitute im Technopark zeigt, wie - als background office
des Kapitals an der Bahnhofstrasse - im alten Industriequartier eine
progressive Dienstleistungsstadt für die postindustrielle
Gesellschaft entsteht.
In Erinnerung geblieben sind aber nicht zuletzt die subjektiven
Betroffenheitskundgebungen der im Quartier wohnenden aufgeschlossenen
Kulturschaffenden und Intellektuellen. Nicht vergessen sind etwa die
Interventionen von Silvio Blatter (Du 12/92) und Linus Reichlin (TA
29.1.93), in denen sie mit Bemerkungen wie ``gewisse Ausländer''
und ``ich verstehe meine wachsende Aversion gegen sie durchaus''
genau dem hinlänglich bekannten rassistischen
Ausgrenzungs-Stereotyp des kriminellen, asozialen, ausländischen
Drogendealers folgten und damit populistische Betroffenheitsdiskurse
auch in linken Kreisen salonfähig machten. Eine
Desolidarisierung des linken Bildungsbürgermilieus, welche dann
vor kurzem in der von Stadtpräsident Estermann vorgenommenen
Unterscheidung von ``problematischer'' und ``unproblematischer''
ausländischer Wohnbevölkerung einen weiteren Höhepunkt
fand (TA 3.10.96; hyäne 1, 28).
Heroinabgabe und Röntgenplatzidylle
Geradezu beispielhaft war das Vorgehen der SP bei der Kampagne
für eine Verlängerung der Heroinabgabe. Auf den
zweiteiligen Plakaten waren über dem Aufruf ``Ja zur
kontrollierten Drogenabgabe'' Slogans wie ``Hier ist kein Platz
für Dealer'', ``Zürich will keinen neuen Letten'' und
``Dealer raus aus der Langstrasse'' zu lesen. Neben der Opposition
gegen das Referendum wurde gleich auch eine Abgrenzung des
linksliberalen Bürgertums gegenüber der Drogenszene
mittransportiert. Die Abwertung und Ausgrenzung von
unerwünschten Gruppen wird unhinterfragt nachvollzogen und mit
der Bezeichnung von besonders ``gefährlichen'' Orten
verknüpft.
Auf die Spitze getrieben wurde dieses Vorgehen am Hirschenplatz,
insbesondere aber am Röntgenplatz. Während die übrigen
Varianten in der ganzen Stadt zu finden waren, wurden ``Keine neue
``Szene'' am ...'' nur an diesen beiden Plätzen geklebt. Der
Röntgenplatz war zwei Wochen vor der Abstimmung vollständig
mit Plakaten austapeziert und zusätzlich mit einem Transparent
als gentrifizierter, ``gereinigter'' Ort markiert. Der
``öffentliche'' Raum wurde zum sauberen und sicheren Vorgarten
der GenossenschaftsbewohnerInnen und AtelierbesitzerInnen in der
Umgebung umgedeutet und damit privatisiert. Die kulturelle und
politische Hegemonie einer kleinen ``linken'' Insel wird hier gegen
die Gefahren der Grossstadt verteidigt, der Raum symbolisch besetzt.
Die Underground-Ästhetik verschlampter Transpis und
kleinformatiger Plakate transportiert auf einmal ganz andere Inhalte.
Im Rahmen eines umfassenden Konzepts für eine Verkehrsberuhigung
im Kreis 5 und eine Aufwertung des Industriequartiers regte die
private Arbeitsgruppe ``Kreis 5 vor 12'' erstmals 1975 eine Sperrung
des Röntgenplatzes an. Mit den seit Anfang der siebziger Jahre
lauter werdenden Forderungen nach Verkehrsberuhigung in
Wohnquartieren sollte auch diese Asphaltwüste zu einem
``wohnlichen'', städtischen Platz, zu einem Ort der
``Stadtkultur für aktive Bürger'' werden (TA-Magazin 9 /
März 1975). Als Überrest weitergehender Planungen
verabschiedete die aus Kirchen, Parteien und Quartiervereinen
zusammengesetzte AG Industrie im Juli 1980 den verkehrsfreien
Röntgenplatz und die Unterbrechung des Durchgangsverkehrs beim
Limmatplatz und empfahl zugleich die Organisation eines
jährlichen Röntgenplatzfestes. Noch im Herbst des gleichen
Jahres wurde dieses Vorgehen vom Stadtrat gutgeheissen. Wegen
Rekursen und Einsprachen konnte der Röntgenplatz aber erst Ende
1983 mit provisorischen Mitteln gesperrt und im Dezember 1987 in
umgestalteter Form als Symbol einer wohnlichen Stadt eröffnet
werden.
Auffallend ist, dass diese Massnahmen schon von Anfang an auch
über sozialhygienische Argumentationen propagiert wurden. Die
Planer erhofften sich eine ``Verbesserung'' der BewohnerInnenstruktur
im Kreis 5. Als Missstände hervorgehoben wurden der hohe
Ausländeranteil, der Rückgang der Wohnbevölkerung,
häufige Mieterwechsel, der schlechte Zustand der Bauten und die
``grosse Interesselosigkeit der Bevölkerung am
Quartiergeschehen'', was eine Aufwertung und Sanierung dringend
nötig mache, um die weitere Abwanderung von einheimischen
Familien zu verhindern.
Genau diese Logik unterstützte der Tages-Anzeiger erst
kürzlich wieder unter dem Titel ``Quartiere lassen sich
wohnlicher gestalten''. Im Zusammenhang mit
sanierungsbedürftigen Gebäuden an Orten ``mit Lärm und
schlechter Luft'' wird der Basler Ökonom René L. Frey,
Programmleiter des nationalen Forschungsprogramms ``Stadt und
Verkehr'' und Verfechter einer marktkonformen Nachhaltigkeit in der
Stadtentwicklung, zu sogenannten ``A-Gebieten'' zitiert. Damit meint
er Gebiete ``mit Altbauwohnungen in der Nähe der Kernstadt, die
bewohnt sind von Alten, Ausländern, Arbeitslosen, Armen,
Alleinstehenden, Alleinerziehenden, Auszubildenenden, Ausgeflippten''
(TA 8.8.96).
``Züri autofrei. Ein Traum ...? - (...) Auf den Plätzen
treffen sich die AnwohnerInnen oder PassantInnen, lernen sich kennen,
erzählen sich Alltagsgeschichten. (...) Das obdachlose Paar, das
in letzter Zeit öfters hier schläft, kennen auch alle.
Manchmal werden sie zum Essen eingeladen. Dabei erfährt man/frau
etwas über ihre Geschichte. Wenn es regnet, finden sie meist
irgendwo Unterschlupf oder wenigstens eine heisse Dusche am Tag
danach. (...)'' (Zürich autofrei! weniger Autos mehr Lebensraum.
Unsere Argumente. ZAF!-Broschüre Frühjahr 1996. S. 4)
``Gemäss Petri ist es die Kunst, abstrakte Sachverhalte zu
visualisieren und dabei den Leuten Ansatzpunkte zu bieten, welche
sich mit ihrem eigenen Alltag verknüpfen lassen (wo es schon als
positiv erlebt wurde, z.B. an Sechseleuten erinnern, wo mensch
ungestört marschieren und die Stadt neu erleben konnte). (...)
Ganz wichtig sei es Inhalte in Geschichten zu verpacken. die Leute
wollen Geschichten hören.'' (Wüthrich III, 21 zu
Empfehlungen für den Abstimmungskampf der ZAF!)
In eine ähnliche Richtung zielte auch ein Artikel über die
Studie des Sozialdepartements zum Sozialhilfebezug zwischen 1993 und
1995 (TA 1./2.2.1997). Unter der tendenziösen Überschrift
``Kaum in Zürich, schon zur Fürsorge'' wird festgehalten,
dass die Stadt Arme anzieht und in letzter Zeit eine deutliche
Zunahme der Sozialhilfeempfänger zu verzeichnen ist.
``Sprengstoff für die Städte'' ist dann vor allem aber
``die Zunahme ausländischer Personen, die neu um Fürsorge
nachsuchen''.
Wenn da in der ZAF!-Broschüre unter dem Stichwort ``NachbarInnen
begegnen sich auf autofreien Plätzen'' plötzlich Obdachlose
als Stadtoriginale auftauchen und aus ihrer Biographie erzählen,
so muss dies bei aller Liebe zur Clochard-Romantik alter ``Chreis
Chaib''-Filme wie ``Hinter den sieben Geleisen'' als zynische
Konstruktion einer privilegierten Erlebniswelt erscheinen. Wie
ausländische Spezialitätenlokale und Industrieästhetik
sind solche Geschichten bruchlos einzugliedern in die sentimentale
Inszenierung urbaner Qualität ohne störende Nebeneffekte.
Metapher ``Themenparks''
Diese Form des Nachdenkens über Stadt und Öffentlichkeit
erinnert mich an einen Artikel des Stadtsoziologen Klaus Ronneberger,
in dem er unter dem Titel ``Funktion Freizeit'' berichtet, wie
Themenparks (Disneyland, Cony Island) in der USA immer mehr zum
Vorbild für die gesamte Stadtentwicklung werden (Spex Juli 96).
Er zeigt auf, wie durch die lückenlose Ausgrenzung oder
Einbindung von Andersartigem ``eine heile Gemeinschaft von
Gleichgesinnten'' simuliert wird und bezeichnet dies als eine ``Art
von Öffentlichkeit, die sich vor allem am Mythos der
amerikanischen Kleinstadt orientiert: keine Gewalt, keine
Obdachlosen, keine Drogen.'' Die Mehrheit der Bevölkerung in
amerikanischen Städten lebt und arbeitet in der Peripherie, in
den Zentren zurück bleiben Arme, Obdachlose und andere
marginalisierte Gruppen, eine in der Optik marktorientierter
Stadtmanager unerwünschte Entwicklung. ``Während sich die
Mittelklassen in den USA weitgehend von öffentlichen Territorien
und Dienstleistungen zurückgezogen haben, nimmt die Bereitschaft
der städtischen Verwaltung zu, Bereiche des öffentlichen
Raums in einer Weise zu organisieren, wie sie für Themenparks
und Malls typisch ist.''
``Die Stadt Zürich - kulturelles und wirtschaftliches Zentrum -
(...) Die Attraktivität als Standort wirtschaftlicher
Aktivität hängt eng zusammen mit der Anziehungskraft einer
Stadt als Lebensraum. Die Arbeitskräfte sind Menschen, die
Lebensqualität suchen.'' (Josef Estermann in Wirtschaftsraum
Zürich. Projekte 1995-2015. Ein Manual für
Entscheidungsträger. Hg. Gesellschaft für
Siedlungsentwicklung und Umwelt und Zürcher Handelskammer,
unterstützt durch die City Vereinigung Zürich. Zürich
1995. S. 26)
Ähnliche Übertragungen finden in Europa seit den 70er
Jahren statt. Bei der ``Rückeroberung'' der europäischen
Innenstädte durch einen kulturbeflissenen Mittelstand - in
Zürich betraf dies vor allem die Kreise 1, 4 und 5 - nimmt
Verkehrsfreiheit eine wichtige Funktion ein. Zu erinnern ist hier an
die Diskussionen über autofreie Einkaufszonen in der Altstadt
und verkehrsberuhigte Wohnstrassen. Vor allem erstere werden in
letzter Zeit verstärkt durch City-Vereinigungen und Anlieger von
unerwünschten Gruppen ``gesäubert'', um danach über
aufgesetzte Kulturveranstaltungen wiederbelebt zu werden.
Neben anderen ökonomischen Standortvorteilen gehört zu
einer Wirtschafts-Metropole als Gegenwelt heute auch eine
``hochwertige Kulturlandschaft'', in welcher sich die
städtischen Eliten von den Strapazen innovatorischer Mühsal
erholen und neue Kraft gewinnen können. In dieses Szenario
lassen sich zunehmend auch Quartierkultur und Subkultur mit
einbeziehen, wenn sie sich nicht explizit politisch positionieren.
Ursprünglich fest in einem basisnahen, emanzipatorischen linken
Umfeld verankert, muss dieser Kontext mittlerweile immer auch
mitgeliefert werden. In diesem Zusammenhang wird besonders wichtig,
für welche Gesellschaft sich Bewegungen wie die ZAF! in ihrer
alltäglichen Arbeit stark machen.
TA: Herr Glättli. Flaniermeilen und lauschige Plätze in
Ehren. Glauben Sie nicht, dass die Initiative zu einem noch
stärkeren Arbeitsplatzverlust führen und die Abwanderung
beschleunigen wird? - Glättli: Nein, denn die
Umweltqualität wird zu einem immer wichtigeren Standortfaktor.
Die Lebensqualität für die Bevölkerung steigt, wenn
die Strassen autofrei sind. Auch das Gewerbe und der Tourismus
profitieren von Fussgängerzonen. (...) - Cavegn: Was ihnen
vorschwebt, führt zu einer klaren Schwächung des
Wirtschaftsstandorts Zürich. Die Stadt hat heute schon grosse
Probleme und kann es sich nicht leisten, noch mehr
Standortqualität einzubüssen. (...) (``Stadt ohne Autos:
Oase oder Wüste?'' ZAF!-Vertreter Balthasar Glättli contra
TCS-Geschäftsführer Reto Cavegn. TA 12.2.1997)
Will sich ZAF! als politische Gruppierung ernst nehmen, muss sie sich
die Frage gefallen lassen, was sie neben der Vertreibung des
motorisierten Individualverkehrs aus den Städten noch alles als
Inhalt mittransportiert und welches Konzept von Stadt sie ins Auge
gefasst hat. Bauliche Freiräume sind nicht automatisch auch
soziale Biotope und herrschaftsfreie Bereiche. Am Ende schaffen wir
lediglich eine ``brave new world'' für den besitzenden,
kulturalisierten Mittelstand der kommenden Zweidrittelsgesllschaft -
Sun fun and nothing to do. Ein Kokettieren mit
Standortwettbewerb-Versatzstücken und bürgerlicher
Stadtidylle ist unter diesen Umständen nicht zu vertreten.
Leider ist die in den letzten Wochen erreichte Publizität nicht
zur Herausarbeitung dieser Zusammenhänge genutzt worden. Eine
Diskussion über ein städtisches Phänomen von dieser
Tragweite ist auch immer ein Entwurf einer anderen Stadt und da muss
von allem Anfang an klargestellt werden, wer in dieser Platz hat und
an welchem Ort. Es geht nicht an, dass im Zuge von Globalisierung und
Deregulierung hinter den glänzenden Fassaden einer
lebenswerteren Stadt Lebens- und Arbeitsverhältnisse
verschleiert werden, während andere sich auf den wohnlichen
Plätzen vergnügen.
``In welcher Richtung soll sich die Stadt entwickeln? Das ist unsere
Entscheidung.'' (Schlussatz der ZAF! Broschüre)
(baldrian und Marc Riel)
zum Weiterlesen:
- Zürich autofrei! weniger Autos mehr Lebensraum. Unsere
Argumente. Broschüre. Zürich 1996. (zu beziehen über
ZAF!, Postfach 2011, 8033 Zürich)
- Mätti Wüthrich: Situationsanalyse des Initiativ-Vereins
ZAF! Züri autofrei mit Schwerpunkt auf den
Umweltnaturwissenschaften ETHZ. Zürich 1996.
- Rudolf Schilling: Ideen für Zürich. Orell Füssli
Verlag, Zürich 1982.
- Daniel Stern: Langzeitschäden im Kreis 5. In: Beute 3/1994
- Jochen Becker: ``Wir fordern die sofortige Schliessung der Stadt
Zürich''. Shopping-Center der Kunst, Gentrification und die
Definition des öffentlichen Raums. In: Kunstforum 132 / Jan.
1996. S. 308-322.
- augenauf Bulletin 1-16 / 1995-97. (zu beziehen über Gruppe
augenauf, Postfach, 8026 Zürich)
- 1 Jahr Illegalisierung und Kriminalisierung von Geächteten.
Dokumentation der Gruppe ``augenauf'' Zürich. Broschüre.
Zürich 1996.
- Zonen. Infoladen für Häuserkampf Zürich.
Broschüre. Zürich 1988.
- Zürich ohne Grenzen. Pendo Verlag, Zürich 1986.
- Capitales Fatales. Urbanisierung und Politik in den
Finanzmetropolen Frankfurt und Zürich. Rotpunktverlag,
Zürich 1995.
- Leben in der Stadt. Zwischen Ausgrenzung und Unterdrückung.
Themenheft. In: Off Limits - Antirassistische Zeitschrift 16 / Jan.
1997.
- Wem gehört die Stadt? Armut und Obdachlosigkeit in den
Metropolen. Hg. Elisabeth Blum. Lenos Verlag, Basel 1996.
- Stadtentwicklung als Signatur des Kapitals. In: aufbau 4 / Nov.
1996.
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hyäne 2/97, Seiten 105-111 / Pressebüro Savanne /
savanne@savanne.ch
Letzte Änderung 1997-04-14