Pressebüro Savanne, hyäne 2/97, Seiten 90-92, Rubrik Häuserkampf


WENN LEBEN EIN LUXUS IST, IST BESETZEN EIN RECHT

über die letzten Räumungen und die Reaktionen darauf in Spanien.

Während der letzten Monate ist die staatliche Repression bemerkbar stärker geworden; unter anderem natürlich auch gegenüber den OKUPAS. Es scheint, dass das neue Strafgesetz (Nuevo Código Penal; CP), das Ende 1995 in Kraft getreten ist und dasjenige von 1973 ersetzen soll, nun endgültig in all seinen Facetten in Aktion kommen soll. Der Artikel 245 des neuen CP's definiert die ``illegale Besetzung'' als Delikt. In den letzten Fällen stellten die Räumungsanordnungen, auf dem neuen CP basierend, nichts anderes als ``vorbeugende'' Massnahmen dar, die mit irgendwelchen dubiosen Begründungen erklärt wurden. D.h. bevor ein Prozess, geschweige denn ein Gerichtsurteil, am laufen wäre. Rekurse, die dagegen eingereicht wurden (Cine Princesa), denunzieren die ``Unverfassungsmässigkeit'' dieses Artikels, da das sog. demokratische System einerseits das Recht auf ein Dach garantiert, andererseits aber diejenigen bestraft, die von diesem Recht Gebrauch machen. Die Interpretationen des CP's scheinen noch etliche Debatten zu provozieren. So argumentierte ein Richter in Barcelona, dass der Artikel 245.2 die ``friedliche'' Beschlagnahmung/Inbesitznahme (usurpación) weder bestraft noch ausdrücklich darauf hinweist, und dass frau diese Handlung weder von einer historischen Interpretation noch von der sozialen Realität her bestrafen kann. Die folgende Auflistung ist ein Annäherungsversuch an die enorme Repression und Räumungswelle in Spanien innerhalb des letzten halben Jahres. (Die Daten zu Beginn entsprechen den Räumungen.)

Unter Räumungsbefehl stehen zusätzlich seit Oktober das Centro Social 'Tamaragua', in La Laguna (Tenerife), besetzt seit Dez. 95, und das Kasal Llibertari, in Estel Negre (Mallorca). Trotz allem wurde am 8.11.96 in Granada ein ehemaliges Kino besetzt, während am 27.11.96 eine Frauen-Besetzung in Madrid (c/Embajadores) stattfand.

RÄUMUNGEN IN CATALUNYA

Neben zahlreichen anderen Hausbesetzungen (Lebensraum) wurde am 10. März 96 das alte ``Cine Princesa'' an der c/Laietana besetzt, eine der am stärksten befahrenen Durchgangsstrasse in Barcelona. Eine Woche später (17.3), wurde die alte Fabrik ``Hamsa'' (in Hostafrancs, Barcelona) in Beschlag genommen. Die beiden besetzten Häuser haben sich als Zentren diversester Aktivitäten entwickelt. Die Antwort liess nicht lange auf sich warten. Im Sommer schon wurden 3 Häuser im Viertel Gracia geräumt, u.a. an der c/Sant Marc, bereits seit über 3 Jahren besetzt. Am nächsten Tag besetzten die Okupas bereits ein neues Haus.

Die Räumung des Centro Social ``La Hamsa'' ist auf den 16.9. angesagt worden. Als es soweit kam, sahen die Bullen sich jedoch gezwungen, das Datum bis auf weiteres zu verschieben, da einerseits den Okupas während dem Verfahren das Recht auf einen Prozess verweigert wurde, und zudem etwa 200 Demonstrierende sich vor dem Gebäude einfanden, um gegen eine Räumung zu protestieren. Das Cine Princesa war von der Räumung schon seit Juli bedroht, die effektive Räumung erfolgte erst am 28.10. - dank dem eingereichten Rekurs.

Am 7.10. wurde eine alte Fabrik in Terrassa, Barcelona, auf brutale Art und Weise geräumt (besetzt am 27.9.). Ebenso geschah am 23.10. einem besetzten Haus im Viertel Gracia, in dem 5 Personen lebten (4 Monate besetzt). Und wie schon so oft, weder Räumungsbefehl noch Anzeige. Eine besetzte Fabrikhalle in Terrassa wurde am 28.11. geräumt.

In den meisten erwähnten Fällen sind die Räumungsbefehle auf den berüchtigten CP '95 zurückzuführen und sind nichts weiter als ``vorbeugende Massnahmen'', (vor jeglichem Gerichtsurteil oder Prozess), gestützt auf beliebige Begründungen, vom jeweiligen Richter eingeleitet. Mit dem üblichen Vorwand, die ``öffentliche Ordnung zu schützen''. Die Befürchtungen auf eine weiter anhaltende Räumungswelle, v.a. in Catalunya, sind real; allein in Barcelona und Aglo befinden sich mind. 19 besetzte Häuser mit einem ausführbaren Räumungsbefehl oder in einem hängigen Gerichtsprozess. So auch das Centro Social ``La Vakeria'' in L'Hospitalet, seit 3 Jahren besetzt.

RÄUMUNG DES CENTRO SOCIAL OKUPADO ``DAVID CASTILLA'', MADRID, 4.10.

Anlass zur Räumung gaben zwei Anklagen, einerseits von Seiten der Besitzer, einer Immobilienfirma (Besetzung, aufgrund des alten CP's), andererseits von Seiten der Stadtpolizei, die sie wegen ``illegaler Tätigkeiten'' angklagt hat (Bar, Verkauf ...). Ein Rekurs der Okupas verzögerte die Räumung vom Juli in den Oktober.

Die Räumung begann morgens um 9 Uhr, und zwar ohne Vorwarnung. Die Bullen (mehrere Einheiten der Policia Nacional - antidisturbios -, Stadtbullen und die Feuerwehrtruppe) gingen auf die Protestierenden vor dem Haus (ca. 50-100) mit Knüppelschlägen los, was bereits die ersten Verletzten verursachte. Erst mit Hilfe der Feuerwehr gelang es den Bullen, in das verrammte Haus einzudringen (während diejenigen auf dem Dach schrien ``Un desalojo, otra okupación!'') Die ersten 30, die sich im Gebäude befanden, wurden von der ``Eingriffstruppe'' herausgeholt. Während dieser ganzen Szenerie versuchten SympathisantInnen & co., die Bullen abzulenken (die selbstverständlich alle Strassen in der Umgebung abgeriegelt hatten), u.a. indem sie den Verkehr störten, wurden jedoch immer wieder mit Schlägen vom Centro vertrieben. Zu allem Übel der Bullen befanden sich aber noch etwa 15 Okupas auf dem Dach, 4 von ihnen auf einem Baugerüst. Es dauerte jedenfalls mehr als eine Stunde, bis es ihnen gelang, die letzten von dort oben hinunterzuholen. D.h. zu Beginn gingen sie schlagend auf die Okupas los, da diese aber das Dach mit Öl beschmiert hatten, mussten die Bullen ihr Verhalten, zu einem Teil mindestens, den Verhältnissen anpassen. Um diejenigen auf dem Baugerüst herunterzuholen, benötigten sie die Feuerwehrleiter. Um 12 Uhr war das Centro geräumt. Resultat der überdimensionierten Gewalt und Agressivität der Bullen: ca. 15 Verletzte, 10 davon Okupas. Die Medien sprechen von 2-7 Okupas, die ins Spital eingeliefert werden mussten. Knüppelschläge in die Augen, verletzte Lippen, blutende Nase und Mund ... 1 Okupa wurde verhaftet. Immerhin bekamen die Okupas von den NachbarInnen und den PassantInnen ständige Unterstützung, mit Zurufen und Applaus bis hin zu Kartons mit Sprüchen gegen die Räumung in den Einkaufswagen. Als Protest wurden in der Nacht 2 Bankfilialen mit Molotovs versorgt, Fenster eines Autohändlers eingeschlagen und Autos umgekippt.

RÄUMUNG DES BESETZTEN HAUSES IN DER C/LAVAPIES, MADRID, 8.10.

4 Tage später die Räumung eines anderen bes. Hauses in Madrid, dessen ehemalige ``Cocina Aragonesa'' im Parterre in ein Vegi-Restaurant umgewandelt worden war - neben anderen Aktivitäten. Die eigentliche Räumung hätte am 2. 10. stattfinden sollen, wurde aber verschoben, weil es zuwenig Bullen hatte angesichts der versammelten Menge hinter den Barrikaden.

Rund 100 Bullen (antidisturbios natürlich) und 1 Helikopter waren nötig, um die 5 Personen aus dem Haus zu holen, das geräumt werden sollte. Da die werte Feuerwehr dieses Mal die Eingangstüre nicht aufzubrechen vermochte, sahen sie sich gezwungen, über den Balkon im 1.Stock ins Haus zu gelangen, während die umstehende Menge die Bullen auspfiff; ``Contra el Estado y su violencia, ahora y siempre, resistencia!'' Zu diesem Zeitpunkt waren die 5 aber schon über die Dächer abgehauen - und weg. Im Innern des Hauses blieben offenbar eine Menge Fallen und allerlei ``Überraschungen'' für die Bullen und den Besitzer zurück, d.h. sie haben es ihnen so angenehm gemacht wie nur möglich.

Währenddessen häuften sich die Artikel in den Zeitungen über die Räumungen, mit vorwiegend symphatisierendem Echo zu den Okupas und Unverständnis dem Vorgehen der Bullen gegenüber (ausser einem so rechtsstehenden Blatt wie ``ABC''). Ausserdem unterstützten die ``Abteilung der Jugend'' der IU (Vereinigte Linke) und das Komitee ``Verteidigung von Flüchtlingen, AsylantInnen und ImmigrantInnen in Spanien'' (Comrade) die Okupas von Madrid öffentlich - es sei nach den letzten Räumungen klar geworden, dass die Okupas eine friedliche und kluge Haltung bewiesen hätten gegenüber dem gewalttätigen Verhalten der Polizei; eine Tatsache, die sie denunzieren.

RÄUMUNG DES CINE PRINCESA, C/VIA LAIETANA, BARCELONA, 28.10.96

Um die Räumung des Cine Princesa zu verhindern, gab es eine Kundgebung am 18.10. ins Zentrum der Stadt. Am 20.10. organisierten die Okupas einen Musik-Marathon während 12 Std., an dem etwa 300 Personen teilnahmen. Zahlreiche KünstlerInnen und Intellektuelle unterstützten das Projekt. Von diesem Tag an wurde das Cine von den Bullen permanent überwacht. Der Räumungsbefehl wurde am 25.10. unterschrieben, im Wissen um die aufgenommenen Verhandlungen der Anwälte der Okupas mit den Besitzern des Cines.

Das Polizeiaufgebot für die Räumung des seit 6 Monaten besetzten Cine Princesa übertrifft so ziemlich alle Versionen von Räumungen in letzter Zeit. Kurz vor 6 Uhr morgens tauchen 20-30 Kombis der Policia Nacional (antidisturbios), zwei Helikopter, eine ziemliche Anzahl von Spitzeln, autonome Bullen und drei Ambulanzen. Den Verkehr umgeleitet, schossen sie während einer halben Stunde mit Gummi und Schrot (cartuchos) drauf los, und nach den üblichen Megaphon-Aufforderungen versuchten sie, in das Gebäude einzudringen, wurden aber mit Flaschen, Steinen etc. davon abgehalten. Da sie die Tür unten nicht aufbrechen konnten, und die Feuerwehr ihnen jegliche Unterstützung verweigert hatte (Leitern, ...), mussten sie diejenigen der Telefónica benutzen. Von Terrassen des Cine und Nachbarhäusern aus begannen sie, mit Gummigeschossen, Gaspetarden und Wasserschläuchen auf die Okupas zu schiessen, und drangen nach beinahe dreistündigem Widerstand und Gerangel ganz in das Cine ein. Zu Hilfe gekommen sind ihnen auch noch die Mega-Scheinwerfer, mit denen sie die Okupas komplett blendeten. Um 8 Uhr 30 beförderten die Bullen die letzten Okupas heraus. - Die glorreiche Bilanz zählte 48 Verhaftete (6 davon angeklagt), 25 Verwundete, einige von ihnen schwer (und 7 verletzte Bullen). Ausserhalb des Cines befanden sich etwa 500 Personen, und die Unruhen dauerten bis 11 Uhr an. Abends um 8 Uhr wurde eine Demo bei der ``Puerta del Angel'' einberufen, die dann zur ``Jefatura Superior de Policia'' zog (die Rede ist von 500 bis zu 2000 Personen). Natürlich empfing das Gebäude etliche Wurfgegenstände. Und die Bullen waren erneut auf der Strasse mit ihren Kombis und Gummigeschossen, und es gab erneut Verletzte. Die Konfrontationen mit den Bullen zogen sich bis in den nächsten Morgen hinein. Die Reaktion daraufhin fiel dementsprechend harsch aus: Alle Parteien und Gewerkschaften - ausser der Partido Popular - verurteilten die überdimensionierte und unverhälnismässige Polizeiaktion. P. Rahola, von der Partit per la Independència, empfand die Polizeiintervention einer Bananenrepublik angemessener als einer Demokratie ... (!!) während die Rechte ausrief, man ``dürfe es nicht zulassen, dass es Leute gibt, die mit Gewalt ein privates Eigentum besetzen'', und die Sicherheitskräfte um ihre ``Entschlossenheit'' lobte. In Protest gegen die Räumungen und die staatliche Gewalt - und mit den Okupas solidarisierend - fanden Demos u.a. am 8.11. in Madrid, Murcia und in Zaragoza statt (2000; 100 resp. 500 Personen), und in Castelló (100 Personen) am 2.11.96 ...

LA LUCHA CONTINUA !!

(Isabella Valencia)


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Letzte Änderung 1997-04-14