Interview:
28.04.2000
Warum eine neue politische Sammelbewegung in Kolumbien?
jW fragte Juan Antonio Rojas, Europasprecher der FARC
F: Am Sonntag wollen die FARC in San Vicente de Caguan mit der »Bolivarianischen Bewegung für ein neues Kolumbien« eine neue politische Sammelbewegung gründen. Welche Ziele wollen sie damit erreichen?
Wir haben als revolutionäre Bewegung seit unserer Gründung das Ziel verfolgt, den Frieden für das kolumbianische Volk zu erreichen. Dieses Ziel haben wir mit der Mehrheit des Volkes gemein. Wir haben bereits im Jahr 1985 mit der Gründung der Patriotischen Union (UP) einen ersten Versuch unternommen, die friedliebenden Kräfte Kolumbiens in einer politischen Bewegung zu vereinigen. Mit der UP zusammen sollen Vertreter aller relevanten politischen Kräfte für ein freies, sozial gerechtes und unabhängiges Land kämpfen.
Diese Bewegung wurde von der Regierung mit allen Kräften bekämpft. Im Rahmen von paramilitärischen Aktionen gegen Mitglieder und Funktionäre der UP kamen mehrere tausend Menschen ums Leben. Wir denken deshalb, daß die Bedingungen, um ähnlich der UP eine offene Arbeit zu führen, nicht gegeben sind.
Aber mit der Gründung der Bolivarianischen Bewegung für ein neues Kolumbien wollen wir an die Vorschläge des von der Regierung Pastrana beworbenen Kolumbienplans anknüpfen. Darin wird die Gründung einer solchen transparenten Bewegung unter Beteiligung aller relevanten Kräfte gefordert. Liberale, Konservative, Sozialisten, Kommunisten, Sympathisanten und Parteilose sollen zusammenarbeiten, um dem Problem der Armut, Kriminalität und Gewalt in unserem Land gemeinsam etwas entgegenzusetzen.
F: Aber mit der Patriotischen Union hat doch bereits eine politische Infrastruktur bestanden. Wieso also diese neue Gründung?
Man kann kaum mehr behaupten, daß von der Struktur der Patriotischen Union nach den paramilitärischen Attacken etwas übriggeblieben ist. Die beiden Präsidentschaftskandidaten der UP, Jaime Pardo Leál und Bernardo Jaramillo, wurden ebenso ermordet wie die Mehrheit der Senatoren, Bürgermeister, bis hin zu den einfachen Mitgliedern. Die Präsidentin der UP, Aida Avella, mußte, wie alle Überlebenden, ins Exil gehen.
Sie emigrierte in die Schweiz, nachdem sie bei einem Attentat in
Kolumbien verletzt worden war. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen
haben wir eben die Entscheidung getroffen, diese neue Bewegung, die sich
durchaus in der Tradition der UP sieht, vorerst im Untergrund arbeiten
zu lassen. Es liegt an der Regierung, die Umstände zu schaffen, unter
denen eine offene Arbeit möglich ist, ohne dabei das Leben der Mitglieder
und Funktionäre aufs Spiel zu setzen. Die Idee, die hinter der Gründung
dieser neuen Bewegung steht, ist schließlich auch, eine Massenorganisation
zu schaffen, die Millionen Kolumbianern die Möglichkeit bietet, ihre
Kraft für den Frieden einzubringen.
F: Welche Organisationen oder Parteien werden am Sonntag an der Gründung teilnehmen?
Es werden natürlich mehrere Genossen der FARC dabeisein, besonders aus der Kommandantur der Streitkräfte. Wir haben alle Parteien und Organisationen des Landes eingeladen.
F: Die Regierung des konservativen Andres Pastrana beteuert stetig ihre Bereitschaft zu friedlichen Auswegen aus dem Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg. Gibt es schon eine Reaktion der Regierung auf die angekündigte Gründung?
Ich weiß nicht, ob es konkrete Reaktionen gab, aber ich kann sagen, daß wir diesen Schritt machen, um den Friedensprozeß zu unterstützen. Wir denken, daß die Friedensgespräche durch die Arbeit einer solchen umfassenden Organisation einen neuen, vielleicht sogar den entscheidenden Impuls bekommen könnten. Wir wollen damit einmal mehr unter Beweis stellen, daß es uns mit der Suche nach Frieden ernst ist. Es ist daher auch wichtig festzustellen, daß diese Bolivarianische Bewegung einen ausschließlich politischen, keinen militärischen Charakter haben soll. Die Arbeit dieser Bewegung wird in keiner Weise durch unseren bewaffneten Kampf beeinflußt oder gar gefährdet werden.
Eine Gefährdung geht lediglich von der fehlenden Bereitschaft zum Frieden aus. Als Arbeitsgrundlage für die Bewegung wird ein Zehnpunkteprogramm zur Rekonstruktion einer Regierung dienen, das von den FARC eingebracht wurde.
F: Sie nennen die Bewegung »bolivarianisch«. Unlängst hat auch der Präsident Venezuelas seinem Land den Beinamen »Bolivarianische Republik« gegeben. Welche Bedeutung haben die Ideen von Simón Bolivar heute in Lateinamerika?
Nun, Simón Bolivar ist nicht nur der Gründer unserer Nation, sondern auch der Befreier Kolumbiens von den Kolonialherren. Diese Bedeutung hat er für den gesamten Kontinent, denn durch ihn wurden auch Peru, Ecuador, Venezuela und Bolivien befreit. Seine Vision war die eines vereinigten Amerikas, frei von jeglicher Fremdbestimmung, nicht nur im politischen, sondern auch im wirtschaftlichen Sinne.
Amerika ist der reichste Kontinent. Von unbeschreiblichen Ölvorkommen,
bis hin zu Edelmetallen und einer breiten Palette von landwirtschaftlichen
Gütern haben wir alles zu bieten. Zugleich ist Amerika aber einer
der ärmsten Kontinente. Das rührt daher, daß die reichen
Zentren, Europa und Nordamerika, den Süden als Rohstoffquelle
ausbeuten, ohne daß je ein funktionierendes politisches oder wirtschaftliches
System etabliert wurde. Genau hier greift die bolivarianische Idee von
der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Diese Idee des Befreiers
werden die FARC kompromißlos verteidigen.
Interview: Harald Neuber
© junge Welt: www.jungewelt.de/
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weitgehend an der spanischsprachigen Ausgabe orientieren. Es geht vor allem
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